
Wie Lernende nach über einem Jahr Corona ihren letzten Test erlebten – Gastro-Jahrgang könnte überdurchschnittlich werden
Im Frühling 2020, die Pandemie war gerade voll im Gange, fanden praktisch keine Lehrabschlussprüfungen statt. Keine Prüfungen in der Allgemeinbildung. Keine in der Berufskunde. Und die praktischen Arbeiten wurden nur in denjenigen Branchen durchgeführt, in denen sie mit den damals geltenden Schutzkonzepten möglich waren. Und auch nur dann, wenn dies in sämtlichen Kantonen der Fall war. Waren die praktischen Prüfungen in nur einem Kanton nicht durchführbar, wurden sie überall gestrichen. In diesen Fällen wurden die Lernenden aufgrund ihrer Leistung in der Lehrzeit benotet.
Das sollte dieses Jahr nun anders werden. Dazu hat der Bundesrat extra eine Taskforce eingesetzt. Sie soll sicherstellen, dass die Prüfungen möglichst normal stattfinden können. Auch die praktischen Teile.
Zur Sicherheit wurden in denjenigen Berufen, in denen die praktischen Arbeiten gefährdet waren, Alternativen vorbereitet. Das können je nach Branche zentral durchgeführte, oder aber auch verkürzte praktische Prüfungen sein. Nur im Ausnahmefall sollen erneut gar keine Prüfungen stattfinden.
Normal sind die Prüfungen dieses Jahr bei weitem nicht
Bei 48 der insgesamt 314 Berufe wurden Alternativen vorbereitet. Betroffen sind hauptsächlich folgende Branchen: Autogaragen, Logistik, Gastronomie, Betreuung und Berufe mit Tieren.
Bisher musste im Aargau auf keine einzige alternative Prüfung ausgewichen werden. Es werden allerdings nicht ganz alle Prüfungen im Kanton durchgeführt. Angehende Gebäudereiniger, Tierpflegerinnen und Fachleute Betriebsunterhalt werden in anderen Kantonen geprüft und müssen alternative praktische Prüfungen durchführen. Und auch wenn in allen anderen Berufen zumindest offiziell alles wie immer abläuft – normal sind die Prüfungen dieses Jahr bei weitem nicht.
Kita: Prüfungen Kurzfristig ab- und dann doch wieder angesagt
Die praktischen Abschlussprüfungen in den Kindertagesstätten waren dieses Jahr eine Zangengeburt. Im Herbst 2020 begannen die Kitaleitungen wie gewohnt, die Prüfungen vorzubereiten. Am 11. Januar 2021 teilte dann der Dachverband der sozialen Berufe Savoir Social mit: Es finden wie bereits im Vorjahr keine praktischen Prüfungen statt. Weitere Infos würden folgen.
Am 27. Januar, also nur wenige Tage bevor erste Prüfungen normalerweise stattgefunden hätten, war dann plötzlich alles anders: Die praktischen Prüfungen sollten nach Rücksprache mit dem Kanton doch durchgeführt werden.
Das war dann doch etwas gar kurzfristig. Und so musste die Prüfung von Melanie Storz zuerst einmal verschoben werden. Die 19-jährige angehende Fachfrau Betreuung mit Fachrichtung Kinderbetreuung ist im dritten Lehrjahr in der Kita Chinderdschungel des Vereins ABB Kinderkrippen in Baden.

Melanie Storz (rechts) und Krippenleiterin Nadia Rey im Chinderdschungel in Baden. Auch im Aussenbereich der Kita gilt Maskenpflicht. Fürs Foto haben sie diese kurz abgenommen.
Weil nicht gesungen werden darf, mussten kreative Alternativen her
Erst Anfang März konnte Melanie Storz dann zeigen, was sie alles gelernt hatte. Aus vier Teilen à je zwei Stunden bestand ihre Prüfung: Sie musste für die Kinder ein Angebot zum Thema Kreativität machen und entschied sich, mit ihnen zu malen. Eine weitere Aufgabe war, ein freies Spielen mit den Kindern zu leiten und sie zu beaufsichtigen. Und schliesslich musste Storz noch eine Aktivität zum Thema Bewegung organisieren: Sie baute für die Kinder einen Bewegungsparcours auf. Zudem hatte die Fachfrau Betreuung die Übergabe der Kinder an die Eltern zu leiten, alle Informationen weiterzugeben und vom Tag zu erzählen.
