
Warum die scheidende WWF-Präsidentin der Aargauer Regierung in Umweltfragen nur ein «genügend» gibt
Als Sie in Verhandlungen mit dem Kanton waren, lancierte die CVP eine Petition pro Umfahrung. Dachten Sie da an einen Parteiaustritt?
Das empfanden wir Umweltverbände als Rückenschuss. Ein Austritt aus der CVP war für mich da aber kein Thema mehr.
Nicht mehr?
Jahre zuvor, als ich aufgrund meiner Voten in der grossrätlichen Umweltkommission in der Fraktion stark kritisiert wurde, überlegte ich mir den Austritt.
Sie sind damals geblieben, sind Sie heute noch Mitglied?
Ja, als nicht mehr aktives Parteimitglied. Zudem bin ich in meiner Wohngemeinde Magden noch in der Energie- und Umweltkommission.
Was könnte man aus der jahrelangen Auseinandersetzung um Mellingen lernen?
Die Umweltverbände müssen möglichst frühzeitig in solche Planungen einbezogen werden.
Oft steht der WWF im Schatten spektakulärer und sehr umstrittener Aktionen von Greenpeace. Sollten auch WWF-Aktivisten an einer EM in ein Fussballstadion einfliegen und die Weltpresse beschäftigen?
Manchmal wünsche ich mir schon, der WWF wäre lauter. Aber solche Aktionen machen wir nicht. Wir verzichten darauf, uns geht es darum, gemeinsam gute Lösungen zu finden. Der WWF verfolgt eine pragmatische Linie. Wir machen dafür andere Aktionen.
Zum Beispiel?
Wir erheben Einspruch, wenn die umweltrechtlichen Vorgaben verletzt werden. Ganz konkret arbeiten wir auch mit Empfehlungen zum Konsumverhalten, zum Umgang mit unserer Umwelt. Mit Labels zeigen wir den Konsumentinnen und Konsumenten, welche Produkte, welche Kleider «nachhaltig» hergestellt worden sind. So können die Menschen bewusst einkaufen und steuern. Wenn niemand mehr Billigfisch kauft, der von rücksichtslos vorgehenden Fangflotten gefangen wurde, müssen diese umdenken. Die Ausbeutung der Meere muss aufhören, bevor es zu spät ist.

Das sind eher kleine Schritte.
Ja, es es sind kleine Schritte, die konsequent weiterverfolgt werden müssen.
Hat es der Umweltschutz heute einfacher oder schwerer als vor zwölf Jahren?
Da muss ich überlegen. Das Umweltschutzgesetz war einst ein grosser Schritt. Es hat den rechtlichen Rahmen für unser Handeln gesetzt. Die Menschen sind bereit, eine Veränderung und Kosten zu akzeptieren, wenn sie sehen, was es bringt, wie einst der Katalysator fürs Auto. Dieser wurde zwar damals von vielen verteufelt, heute ist er schlicht selbstverständlich. Auch das Verbot des ozonschädigenden FCKW wurde voll akzeptiert und die Ozonschicht hat sich erholt. In unseren Gewässern kann man wieder bedenkenlos baden. Leider denken deswegen viele, wir hätten viel getan, das stimmt aber nicht.
War dies womöglich mit ein Grund, dass im Juni das CO2-Gesetz abgelehnt wurde?
Solange wir unter dem Klima nicht wirklich leiden, die Veränderung nur schleichend vorangeht, ist die Bereitschaft vieler, zu handeln, zu wenig da. Auch die Bauern, die doch auf ihren Feldern die Folgen des Klimawandels hautnah erfahren, haben sich zu wenig für die Vorlage eingesetzt.
Trotz Klimajugend scheinen auch viele Junge Nein gestimmt zu haben, weil sie billig fliegen und nicht mehr fürs Benzin zahlen wollen.
Ob das stimmt, weiss ich nicht. Ich will erst die Abstimmungsanalyse abwarten. Den Jungen ist das Klima sehr wichtig, das zeigt uns die Klimajugend. Es wäre völlig falsch, der Klimajugend die Schuld zuzuschieben, weil sie – coronabedingt – vor der Abstimmung zu wenig präsent sein konnte.
Was hätte man anders machen können?
Wäre vor der Abstimmung eine Grossdemonstration möglich gewesen, hätte diese positiv ausstrahlen können. Schliesslich hat damals nach Fukushima eine Grossdemonstration die Energiewende eingeleitet.
Die CO2-Abstimmung offenbarte einmal mehr einen Stadt-Land-Graben.
Ja, der bereitet mir Mühe. Wenn die Menschen auf dem Land den Eindruck haben, sie kämen zu kurz, erfüllt mich das mit Sorge. Wir müssen unbedingt einen Weg finden, dass Stadt und Land nicht noch völlig auseinanderdriften.
