Verkehrte Welt im Aargau, vor allem bei der SVP

Rolf Cavalli (AZ)
Rolf Cavalli (AZ)

Auf den ersten Blick ist das Fazit der eidgenössischen Wahlen eindeutig: Grün gewinnt, die SVP verliert. Doch mit geschärftem Blick auf den Aargau ist der Ausgang des Urnengangs zu präzisieren.

Erstens: Grün legt zu, aber die SP sagt Danke

Klima statt Migration war diesmal Trumpf, noch mehr als im Vorfeld der Wahlen vermutet. Landesweit gehen die Öko-Parteien enorm gestärkt hervor: 26 Sitze gewinnen Grüne und Grünliberale (Stand letzte Hochrechnung) hinzu. Nur: Die Aargauer Schwesterparteien steuern keine Sitzgewinne zu diesem historischen Sieg bei. Zwar steigern auch sie ihren Wähleranteil zusammen um 7,6 Prozent, doch für einen zusätzlichen Sitz reichte das nicht.

Lachende Dritte ist die SP. Sie holt dank einer Listenverbindung mit den Grünen und stabilem Wähleranteil (+0,4 Prozent) ihren dritten Sitz zurück. Vor allem die Grünliberalen haben eine Chance verpasst: Mit ihrer Listenverbindung mit der CVP haben sie falsch gepokert. Wären sie mit der SP und den Grünen eine Klimaallianz eingegangen, hätte das dem Öko-Lager einen zusätzlichen Sitz beschert. Man darf gespannt sein, ob die GLP nun bei den Stände- und Regierungsratswahlen ihre Strategie ändert und ihre chancenlosen Kandidaten zugunsten eines aussichtsreicheren Vertreters der Klimaallianz zurückzieht.

Zweitens: Verliererin SVP kann noch zur Gewinnerin werden

Die SVP hat Federn gelassen wie noch nie. Nach ihrem Rekordsieg vor vier Jahren (38 Prozent) wurde sie jetzt mit 31,5 Prozent sogar unter das Niveau von 1999 zurückgestutzt. Das ist zum einen der Themenlage (Klima statt EU/Migration), aber auch hausgemachten Fehlern zuzuschreiben. Von der SVP Aargau war inhaltlich im Wahlkampf wenig zu spüren und die Personalquerelen (Stamm, Reimann und vor allem Franziska Roth) haben die SVP-Basis offenbar demobilisiert. Das Resultat ist eine schmerzhafte Niederlage. Doch die immer noch klar grösste Partei ist mit einem blauen Auge davon gekommen, hat sie doch nur einen Sitz eingebüsst.

Schon in ein paar Wochen könnte die SVP-Welt wieder rosiger aussehen: Hansjörg Knecht hat die besten Chancen, im zweiten Wahlgang einen Ständeratssitz zu erobern. Folge: Ein Nationalratssitz weniger, dafür neu vertreten im Ständerat:

Das wäre für die SVP kein schlechter Tausch: Schliesslich ist die Stimme eines Ständerats viermal so gewichtig wie jene eines Nationalrats.

Nimmt man noch das gute Abschneiden von Jean-Pierre Gallati im ersten Wahlgang der Regierungsratswahl dazu, offenbart sich bei der SVP eine verkehrte Welt: Bisher schnitt die SVP mit ihrer konfrontativen Politik vor allem bei Parlamentswahlen gut ab, hatte es dafür bei Majorzwahlen umso schwerer. Nun taucht sie plötzlich bei den Nationalratswahlen, dafür überzeugt sie offenbar bei Personenwahlen. Ob sich dieses Phänomen über diesen Wahlsonntag hinaus bestätigt, wird man ein erstes Mal schon am 24. November sehen, wenn es vermutlich zum Showdown zwischen Hansjörg Knecht und Cédric Wermuth kommt.

Drittens: Die FDP wird für ihren Übermut abgestraft

Was waren das für Träumereien in der FDP, als sie vor Jahresfrist Thierry Burkart zum Ständerat nominiert hatte: Ein Sieg schon im ersten Wahlgang und ein vierter Nationalratssitz. Doch gestern ist der Freisinn auf dem harten Boden der Realität gelandet. Favorit Burkart muss in den zweiten Wahlgang, und im Nationalrat verliert die FDP einen Sitz. Wie bei der SVP ist ein Teil der Niederlage hausgemacht. Die Basis spürte, dass die Partei holprig unterwegs war in den letzten Wochen und Monaten. Man denke nur an das intern höchst umstrittene Nominationsvorgehen für die Regierungsratswahl.

Und die totgesagte CVP? Sie hat es ihren Kritikern gezeigt. Nicht zuletzt dank ihrer Unterliste mit den Bauern gewinnt sie überraschend einen Sitz und schickt neu zwei Frauen nach Bern, ganz ohne Quote.