
Warum FC-Aarau-Spieler Raoul Giger trotz Krankheit von der grossen Karriere träumen darf
Die Sonne brennt, auf den Rängen im Brügglifeld kocht die Stimmung über, unten auf dem Rasen liefern sich die Mannschaften einen intensiven Kampf. Es ist der 9. Spieltag der Challenge-League-Saison 2016/17, der FC Zürich steht vor der ersten Niederlage, erst ein Eigentor von FCA-Captain Sandro Burki in der 94. Minute zum 1:1 sichert dem Favoriten doch einen Punkt. Gibt es eine bessere Kulisse für das Profidebüt? «Nein», sagt Raoul Giger, der in der 84. Minute eingewechselt wird. Trotz Kurzeinsatz: Giger erhält gute Kritiken, imponiert mit seiner Physis und Unerschrockenheit. Er erinnert die Beobachter an den jungen Silvan Widmer.
Gut zwei Jahre später sitzen wir mit Giger auf der Terrasse des Mannschaftshotels in Spanien, wo der FC Aarau sich auf die Rückrunde vorbereitet. Vor wenigen Stunden hat Giger seinen Vertrag bis 2021 verlängert – trotz Anfragen anderer Vereine. Er sagt: «Mein Ziel war es immer, beim FC Aarau zu bleiben. Der Klub ist für mich eine Herzensangelegenheit und ich bin überzeugt vom Plan unseres Sportchefs Sandro Burki.» Ein Jahr zuvor war Burki noch Spieler und teilte sich im Trainingslager ein Zimmer mit Giger. Nun ist Letzterer eines der vielversprechendsten Rösser im Stall des neuen FCA-Sportchefs. Die Hoffnung, mit Giger einst viel Geld zu verdienen wie 2013 mit Silvan Widmer, als der Serie-A-Klub Udinese über eine Million Franken ins Brügglifeld überwies, ist gross.
Der Knick im Aufstieg
Die Parallelen zwischen Giger und Widmer sind offensichtlich: Beide sind Rechtsverteidiger und stiessen in jungen Jahren zum Team Aargau, durchliefen alle Altersstufen und schafften von der U18 den Sprung ins Aarauer Profikader. Doch anders als jener von Widmer erlitt Gigers Aufstieg einen Knick. Seit dem Einstand gegen den FC Zürich hat er stagniert. Gründe dafür gibt es mehrere: Der damalige FCA-Trainer Marco Schällibaum setzte lieber auf Erfahrung denn auf die Jugend. Als Giger zwecks mehr Spielpraxis eine Ausleihe zum FC Wohlen anpeilte, scheiterte diese wegen Animositäten zwischen den Klubverantwortlichen.
Und dann ist da der März 2017, in dem Giger von der Bildfläche verschwindet. Der Grund: eine Operation am Herzen. Giger leidet bereits im Nachwuchs unter Herzrasen, das aus dem Nichts auftaucht und nur kurz andauert. Anfangs behält er die Vorfälle für sich, doch nach der Aufnahme ins Profikader bleibt keine andere Wahl, als sich den FCA-Verantwortlichen anzuvertrauen. Diese machen Giger klar, er müsse sich ärztlich untersuchen lassen, ansonsten könnten sie die Verantwortung nicht länger übernehmen. Kurz darauf steht die Diagnose: Tachykardie, auf Deutsch «Herzschnelligkeit.» Giger entscheidet sich für einen operativen Eingriff. Doch kurz nach der Rückkehr auf den Platz stellt sich heraus, dass das Herzrasen geblieben ist. Die Ursache für Tachykardie ist nicht in allen Fällen eruierbar.
Giger lässt sich regelmässig untersuchen, auf weitere Eingriffe hat er bislang verzichtet. Die Ärzte haben ihm und dem FCA versichert, dass trotz Tachykardie das Risiko für eine lebensbedrohliche Herzattacke nicht grösser ist als bei «gesunden» Spielern. Giger ist kein Einzelfall, auch bei anderen Fussballern wurde Tachykardie diagnostiziert. Mit einigen Tricks sind die Anfälle so zu kontrollieren, dass sie im Training und im Spiel kein Hindernis sind. In der Vorrunde der laufenden Saison stand Giger zwei Mal in der Startelf, beim 3:0 gegen Chiasso im letzten Spiel des Jahres war er einer der Besten auf dem Platz. Mit der Vertragsverlängerung im Rücken will er sich im kommenden Halbjahr als Zukunftselement empfehlen. In den Augen der FCA-Verantwortlichen ist Giger das Sinnbild der Devise, wieder mehr Talente aus der Region zu fördern.
So wie einst Silvan Widmer, über den Giger sagt: «Er ist ein Vorbild.» Dass er es genauso weit schaffen kann wie sein Vorgänger beim FCA, davon ist er überzeugt: «Im Frühling mache ich die Matura an der Sportkanti. Danach setze ich zwei Jahre voll auf Fussball, um herauszufinden, ob eine gute Karriere drinliegt. Schöpfe ich mein Potenzial aus, ist Aarau nicht meine letzte Station. Italien ist ein Traum, der Fussball dort gefällt mir. Nur wer hohe Ziele anpeilt, erreicht etwas.» Von Sebastian Wendel
Grosse Chance gegen Schaffhausen
Ob Raoul Giger wie im letzten Vorrundenspiel gegen Chiasso (3:0) auch beim Rückrundenauftakt gegen Schaffhausen in der Startelf steht? Gut möglich. Denn sein Konkurrent auf der Position des Rechtsverteidigers, der wiedergenesene Miguel Peralta, erlitt vergangene Woche einen kleinen Rückschlag im Knie. Im FCA-Mittelfeld sind Gilles Yapi und Edmond Ramadani gesperrt. Ebenfalls fehlen werden die langzeitverletzten Peyretti und Misic sowie Mehidic, der sich im zweitletzten Testspiel gegen Yverdon den Knöchel verdrehte. Zum Gegner: Schaffhausen hat mit Nikolic, Rhyner und Lika drei Teamstützen an die Super League verloren. Was für den FC Aarau die Chancen steigen lässt, nach den zwei Niederlagen in der Vorrunde (1:2, 1:4) erstmals in dieser Saison gegen die Nordostschweizer Punkte zu holen. Anpfiff ist am Montag um 20 Uhr. (wen)