
Verschärfungen abgelehnt, Ärger mit Simonetta Sommaruga: Wenn der Corona-Held Berset ins Wanken gerät
Er war der Held der ersten Pandemiewelle: Alain Berset, 48, Gesundheitsminister. Um den Sozialdemokraten gab es einen Starkult: Über 20’000-mal verkaufte sich das T-Shirt mit seiner Aussage «Il faut agir aussi vite que possible, mais aussi lentement que nécessaire» («So schnell wie möglich, aber so langsam wie nötig»). Und im Dezember erschien im NZZ Libro Verlag ein Buch über und mit ihm: «Wie ich die Krise erlebe».
Inzwischen ist Berset wieder im Alltag angekommen. Allmächtig war er zwar nie. Aber je länger die Krise dauert, desto mehr Gegenwind spürt er. Oft bringt er Verschärfungen nicht mehr durch im Bundesrat. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer sagte im «SonnTalk» von TeleZüri so deutlich wie nie zuvor: «Es ist ein offenes Geheimnis, dass Alain Berset schon seit Monaten gerne mehr tun würde – und von rechts gebremst wird.»
Das T-Shirt der Freiburger Lernenden in Medientechnologie zu Alain Berset verkaufte sich 20’000fach. © Keystone (Bild: Sevaz FR, 22. April 2020
Gleich zweimal scheiterte Berset mit dem Vorhaben, eine Homeofficepflicht einzuführen. Er sah sich dabei der Phalanx der vier FDP- und SVP-Bundesräte gegenüber. Und als er die Veranstaltungen am 28. Oktober auf 15 Teilnehmer begrenzen wollte, griff wieder die FDP-SVP-Allianz ein – und erhöhte die Zahl auf 50.
Unstimmigkeiten zwischen Berset und Sommaruga
Zunehmend waren auch Unstimmigkeiten zwischen Berset und seiner Parteikollegin Simonetta Sommaruga auszumachen. Im Sommer votierte die Bundespräsidentin gegen eine Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr. Sie konnte nicht verstehen, dass Berset ausgerechnet in den tiefen Ansteckungszahlen des Sommers eine Maskenpflicht einführen wollte, nachdem er den Nutzen von Masken monatelang bestritten hatte.
Als im Herbst die zweite Welle einsetzte, ärgerte sich Sommaruga, wie sich die Schweiz selbst lahmlegte – weil sich die Kantone gegenseitig kaum koordinierten, und weil es Spannungen gab zwischen Bund und Kantonen. Zudem scheute sich der Bundesrat, das Heft wieder in die Hand zu nehmen, da er im Sommer gerade von den Kantonen hart kritisiert worden war für seine Machtballung in der Phase des Notrechts.
Es gab Spannungen zwischen Alain Berset und Simonetta Sommaruga.
© Keystone (Bild: Bern, 15. Oktober 2020
Dem «Gstrüm» ein Ende bereiten
Bundespräsidentin Sommaruga machte in der Regierung Druck für stärkere Massnahmen. Gleichzeitig lud sie die Kantone zu einem Krisengipfel ein – und den Bundesrat bot sie am 18. Oktober für eine aussergewöhnliche Sitzung am Sonntag auf. Sie wolle dem «Gstürm» ein Ende bereiten, sagte sie.
Sommarugas Aktivismus wurde auch mit persönlich-strategischen Interessen erklärt: Da sie als Bundespräsidentin in der ersten Welle neben Parteikollege Berset eher blass geblieben war, wollte sie in der zweiten Welle Akzente setzen und ihr Präsidialjahr retten.
Eine Meinung, sobald es um Wirtschaftshilfe ging
In vielen Coronageschäften stritten sich die beiden Sozialdemokraten aber auch nicht. Vor allem dann nicht, wenn es um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ging. «Für unsere beiden Bundesräte ist klar, dass gesundheitliche Massnahmen auch wirtschaftliche Abfederungsmassnahmen erfordern», sagt SP-Co-Präsidentin Meyer. «Der Widerstand kommt von FDP und SVP.»
Vor allem das Wirtschaftsdepartement und da das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco hätten die dringende Hilfe für das Gewerbe verzögert, sagt Meyer. Es ging unter anderem um eine umfassender ausgestaltete Härtefallregelung. Erst Mitte Dezember war sie definitiv unter Dach und Fach.
Meyer betont, dass die Härtefallmassnahmen nicht ausreichen. «Mit den À-fonds-perdu-Beiträgen muss ein Unternehmen BVG-Beiträge bezahlen, Miete und Versicherungskosten», sagt sie. Berset und Sommaruga werden gefordert sein. Für Meyer ist klar, dass sie mitziehen: «Wir haben ein sehr gutes Arbeitsverhältnis mit unseren Bundesräten.»
Für einmal muss Alain Berset nicht zittern
Und für den Helden des Frühlings scheint eines klar: Am Mittwoch muss Alain Berset für einmal nicht vor einer FDP-SVP-Front zittern. Zu sehr ist allen Bundesräten bewusst, wie heikel sich die Situation mit den hohen Fallzahlen und den mutierten Viren aus Grossbritannien und Südafrika präsentiert.
Berset dürfte mit seinem Antrag durchkommen, den Lockdown light bis Ende Februar zu verlängern. Das bedeutet, wie «Tages-Anzeiger» und «Blick» schrieben: Gaststätten und Museen bleiben geschlossen und der Sonntagsverkauf verboten.
Die Regierung wird dazu wohl bereits über weitergehende Massnahmen diskutieren: eine Schliessung aller Läden, eine Homeofficepflicht und eine zweite Schliessung der Schulen.