Das alles lief soweit fast normal. Auch wenn die Lernende wie alle Erwachsenen in der Kita eine Maske tragen musste, auch wenn die Eltern gestaffelt ihre Kinder abholten und auch wenn sie Alternativen suchen musste, weil damals in Kitas nicht gesungen werden durfte. Sie wich auf Fingerverse oder Tanzeinlagen aus.
Das Expertengespräch musste telefonisch geführt werden
Was anders war als in anderen Jahren: Normalerweise ist bei der insgesamt achtstündigen Prüfung, die sich über drei Tage erstreckt, jeweils für eine Stunde ein externer Experte dabei. Auch er beobachtet die Lernende und stellt ihr Fragen. Das fliesst in die Bewertung mit ein. Gleichzeitig können sich die Lernenden an den Experten wenden, sollte sie das Gefühl haben, dass mit der Prüfung, die sonst komplett betriebsintern durchgeführt wird, irgendetwas nicht in Ordnung ist.
Weil zu diesem Zeitpunkt allerdings keine «Fremden» Kitas betreten sollten, wurde dieses Gespräch telefonisch durchgeführt. Worüber Storz nicht traurig war: «Ich war vielleicht ein bisschen gelassener, weil mich nicht noch jemand bei der Arbeit beobachtete.»
Nervös sei sie dann trotzdem gewesen. Auch wenn sie gut vorbereitet wurde. Obwohl nicht immer klar war, ob die Prüfung durchgeführt wird oder nicht, wurde sie sicherheitshalber darauf vorbereitet. Sie konnte zum Beispiel vorher eine kürzere Probeprüfung absolvieren.
Wie sie abgeschnitten hat, weiss Storz noch nicht. Sie hatte diese Woche noch die schriftlichen und mündlichen Prüfungen und erfährt das Ergebnis erst später. Sollte sie bestehen, könnte sie aber im Unternehmen bleiben. Zwar wird sie den «Chinderdschungel» verlassen, bekäme aber in Wettingen eine Stelle.
Ohne Prüfung fühlt sich der Abschluss nicht gleich an
2020 keine, 2021 doch wieder praktische Prüfungen: Braucht es die überhaupt? Ja, findet Kitaleiterin Nadia Rey:
«Ich finde es wichtig, dass die Prüfungen absolviert werden können. Die Lernenden können unter Beweis stellen, was sie alles gelernt haben. Es ist nochmals eine andere Herausforderung für sie.»
Was meint Storz dazu? War sie auch froh, die Prüfung machen zu können? Als es zuerst hiess, die Prüfung findet nicht statt, sei sie schon kurz erleichtert gewesen. Aber als es hiess: Sie finden doch statt, habe sie sich gesagt:
«Das ist jetzt meine Chance, hier kann ich nochmals alles zeigen, was ich kann. Auch bei vorgegebenen Aufgaben mit klaren Zielen und auch wenn ich beobachtet werde: Ich kann das.»
In der Gastronomie konnten sich einige fast gar nicht vorbereiten
«Wir wussten nicht, ob dieser Tag komplett schiefgeht», sagt Urs Kohler, Direktor von GastroAargau über die praktischen Abschlussprüfungen der Restaurationsfachmänner und -frauen. Diese fanden letzte Woche über vier Tage verteilt statt. Was Kohler Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass die Lernenden in ihren Betrieben teilweise fast gar nicht zum Üben kamen. Viele Restaurants waren über Monate geschlossen, gewisse Betriebe konnten erst in der Woche der Prüfungen wieder öffnen. Die fehlende Routine durften sich die Lernenden am grossen Tag aber nicht anmerken lassen, jeder Griff sollte sitzen.
Einer von ihnen ist der 19-jährige Daniel Gubler, der im Hotel Bären in Suhr die Lehre zum Restaurationsfachmann gemacht hat. Einen Tag lang dauerte seine praktische Prüfung. Dort musste er zwei Zweiertische komplett aufdecken und zweieinhalb Stunden vier Leute bedienen. «Ich merkte, dass mir die Übung fehlt», sagt der 19-Jährige. So habe er zum Beispiel vergessen, den Damen den Stuhl zurechtzurücken.
