Wilde, stachlige Gefährtin auf Zeit

Wildlachs-Glace, hergestellt aus laktosefreiem Joghurt, ohne Zuckerzusatz und Konservierungsstoffe. Snacks in Kleeblattform als Glücksbringer aus Vollkorndinkel- und Roggenmehl, Kokosfett, Äpfeln und Spinat. Veganes Kokos-Sonnenblumenöl, das den Stoffwechsel fördert, gut für Haut und Haare und gegen Parasiten ist. Tierliebe kennt keine Grenzen und keine Krise. Beim Futterangebot für Haustiere sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Snacks, Luxus- oder Convenience-Produkte finden eine steigende Nachfrage. Vor allem das Premium-Produkt-Segment boomt, aber auch Nahrungsergänzungsmittel sowie die Komplementärmedizin haben die Tierwelt erreicht. Neben Akupunktur und Shiatsu wird auf Schüsslersalze sowie Bachblüten gesetzt. Und um die traurige Katze aufzuheitern oder den ängstlichen Hund zu beruhigen gibt es Antidepressiva mit Fleischgeschmack. Als Alternative ist auch eine rosa Brille erhältlich, die zum Mäntelchen, dem funkelnden Halsband ebenso wie zu den atmungsaktiven Hundeschuhen passt.

Tiershops boomen auch online, denn das Angebot wird rege genutzt: Laut Zahlen des Bundesamts für Statistik gibt jeder Schweizer Haushalt im Schnitt 29 Franken monatlich für seinen Liebling aus. Werden «nur» die 27,3 Prozent an Haushalten mit Hunden oder Katzen berücksichtigt, werden 89 Franken jeden Monat hingeblättert. Zum Vergleich: Süssigkeiten wie Schokolade, Honig, Konfitüre und Glace sind Herrn und Frau Schweizer lediglich 40 Franken pro Monat und Haushalt wert.

Auch ich liebe Tiere und hatte das Glück mit Hunden, Hühnern, Zierfischen, Wasserfröschen, Wellensittichen, Kaninchen und Meerschweinchen aufzuwachsen. Ausmisten, Füttern, Spazierengehen gehörte zu meinen Pflichten. Zugegeben, die meiste Arbeit hatte mein Vater und ich hatte das Vergnügen. Freud und Leid geteilt habe ich vor allem mit unserem Hund Cäsar und meinem grünen Wellensittich. Joggi sass mit Vorliebe auf meiner Schulter, zerzauste meine Haare und wenn ihm was nicht passte, pickte er mich. Verglichen mit unserem Hund tanzte Joggi nur nach meinem Pfiff, wenn es ihm passte. Er gab Widerworte und freute sich mich zu sehen, wenn ihm der Sinn danach stand. Ich dachte, er sei ein unglücklicher Single und statt ihm Antidepressiva unter die Körner zu mischen, kaufte ich ihm mit meinem eisern ersparten Taschengeld, ein blaues Weibchen. Doch Joggi flog lieber frei im Zimmer rum, als sich mit der Neuen abzugeben. Die beiden zankten sich pausenlos. Als sie ihm an den Kragen ging und Federn ausrupfte, setzte ich der Zweisamkeit ein Ende, indem ich für sie ein neues Daheim fand.

Die freie Natur lockt bald auch unseren stacheligen Gast auf Zeit, seine Wege zu gehen. Die letzten zwei Monate gewährten wir einem Igel Unterschlupf. Das untergewichtige, stark hustende Igelmädchen lief einer Freundin im Dezember zu. Seit Mitte Februar päppeln wir Mimi weiter auf, denn die Igelpflegestation in Oberentfelden ist voll belegt und die vielen Igelpatienten verlangen dem ehrenamtlichen Helferteam alles ab. Für meine Tochter und mich heisst es täglich ausmisten und füttern. Das Streicheln erübrigt sich bei so einer stachligen, aber durchaus herzerwärmenden wilden Gefährtin von selbst. Stimmungsaufheller braucht Mimi trotzdem nicht. Sie gedeiht bei Wasser und Katzentrockenfutter prächtig.