Wald und Strasse statt warmer Süden für Géraldine Ruckstuhl

Das letzte Wochenende hatte sich Géraldine Ruckstuhl in ihrer Agenda dick angestrichen. Im portugiesischen Leiria wäre der Winterwurf-Europacup und damit der erste Härtetest in dieser Saison auf dem Programm gestanden. Wegen der Corona-Pandemie musste der Event aber verschoben werden. Géraldine Ruckstuhl trägt den geplatzten Freiluft-Auftakt mit Fassung. «Wir befinden uns in einer schwierigen Situation, die für alle etwas Neues mit sich bringt», sagt die 22-jährige Siebenkampf- und Speerwurf-Spezialistin aus Altbüron. Für sie stehe ausser Frage, dass jetzt die Solidarität an erster Stelle kommen muss. «Es geht darum, einander zu helfen und sich an die Regeln des Bundes zu halten. Wir sind auf jeden Einzelnen angewiesen.»

Das Corona-Virus brachte auch Géraldine Ruckstuhls Alltag durcheinander. Anstatt in Portugal und Spanien trainierte die Luzerner Spitzensportlerin zuhause. Dabei war Kreativität gefragt: Weil die Turnhallen und Sportplätze geschlossen sind, verschob Ruckstuhl ihren «Arbeitsplatz» in den Wald oder auf Landstrassen. «Jeder muss sich selber helfen und Lösungen finden», sagt sie. Einen speziellen Plan, um die Form zu halten, gab es nicht. «Ich schaute von Tag zu Tag mit meinen Trainern und versuchte, das Bestmögliche rauszuholen», so Ruckstuhl. Das sei trotz enormer Leidenschaft für den Sport nicht immer einfach gewesen, «aber andere Leute haben grössere Probleme».

Umso glücklicher ist Géraldine Ruckstuhl, das 2017 durch den Gewinn des Sporthilfe-Nachwuchspreises erhaltene Geld in einen kleinen Kraftraum für die eigenen vier Wände investiert zu haben. Ausserdem dürfte bei ihr ab heute Abend wieder ein Stück Normalität einkehren: Sie disloziert für mehrere Wochen ins nationale Sportzentrum nach Magglingen, um mit anderen Schweizer Spitzenathletinnen und -athleten auf dem Gelände isoliert trainieren zu können.

Die Olympia-Premiere ist nach wie vor das grosse Ziel
Auch in mentaler Hinsicht versucht Géraldine Ruckstuhl das Optimum herauszuholen. «Ich bin strukturiert und mag es, einen Plan zu haben. Jetzt kann ich lernen damit klarzukommen, dass nicht alles zu hundert Prozent organisiert ist oder wie geplant umgesetzt werden kann», sagt sie. Die U18-Weltmeisterin im Siebenkampf betrachtet es als weiteres Puzzleteil, das sie ihrem grossen Ziel näher bringen soll: den Olympischen Sommerspielen in Tokio (Jap). «Dafür trainiere ich jeden Tag», sagt Ruckstuhl.

Um das Ticket für den Wettkampf vom 5. und 6. August zu lösen, hat Swiss Athletics 6420 Punkte vorgegeben. Das sind minim mehr als jene 6391 Zähler, die Ruckstuhl im September 2018 in Talence (Fr) erzielt hat und Schweizer Rekord bedeuteten.

Ob Géraldine Ruckstuhl bis zum Ende der Selektionsperiode am 29. Juni nochmals die Gelegenheit erhält, die Limite zu erfüllen, wird sich zeigen. Das gilt auch für die Frage, ob die Olympischen Spiele wegen der Pandemie durchgeführt werden können. «Solange keine Absage erfolgt, gibt es für mich keinen Grund, nicht mehr zu trainieren», sieht Ruckstuhl die Sache pragmatisch. Sollte ihre erste Olympia-Teilnahme ins Wasser fallen, würde sie auch diesen Entscheid akzeptieren. «Die Gesundheit ist wichtiger», sagt sie.

Olympia im Visier


Auch Kunstturner Noe Seifert träumt von einem Start bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio. Die Chancen für eine Teilnahme des 21-jährigen Küngoldingers sind aber eher klein. Neu dürfen nur vier statt fünf Athleten pro Nation im olympischen Mannschaftsmehrkampf antreten. Und weil der Schweizerische Turnverband nur die sieben Athleten mit den besten Resultaten aus dem Frühling für die vier Plätze vorbereiten will, ist die Hürde im qualitativ stark besetzten Männer-Team sehr hoch. «Ich will in die Top sieben kommen. Was danach passiert, wäre Zugabe», sagt Seifert. Besser präsentiert sich die Ausgangslage bei Nicole Häusler: Die Pfaffnauer Pistolenschützin hat sich an der WM 2018 einen Quotenplatz für die paralympischen Sommerspiele gesichert. Den Event für Behindertensportler, der am 25. August in Tokio eröffnet wird, hat sich auch Fabian Blum zum Ziel gesetzt: Der Rollstuhlsportler aus Pfaffnau will bis 30. Juni die Limite und sich damit einen Traum erfüllen.