Wer soll mehr Steuern bezahlen? – Fragen und Antworten zur 99-Prozent-Initiative

1. Worum geht es bei der 99-Prozent-Initiative?

Die Volksinitiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern (99-Prozent-Initiative)» zielt auf die Vermögensungleichheit in der Schweiz. Die Vorlage kritisiert, dass das reichste Prozent der Bevölkerung heute mehr als 43 Prozent des Gesamtvermögens besitze. Die Initiative möchte Kapitaleinkommen wie Zinsen, Mieterträge oder Dividenden über 100000 Franken eineinhalbmal so stark besteuern wie Lohneinkommen. Mit den Mehreinnahmen von jährlich zwischen fünf und zehn Milliarden Franken sollen die Einkommenssteuern für Personen mit tiefen und mittleren Löhnen gesenkt werden. Ebenfalls unterstützt werden können damit Leistungen der sozialen Wohlfahrt wie Familienleistungen, Bildung und Gesundheit.

2. Was sind Kapitaleinkommen?

Beim Verkauf von Immobilien, Unternehmen oder Aktien können sogenannte Kapitalgewinne anfallen. Unter Kapitaleinkommen sind Einkommen zu verstehen, die nicht durch eine Lohnarbeit, eine selbstständige Tätigkeit oder durch Ansprüche aus Sozialversicherungen generiert werden. Darunter fallen zum Beispiel Dividenden, Zinsen, Mieteinnahmen und Kapitalgewinne.

3. Gab es ein solches Anliegen schon einmal?

Vor zwei Jahren wurde eine Initiative für eine höhere Besteuerung von Topverdienern im Kanton Basel-Stadt mit 52,7 Prozent angenommen. Damit wurde die Steuerbelastung für Einzelpersonen mit Jahreseinkommen ab 200000 Franken und Verheiratete ab 400000 Franken von 26 auf 28 Prozent erhöht.

4. Wer steht hinter der Initiative?

Lanciert wurde die 99-Prozent-Initiative von den Jungsozialisten (Juso). Unterstützung erhalten die Juso-Mitglieder von ihrer Mutterpartei SP Schweiz und den Grünen.

5. Was sind die Argumente der Befürworter?

Die Ungleichheit zwischen denjenigen, die arbeiten, und denjenigen, die besitzen, werde immer grösser, sagen die Befürworterinnen und Befürworter. So seien Kapitaleinkommen bei der Besteuerung privilegiert; Grossaktionäre müssten beispielsweise auf 60 Prozent ihres Einkommens Steuern zahlen – während alle anderen ihr gesamtes Einkommen versteuern müssen. Wegen dieser Steuerprivilegien fehle dem Staat Geld, weshalb zum Beispiel in der Bildung oder beim Gesundheitssystem gespart werden müsse. Die Initiative generiere jährliche Mehreinnahmen von bis zu 10 Milliarden Franken bei Bund und Kantonen. Diese Einnahmen sollen dazu verwendet werden, die lohnabhängige Bevölkerung zu entlasten, so die Befürworter.

6. Wer ist dagegen?

Der Bundesrat empfiehlt die Initiative zur Ablehnung. Auch eine Mehrheit des Parlaments und der Kantone lehnt die Volksinitiative ab. Von den Parteien sprechen sich FDP, Mitte, SVP und GLP gegen die 99-Prozent-Initiative aus. Weiter auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der Gewerbeverband, die Interessenorganisation der Familienunternehmen Swiss Family Business und Digital Switzerland. Ebenfalls dagegen ist der Verband Swiss Entrepreneurs & Startup Association, der unter anderem KMU vertritt. Auch der sozialliberale Flügel der SP, die sogenannte Reformplattform, lehnt die Volksinitiative – anders als ihre Mutterpartei – ab.

7. Was sind die Argumente der Gegner?

Der Bedarf nach Umverteilungen sei in der Schweiz geringer als in anderen Ländern, argumentiert der Bundesrat. Eine Erhöhung der Steuern auf Kapitaleinkommen würde zudem die Anziehungskraft der Schweiz für Vermögende mindern. Die Markteinkommen seien in der Schweiz so gleichmässig verteilt wie in keinem anderen Industrieland, heisst es von Seiten der Wirtschaftsverbände. Sie argumentieren, dass hierzulande noch weniger investiert würde, wenn Kapitaleinkommen noch stärker besteuert wären. Economiesuisse betont, dass es keine Rolle spiele, ob ein Einkommensfranken aus Kapital oder Arbeit resultiere – die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sei die gleiche. Auch die Reformplattform der SP argumentiert, dass die Initiative den Mittelstand treffe. So würden Arbeitnehmende, die sich bei der Pensionierung von ihrem angesparten Alterskapital zum Beispiel 500000 Franken auszahlen liessen, dies gemäss der Initiative versteuern müssen, wie wenn es 700000 Franken wären.

8. Warum sind die KMU ein Zankapfel?

Die Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wird von beiden Seiten immer wieder debattiert. Die Gegner befürchten, dass vor allem den Familienunternehmen die finanziellen Mittel für Investitionen in Mitarbeitende, Forschung und Entwicklung entzogen werden könnten. Denn bei vielen Firmenbesitzern sei das Vermögen im Unternehmen gebunden. Die Initianten betonen, dass keine Unternehmen, sondern nur das reichste Prozent der steuerpflichtigen Privatpersonen betroffen wären. Dank der Rückverteilung des gemeinsam erarbeiteten Wohlstandes steige ausserdem die Kaufkraft der Bevölkerung, wovon insbesondere lokal orientierte Betriebe wie Restaurants oder Coiffeursalons profitieren würden, so die Befürworterinnen und Befürworter.

9. Welche Fragen sind noch offen?

Der Initiativ-Text lässt offen, ob mit dem Freibetrag einzig Dividenden und Zinsen oder beispielsweise auch Grundstückgewinne gemeint sind. Es soll einen noch undefinierten Freibetrag geben, bevor stärker besteuert wird. Die Initianten denken etwa an 100000 Franken.