Wird die Schweiz den Gegner «einschläfern», oder wird es ein Spaziergang? So blicken die Franzosen auf den Achtelfinal

Selbstzweifel sind nicht französisch, könnte man in Abwandlung eines Napoleon-Bonmots sagen. Nach den Hitchcock-Simultanspielen um den ersten Platz in der Gruppe F geht Frankreich eher beruhigt ins Achtelfinale. Gegen die Schweiz sei ein «Spaziergang in Sicht», fasste ein Forumsteilnehmer der Sportzeitung L’Equipe die Stimmung zusammen.

Die Zeitung «Le Parisien» titelte am Donnerstag freundlich formulierend: «Die Schweiz, ein Gegner in Griffweite». Und das nicht nur, weil Frankreich ein Turnierfavorit ist, die Schweiz ein Aussenseiter. Günstig für Frankreich sei auch das 3-4-1-2-System des Schweizer Nationaltrainers Vladimir Petkovic, meinen Fussballexperten in Paris: Es gebe den schnellen französischen Stürmerstars die Möglichkeit überraschender Angriffe und Kontergelegenheiten.

Die seriösen Sportmedien Frankreichs ziehen allerdings auch den Hut vor den Traumtoren von Xherdan Shaqiri gegen die Türkei. «France Football» lobt das Mittelfeldpaar Freuler-Xhaka und warnt vor Namen wie Embolo oder Sefereovic.

Frankreich gewann nur eine der letzten fünf Partien gegen die Schweiz

Eher verwundert nehmen die Franzosen zur Kenntnis, dass sie von den letzten fünf Direktbegegnungen gegen die Schweizer nur eine gewonnen haben – an der WM 2014 mit dem Resultat 5:2. Die vier übrigen Gruppenspiele gingen unentschieden aus. Das ist im K.o.-System der Finalrunde nicht mehr möglich. Endet das Achtelfinale am Montag (21 Uhr, SRF zwei) in Bukarest unentschieden, müsste ein Penaltyschiessen entscheiden.

Der Pariser Sportjournalist Simon will dieses Szenario nicht ausschliessen, da er den Schweizern Fähigkeit zubilligt, eine Partie gegen einen überlegenen Gegner «einzuschläfern und zu verriegeln». Allerdings haben die «Blauen» in ihren drei Gruppenspielen vorgemacht, wie gut sie aus dem Stand heraus Tore zustande bringen, wenn die gegnerische Mannschaft die Lage zu kontrollieren schien. So vergangenen Woche gegen Deutschland, so auch am Mittwoch gegen Portugal.

Doppeltorschütze Karim Benzema verabschiedet sich nach dem 2:2 gegen Portugal von den Fans.

Doppeltorschütze Karim Benzema verabschiedet sich nach dem 2:2 gegen Portugal von den Fans.

Bild: Franck Fife/AP (Budapest, 23. Juni 2023)

Frankreichs Stars wirken müde

Obschon die Franzosen nicht zu Selbstzweifeln neigen, mahnen doch viele zur Vorsicht. Ihre Stars wirken nach langen Meisterschaften müde. Hernandez, Digne und Dembélé dürften gegen die Schweiz verletzungsbedingt ausfallen. