
Umsatz um 90 Prozent eingebrochen: Robert Casagrande hofft auf die US-Touristen
Casagrande ist der grösste Souvenirhändler der Stadt Luzern. Für die heute Abend startende «DOK»-Serie «Luzern im Coronajahr» hat das Schweizer Fernsehen SRF Robert Casagrande seit dem Beginn der Pandemie im März 2020 mit der Kamera begleitet.
Vor dem Casagrande-Hauptladen am Grendel unweit des Schwanenplatzes treffen wir den Patron. Wo vor der Pandemie Asiaten, Inder, Russen, Amerikaner und Touristen aus allen Ländern ein- und ausgegangen sind, ist es heute menschenleer und dunkel. Der dreistöckige Souvenir-Laden mit Kuckucksuhren, Taschenmessern, der handgeschnitzten Kult-Figur «Casi Boy» (vom Familiennamen abgeleitet) und Tausenden von anderen Andenken ist seit 2020 nur eingeschränkt offen. Ein weiterer Laden beim Löwendenkmal bleibt vorderhand geschlossen.
Robert Casagrande ist Mitinhaber des Familienbetriebs und Souvenirgeschäfts Casagrande. Es verlor letztes Jahr wegen der ausbleibenden Touristen über 90 Prozent seines normalen Jahres-Umsatzes. Der gebürtige Luzerner führt zusammen mit seinem älteren Bruder John, dem Neffen Raffael Casagrande und Christian Pfiffner (COO) die Firma. Den Grundstein gelegt hatte der Vater 1948 mit einem kleinen Geschäft an der Hertensteinstrasse, das heute an ein Lederwarengeschäft verpachtet ist.
Unternehmen musste 10 Entlassungen aussprechen
Die Situation lässt Casagrande das Herz bluten. «Wir geben keine Umsatzzahlen bekannt. Aber soviel kann ich sagen: Unser Umsatz ging im vergangenen Jahr gegenüber 2019 um über 90 Prozent zurück.» Diesen Verlust könnten auch die Schweizer Touristen nicht wettmachen, welche die Stadt Luzern vermehrt besuchten. «Einen globalen Tourismus-Markt von 7,8 Milliarden Menschen können 8,5 Millionen Schweizer leider nicht ersetzen», fügt er hinzu.
Während das alteingesessene Unternehmen vor der Pandemie 110 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 20 Nationen beschäftigte, sind es heute noch 95. «Wir mussten schweren Herzens 10 Kündigungen aussprechen». Ein Betroffener ist der Ex-Hauswart Casagrandes, der in der Fernsehserie auch porträtiert wird. Auch die Zulieferbetriebe leiden unter der Situation. «Normalerweise produziert Victorinox an ungefähr zwei Tagen im Jahr für uns die begehrten Offiziersmesser. Doch seit einem Jahr konnten wir keinen Auftrag mehr vergeben.» Verderbliche Waren wie Schokolade für rund 300 000 Franken verteilte er kurzerhand an hilfsbedürftige Personen. Das brachte immerhin ein gutes Image. Man habe eine «verschleierte» Perspektive auf die Corona-Zeit, sagt Robert Casagrande nachdenklich. Er selbst erkrankte an Covid-19 und sei nun immun. Nie hätte er sich vorstellen können, dass eine weltweite Pandemie ihr Geschäftsmodell zum Erliegen bringen könne, unterstreicht er. 2001 war der letzte grosse Einbruch des Tourismus nach dem Terroranschlag vom 9. September in New York. Danach ging alles aufwärts. Noch 2019 expandierte Casagrande und eröffnete einen Uhrenladen sowie ein Geschäft für Luxusprodukte am Grendel.
Casagrande hofft auf den Impfpass für Reisende
Der Geschäftsmann hofft, dass die eingeleitete Impfoffensive für Entspannung in der Krise sorgt und ein Impfpass eingeführt wird, damit die Leute wieder reisen können. Casagrande glaubt an die Zukunft seiner Branche. Ein Souvenir kaufe man nicht im Internet wie andere Artikel. Es sei mit Emotionen verbunden. «Die Leute bringen ausserdem oft jemandem ein Andenken nach Hause, der keine Möglichkeit hat, in diese Länder zu reisen.» Leute, die eine Uhr in Luzern erwerben, seien stolz darauf, diese während der Reise in der Schweiz gekauft zu haben.
Die meisten Experten rechneten damit, dass der Tourismus ab Februar 2022 wieder ansteigt und bis Sommer wieder auf 40 bis 50 Prozent des früheren Niveaus liegen wird. «Das Bedürfnis zu reisen ist einfach da», ist sich Casagrande sicher. Deshalb schaue er optimistischer in die Zukunft als die Experten. Er hoffe, dass bereits im Spätsommer oder Herbst 2021 wieder die ersten US-amerikanischen Touristen nach Luzern kommen. Sie seien schon sehr weit durchgeimpft. «Dies setzt aber voraus, dass auch unsere Leute sich gut impfen lassen und die Schweiz als sicheres Reiseland eingestuft ist».
Robert Casagrande ist gespannt auf die «DOK»-Serie mit ihm und weiteren Luzernerinnen und Luzernern (siehe Box). Er wollte anfangs nicht mitmachen. «Ich habe zwei Mal ab- und dann zugesagt», erzählt er. Rund 40 Stunden Filmmaterial hat Regisseurin Elvira Stadelmann aus Ruswil über ihn gedreht. «Ich weiss gar nicht mehr, was ich alles gesagt habe. Aber es wird sicher interessant sein, dieses extreme Jahr im Rückblick zu sehen.»
Die «DOK»-Serie «Luzern im Coronajahr»
Während der historischen Coronakrise lassen sich fünf Menschen aus der Region Luzern ein Jahr lang von SRF DOK begleiten. Ein Unternehmer, ein Hotelier, eine Künstlerin, ein Souvenirhändler und ein Arbeitsloser erzählen ihre ganz persönlichen Geschichten in der vierteiligen Serie. Eine der Personen ist Roland Küng, CEO der Hunziker AG in Willisau, dem grössten Festzeltbauer der Schweiz. Das normalerweise erfolgsverwöhnte KMU steht mit leeren Auftragsbüchern da – und das Versprechen von Küng an die Belegschaft, niemandem zu kündigen, ist infrage gestellt. Manuel Berger übernahm vor zweieinhalb Jahren das Boutiquehotel Beau Séjour in Luzern. Mit innovativen Ideen und viel Herzblut versucht der 35-jährige Hotelier einheimische Gäste zu gewinnen. Die Künstlerin Claudia Kienzler will die älteste Showbude der Schweiz retten, ein über 70 Jahre altes Varieté. Einen Monat vor dem Shutdown hat die Berufsmusikerin das marode Zelt gekauft. Die vierte Person ist Robert Casagrande (siehe Hauptartikel) und die fünfte Bojan Jovanovic, der 25 Jahre lang als Hauswart und Mann für alle Fälle im Unternehmen Casagrande gearbeitet hat. Für den 50-jährigen Familienvater ist die Entlassung ein Schock. (pd/ben)
Ausstrahlung ab Freitag, 16. April jeweils 21 Uhr auf SRF 1.