
Von den Tiefen der analytischen Psychologie bis zu den Höhen der Dichtung

SERIE
Zofingen und Zofingia – die Stadt und die Studentenverbindung sind seit zwei Jahrhunderten aufs Engste verbunden. Im Sommer 1819 trafen sich in der Thutstadt 26 Zürcher und 34 Berner, um den Zofingerverein aus der Taufe zu heben. 200 Jahre später wird dieses Jubiläum mit einem dreitägigen Stadtfest vom 30. August bis 1. September ausführlich gefeiert. Gestern startete das Zofinger Tagblatt eine sechsteilige Serie zur Geschichte der Zofingia und ihrer Bundesstadt Zofingen. Wie kam es zur Gründung 1819? Was trieb die Mitglieder an, was haben sie geleistet – und wie haben sie die Schweizer Geschichte mitgestaltet? Und wo trifft man sie heute, wenn sie nicht gerade in Zofingen ihr Centralfest feiern? Autor ist der ehemalige NZZ-Journalist, Historiker und Publizist Dr. Ronald Roggen, der auch die Festschrift der Zofingia zum 200-Jahr-Jubiläum redigiert hat.
Teil 1: Zofingia 1819 – zur rechten Zeit, am idealen Ort, mit der schönsten Idee
So breit die Angebote der Akademien und Universitäten, so vielfältig sind auch die beruflichen Ausrichtungen der Studierenden, die stolz das rot-weiss-rote Band tragen.
Carl Gustav Jung war Mediziner und Psychiater. Sein gleichnamiger Grossvater hatte Deutschland verlassen müssen, als bekannt wurde, dass er den Kotzebue-Attentäter Ludwig Sand gut kannte. Ungutes konnte man ihm nicht nachweisen, also stellte man ihn an die Grenze. So kam er nach Basel, wo er als Medizinprofessor wirkte und Rektor wurde. Sein Sohn wurde Zofinger, und Gleiches tat dessen Sohn C. G. Jung. Aus dessen Präsidialansprachen wurde später ein Buch, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Jung darf man zu den «intensiven» Zofingern zählen, entsprechend gross war sein Beziehungsnetz. Seine analytische Psychologie machte ihn weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Jacques de Watteville – Chefunterhändler bei der EU
Man könnte für die Theologen Karl Barth erwähnen, für die Juristen Carl Stooss, den Schöpfer des schweizerischen Strafrechts, für die Diplomaten «Monsieur Europe» Jacques de Watteville, den Chefunterhändler bei der EU. Unter den Militärs wären ausser General Henri Guisan die Korpskommandanten und Divisionäre zu erwähnen, hier vor allem Rudolf Blocher, dessen Korpsmanöver starke Medienpräsenz erlangten. Jahrzehnte zuvor hatte Generalstabschef Hermann Siegfried, der Bürger von Zofingen war, eine wertvolle Grundlage geschaffen: den so genannten Siegfriedatlas, eine topografische Karte der Schweiz.
Bei den Zofingern unter den Wirtschaftskapitänen denkt man an Alfred Escher oder die Zofinger in den Familien Sulzer, Schmidheiny und Bühler. Immer auffallend stark vertreten waren Leiter von Bahnunternehmen. Dazu kommen heute Andreas Burckhardt als höchster Chef der Bâloise und Vertreter der Familie Pictet als Exponenten des Genfer Bankunternehmens.
Albert Anker und Ferdinand Hodler
Glücklicherweise haben auch grosse Talente der Musenwelt den Weg in die Zofingia gefunden. Bei den Malern haben Albert Anker und Ferdinand Hodler dem Vaterlandsgedanken der Zofingia wunderschönen Ausdruck verliehen. Dazu kam als Vertreter der Romandie Alexandre Cingria, der innerhalb der Sakralkunst berühmte Werke schuf und die Aula der Genfer Universität schmückte. Was wäre die Schweiz ohne die Werke dieser grossen Künstler!
Unter den Schätzen des Zofingia-Teils im Stadtmuseum Zofingen befindet sich auch ein Bakel, ein Gehstock, auf dem verschiedene Namen eingekerbt sind, darunter auch «Bitzius». In der Tat war Albert Bitzius mit der Bernergruppe an das Gründungstreffen in Zofingen gewandert. Ein Cousin und später auch sein eigener Sohn wurden ebenfalls Zofinger. Bei der Zürcher Zofingia trat Conrad Ferdinand Meyer ein, während die Waadtländer Zofingia Schriftsteller wie Eugène Rambert und Charles-Ferdinand Ramuz in ihren Reihen wussten. Der Prix Rambert wird noch heute von Zofingern verliehen.
Komponisten und bekannte Liedermacher
In der Musik hat die Zofingia ebenfalls ihren Platz gefunden. Erwähnen darf man Ernest Ansermet und Heinrich Sutermeister. Gerade Sutermeister entwickelte sich sehr zofingerisch. Das mochte daran liegen, dass die Familie in Zofingen beheimatet war, aber auch daran, dass er Textwerke von Zofingern vertonte, so einige Balladen von Conrad Ferdinand Meyer.
Vernetzungen dieser Art sind schöner Ausdruck der Verbindung, und es gab zahlreiche Belege dafür. Albert Anker hat sich Gotthelf genähert, aber einen Heidenrespekt davor gehabt, das Gesamtwerk des grossen Dichters zu illustrieren.
Nicht einmal alle Zofinger wissen, wer unter den Liedermachern einst das rot-weiss-rote Band getragen hat. Wer den Cantus «Lueget vo Bärg und Tal» singt, den sollte man deshalb an den Zofinger Joseph Anton Henne erinnern. Wer das Rütlilied liebt, darf getrost wissen, dass zwei Zofinger das Werk geschaffen haben: Johann Georg Krauer als Texter, Josef Greith als Komponist. Gletscherpfarrer Gottfried Strasser, ein weiterer Zofinger, schuf den «Trueberbueb» und andere Heimatlieder. Da singt man als Zofiger oder Zofinger das Lied gerne kräftig mit.
Drei Zofinger haben einen Nobelpreis entgegennehmen können in Anerkennung ihrer persönlichen Verdienste:
1909: Emil Theodor Kocher (Medizin)
1920: Charles-Edouard Guillaume (Physik)
1996: Rolf Martin Zinkernagel (Medizin)
Im Namen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes haben drei weitere Zofinger den Friedensnobelpreis in Empfang nehmen können:
1917: Gustave Ador
1944: Max Huber (Ehrenzofinger)
1963: Léopold Boissier