
Überraschung am Parteitag: SVP Aargau fasst Ja-Parole zum Covid-Gesetz – gegen den Willen von Präsident Andreas Glarner
Vor gut zwei Monaten hatten die Delegierten der SVP Schweiz mit 181 zu 23 Stimmen bei 4 Enthaltungen klar die Nein-Parole zum Covid-19-Gesetz beschlossen, das am 28. November zur Abstimmung kommt. Drei der profiliertesten Gegner kommen aus dem Aargau: Nationalrat und SVP-Kantonalpräsident Andreas Glarner, Nationalrätin Martina Bircher und Grossrätin Nicole Müller-Boder.
Alle drei warben am Mittwochabend im «Ochsen» in Lupfig, wo die SVP Aargau ihren Parteitag durchführte, für ein Nein zum Covid-19-Gesetz. Auf der anderen Seite setzten sich unter anderem Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati, Grossrat und Ex-Kripochef Urs Winzenried sowie der Rheinfelder Vizeammann und Biochemiker Walter Jucker für ein Ja ein.
Nein-Plakate liegen bereit, Parteitag fasst Ja-Parole
Nach einer langen und kontroversen Diskussion, die sehr engagiert geführt wurde, aber nie gehässig war oder ausartete, brachte die Abstimmung eine Überraschung: Mit 48 zu 47 Stimmen fasste der Parteitag die Ja-Parole zum Covid-Gesetz. Zuvor war in Antrag auf Stimmfreigabe von Samuel Hasler, dem Präsidenten der SVP Bezirk Aarau, klar abgelehnt worden.
Wie schwierig die Situation für die SVP bei dieser Frage ist, zeigte sich an zwei Beobachtungen im «Ochsen»: An einer Strassenlaterne beim vollbesetzten Parkplatz hing ein Plakat gegen das Covid-19-Gesetz, drinnen lag weiteres Material für die Nein-Kampagne bereit. In den Saal gelangten die SVP -Mitglieder aber nur mit dem Zertifikat, an der Tür mussten alle dieses vorweisen.
Gallati: «Das erneute Referendum ist eine Zwängerei»
Andreas Glarner liess bei den offiziellen Referaten zur Vorlage Jean-Pierre Gallati den Vortritt. Dieser hielt einerseits fest, es gehe bei dieser Vorlage nicht nur um das Zertifikat und sagte andererseits, ein Parteitag wie jetzt ohne Masken, Abstandsregeln, Reduktion der Personenzahl und sonstige Einschränkungen sei nur damit möglich. Gallati betonte, der Bundesrat erhalte bei einem Ja am 28. November nicht mehr Macht.

Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati warb für ein Ja zum Gesetz.
Das Gesetz regle vielmehr die Fortführung der Wirtschaftshilfen und das Zertifikat verhindere Lockdowns. Aus seiner Sicht ist das zweite Referendum gegen das Covid-Gesetz – das erste war im Sommer mit rund 60 Prozent abgelehnt worden – eine Zwängerei.
Glarner: «Letzte Chance, den Bundesrat zu stoppen»
Glarner erwiderte, die bestehenden Gesetze reichten aus, um die Pandemie zu bekämpfen. Hingegen habe der Bundesrat ins Covid-Gesetz einige Punkte aufgenommen, die zu weit gingen: «Ungeimpfte werden diskriminiert, nur sie müssen in Quarantäne, es gibt eine indirekte Impfpflicht und sonst werden kostspielige Tests fällig.»

Parteipräsident Andreas Glarner kämpfte für ein Nein am 28. November.
Glarner warnte vor einer elektronischen Massenüberwachung durch das digitales Contact Tracing und fragte: «Was, wenn das Zertifikat für Arbeitsplatz und Einkaufen obligatorisch wird, oder nur noch mit Booster-Impfung gültig ist, oder auch bei Kindern unter 12 Jahren verlangt wird?» Jetzt habe die Bevölkerung die letzte Chance, den Bundesrat zu stoppen – so warb Glarner für ein Nein.
Ehemaliger Kripochef und Biochemiker werben für Ja
Urs Winzenried, früherer Chef der Kriminalpolizei und heute SVP-Grossrat, widersprach entschieden. Das Gesetz und das Zertifikat brächten zwar kleine Einschränkungen, seien aber der Weg aus der Pandemie. Er stelle niemanden an den Pranger, der sich nicht impfen lasse, aber diese Personen müssten bereit sein, einen gewissen Preis zu bezahlen – «sie kommen halt nicht überall einfach rein».
Walter Jucker, Vizeammann von Rheinfelden und Biochemiker, sieht das Zertifikat nicht als Zumutung und Mittel eines Überwachungsstaats. Und er sagte, nicht die ganze SVP-Basis sei gegen das Gesetz. Natürlich würden nicht alle gleich Hurra schreien, wenn die Zertifikatspflicht in einem Lokal gelte, aber es gebe keine Probleme damit. «Lösen wir das Problem Corona, bewirtschaften wir es nicht, man kann ein guter SVPler sein, wenn man Ja sagt», sagte Jucker.
Nationalrätin und Grossrätin setzen sich für Nein ein
Nationalrätin Martina Bircher sagte, bei einem Nein gelte das Covid-Gesetz noch bis im kommenden März. «Wenn wir es annehmen, kann der Bundesrat aber auf unbestimmte Zeit die Massnahmen verlängern», warnte Bircher. Heute sie die Lage anders als vor einem Jahr. Es gebe eine Impfung, viel mehr Genesene und es sei Zeit für die Rückkehr zur Normalität.
Grossrätin Nicole Müller-Boder sagte, sie sei geschockt über einige Voten: «Ich dachte, wir von der SVP setzen uns für die Freiheit und gegen Diskriminierung ein.» Sie betonte, die Finanzhilfen würden sowieso auslaufen und seien gar nicht Teil des Gesetzes. Und sie kritisierte: «Wenn der Bundesrat die Pandemie beenden möchte, würde er nicht Zertifikatsverlängerungen für die Boosterimpfung versprechen.»