«Der Tag verlief viel besser, als wir befürchtet hatten»
Gubler hatte aber noch Glück. Um überhaupt etwas zu tun zu haben, konnte er vorübergehend ins Hotel Aarau West wechseln: Dort machte er den Frühstücksservice und bediente auf der Terrasse, als diese wieder öffnete. Das war nicht bei allen so. Kohler sagt:

Urs Kohler von Gastro Aargau ist nach den praktischen Prüfungen erleichtert.
«Die Betriebe kümmerten sich während dem Beizenlockdown sehr unterschiedlich um die Lernenden.»
So hätten einige lange Zeit überhaupt nicht arbeiten können.
Doch es kam gut. Es gab keine Prüflinge, die einen Totalausfall hatten oder gar nicht mit den Aufgaben zurecht kamen. Dass liege zum grossen Teil auch am Intensivtraining, welche der Kanton zusammen mit Gastro Aargau vor den Prüfungen organisiert hatte, sagt Kohler. Während vier Tagen konnten die Lernenden in verschiedenen Betrieben die mangelnde Routine nachholen. In einem Extracoaching wurden zudem die Prüfungsaufgaben geübt. «Das war super und hat mir nochmals einen Extraschub gegeben», sagt der 19-jährige Daniel Gubler. Die Kosten für die Intensivtrainings wurden von Bund, Kanton und GastroAargau bezahlt.
Aus Langeweile haben viele angefangen früher zu lernen
Wie Gubler abgeschlossen hat, wird er erst in ein paar Wochen erfahren. Doch eine Aussage von Kohler dürfte ihn positiv stimmen:
«Der Notendurchschnitt liegt dieses Jahr höher als in den letzten Jahren, sowohl bei der theoretischen, wie auch bei der praktischen Prüfung.»
Haben sie die Anforderungen aufgrund der speziellen Bedingungen herabgesetzt? Nein, beteuert Kohler: «Die Lernenden mussten auch dieses Jahr die gleichen Fähigkeiten beweisen.» Es könne aber durchaus sein, dass ein Experte bei Kleinigkeiten etwas weniger streng war, weil er wusste, die Routine fehlt.
Dass sein Jahrgang bei den theoretischen Prüfungen besser war, erklärt sich Gubler so:
«Ich habe etwa eineinhalb Monate nicht gearbeitet. Irgendwann war mir so langweilig, dass ich angefangen habe zu lernen.»
So ist es wohl vielen seiner Kommilitonen ergangen. Und hätte er sich gefreut, wenn er, wie die Lernenden vor einem Jahr, die praktische Prüfung nicht hätte absolvieren müssen? «Ich habe gehört, dass Arbeitgeber dem Jahrgang von 2020 skeptischer gegenüberstehen, ich bin also froh, konnte ich die Prüfung machen.» Weil im letzten Jahr keine praktischen Serviceprüfungen stattfinden konnten, wurden die Lehrabgänger vom Betrieb selbst beurteilt. Dies mache sich schlechter als eine ordentliche Prüfung, so Gublers Vermutung.
Wegen Corona schafften es nicht alle ins Ziel
Und auch Kohler sagt, im letzten Jahrgang seien viele enttäuscht gewesen, dass sie die Prüfung nicht absolvieren konnten:
«Die jungen Leute wollten unbedingt beweisen, was sie gelernt haben, das hat mich berührt.»
Die Prüfungen dieses Jahr gingen also glimpflich über die Bühne, das Schreckensszenario von völlig hilflosen Lehrlingen blieb aus. Neben Maske und beschränkter Personenzahl war aber noch etwas anderes von Corona zu spüren: «Normalerweise haben wir immer mindestens zwei Klassen, dieses Jahr war es nur eine», sagt Kohler. Dies führt er darauf zurück, dass es aufgrund der erschwerten Bedingungen im Betrieb nicht alle Lernenden bis ins Ziel geschafft haben.
Daniel Gubler freut sich, wenn dann alles wieder ganz normal ist im «Bären». Dort hat er nämlich nach der Lehre eine Festanstellung gefunden.