Haben Sie eine Idee dafür?
Der WWF sucht die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft. Mit dem Projekt «Aktiv auf dem Bauernhof» unterstützen wir zusammen mit freiwilligen Bauern und Bäuerinnen bei der Schaffung von wertvollen ökologischen Strukturen oder unterstützen sie bei Aufwertungsmassnahmen.
Worauf setzen Sie jetzt im Aargau, auf die Klimaschutzinitiative?
Der Regierungsrat hat vor zwei Wochen vom Grossen Rat den Auftrag bekommen, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Ich habe die Klimainitiative natürlich unterstützt. Denn wenn es gelänge, jährlich drei Prozent der Gebäude energetisch zu sanieren, wäre das grossartig. Es ist auch nötig.
Aber?
Vielleicht ist die Initiative zu ambitiös, zudem ist sie auf Massnahmen an der Gebäudehülle fixiert. Ich wäre offen für einen Gegenvorschlag, der uns wirklich weiter bringt auf dem Weg raus aus den klimaschädlichen fossilen Energieträgern, hin zu Gebäuden, die nur noch ein Minimum an Energie brauchen.
Als WWF-Präsidentin exponierten Sie sich stark. Wurden Sie da massiv angefeindet?
Ich war ja gleichzeitig auch Grossrätin. Ich wurde nie bedroht, doch das Gesprächsklima und der Umgangston sind eindeutig rauer geworden.
Wie äussert sich das?
Es gibt bei den Parteien im Grossen Rat heute weniger fraktionsübergreifende Gespräche. Ich hatte früher im Rat mehr direkte Kontakte auch zu freisinnigen Ratsmitgliedern oder zu SVP-Grossräten. Der Fraktionszwang hat an Bedeutung gewonnen, was gemeinsame Lösungen oder gute Kompromisse schwieriger macht.
Warum, mehr Klarheit darüber, wo eine Fraktion steht, hilft doch?
Wenn es aber bedeutet, dass man einfach auf der eigenen Position beharrt und nicht mehr aufeinander zugeht, kommen wir nicht zu Lösungen. Wir haben inzwischen viele Blockaden, in der Europafrage, bei der AHV, dem CO2, um nur die wichtigsten zu nennen. Nicht einfacher wird es auch, weil für immer mehr Politikerinnen und Politiker die Selbstprofilierung im Vordergrund steht.
Welche Noten geben Sie denn beim Umweltschutz der Aargauer Regierung?
Da reicht es grad für ein «genügend». Umweltdirektor Stephan Attiger gebe ich aber ein «gut».
Warum für ihn eine bessere Note?
Mit Stephan Attiger konnten wir in Gesprächen bei der Umfahrung Mellingen einen Kompromiss finden, der einen Ersatz für die Beeinträchtigung bewirkt. Auch sein Einsatz für die Energiestrategie und das leider gescheiterte Energiegesetz habe ich sehr geschätzt. Insgesamt schaut die Aargauer Regierung aber Themen wie Landwirtschaft, Konsum, Verkehr usw. viel zu wenig aus der Umweltsicht an, da ist noch viel zu tun.
Für Sie gibt der WWF am Mittwoch ein grosses Abschiedsfest. Gehen Sie damit gleichermassen in Pension?
Ich fand es genau richtig, die Verantwortung jetzt in jüngere Hände zu geben. Ich bleibe aber im Vorstand des WWF und werde auch noch einige Projekte im Bereich Renaturierung im Siedlungsraum begleiten.
War eine Fusion, zum Beispiel mit Pro Natura, schon mal ein Thema, um Kräfte zu bündeln?
Pro Natura ist ein schweizerischer Verband, der WWF ist international tätig. Die beiden Verbände setzen sich für die Biodiversität ein. Sie haben aber unterschiedliche Schwerpunkte in der Arbeit. Ich finde, wir ergänzen uns gut. Der WWF beispielsweise spricht auch mit der Wirtschaft oder mit den Banken. Wenn sie aus Öl und Kohle aussteigen und stattdessen in grüne Anleihen investieren, könnten wir enorm viel erreichen.

Was ist Ihr grösster Wunsch an den Aargau?
Dass er als der Wasserkanton der Schweiz seinen stehenden und Fliessgewässern mehr Priorität gibt, mehr Auen zulässt und einstigen Mooren ihren Lebensraum zurückgibt. Und wir brauchen ein neues Mobilitäts- und Konsumverständnis, damit wir unseren Planeten nicht weiter ausbeuten. Wir haben nur diesen einen. Wir müssen ihm Sorge tragen, dass unsere Kinder und Kindeskinder noch einen lebenswerten Planeten Erde vorfinden.
Regula Bachmann-Steiner aus Magden war CVP-Grossrätin und präsidierte zwölf Jahre lang den WWF Aargau. Jetzt übernehmen als Co-Präsidenten der Grünen-Grossrat und frühere Nationalrat Jonas Fricker aus Baden und Markus Käch aus Eggenwil. Übermorgen Mittwoch gibt der WWF ein Abschiedsfest für Regula Bachmann-Steiner.
Das gibt die Gelegenheit, mit ihr Erfolge und Misserfolge der letzten zwölf Jahre zu analysieren und auch vorauszublicken. Dafür treffen wir uns in einer Regenpause am Suhrespitz in Aarau.
Frau Bachmann, für das Gespräch über Ihre zwölf Jahre als WWF-Präsidentin treffen wir uns am Suhrespitz, wo die Suhre in die Aare fliesst. Warum hier?
Regula Bachmann-Steiner: Die Renaturierung der Flusslandschaft hier am Suhrespitz war ein ganz grosser Erfolg für den Naturschutz. Deswegen komme ich immer wieder gern hierher, um zu sehen, wie die Natur ihren Raum selbst gestalten darf. Das gelang auch an der Bünz, am Aabach oder beim Dorfbach in Stetten.

Wie sind Sie eigentlich einst zum Umweltschutz gekommen? Gab es in Ihrer Jugend ein Aha-Erlebnis?
Ja, das gab es. Als Biologiestudentin habe ich in den 70er-Jahren eine Ausstellung über den Zustand unserer Gewässer besucht. Die erschütternden Bilder über die hohe Belastung rüttelten mich auf. Ich wollte unbedingt etwas tun. Zudem beschäftigte mich der damals erstmals erschienene Bericht des Club of Rome sehr. Schon da war für mich klar: Wir dürfen unsere endlichen Ressourcen nicht derart verschwenden. Auch künftige Generationen brauchen sie noch. Deshalb muss Kreislaufwirtschaft die Devise sein.
Wie kamen Sie vor zwölf Jahren zum WWF-Präsidium?
Ich bin seit 1971 Mitglied. 2008 kam die soeben in die Regierung gewählte Susanne Hochuli auf mich zu, ob ich das Präsidium übernehmen wolle. Ich freute mich sehr über die Anfrage und sagte spontan zu. Sie kannte mich aus unserer Arbeit als Grossrätinnen, sie bei den Grünen, ich bei der CVP.
Was war Ihr grösster Erfolg als WWF-Präsidentin?
Wir haben uns sehr für die neue Energiestrategie des Kantons eingesetzt, mit Erfolg. Sie kam als Gegenvorschlag zur Initiative «Aargau effizient und erneuerbar» zu Stande. Das wäre vorher und ohne unsere Initiative nicht möglich gewesen.
Doch mit der Umsetzung hapert es?
Ja, leider wurde letztes Jahr das darauf aufbauende Energiegesetz vom Volk knapp abgelehnt. Da realisierte ich, dass Energie im Aargau ein sehr schwieriges Thema ist und bleibt.
War dies auch Ihr grösster Misserfolg?
Nein, als diesen betrachte ich die Umfahrung Mellingen. Das war eine schlechte Vorlage, mit einer Umfahrung durch ein national geschütztes Gebiet. Das geht einfach nicht, solche einmaligen Landschaften müssen ungeschmälert erhalten bleiben.
Der Grosse Rat hat diese damals aber beschlossen und das Volk hat an der Urne zugestimmt.
Ja, ich war damals ja CVP-Grossrätin. Meine Fraktion war klar für die Vorlage, ich als WWF-Präsidentin ebenso klar dagegen.
Warum genau?
Damit war und ist ein erheblicher Eingriff in die geschützte Reusslandschaft verbunden. Das darf man nur, wenn dem ein nationales übergeordnetes Interesse entgegensteht.
Mellingen hoffte dringend auf die Umfahrung, ging und geht doch (noch) der ganze Verkehr durch die Altstadt.
Das sehe ich, wir müssen die Menschen, die dort leben und arbeiten, entlasten. Aber wenn schon, hätte man die Strasse unter der Reuss durchführen müssen. Auch dies wäre aber nicht unproblematisch gewesen. Beste Lösung wäre einen Verzicht auf eine neue Strasse gewesen. Wir müssen in der Mobilität einfach umdenken.
WWF und VCS haben jahrelang via Gerichte mit dem Kanton um die Umfahrung gerungen, was viele Menschen nicht verstanden haben. Mussten Sie damals Austritte hinnehmen, oder bekamen gar darum neue Mitglieder?
Diese Auseinandersetzung musste sein, wir konnten mit Ausgleichsmassnahmen (?) ja auch Verbesserungen erreichen. Austritte gab es deswegen kaum. Es scheint die Leute weniger bewegt zu haben, als man aufgrund der Medienberichte und Politikerstatements hätte meinen können.
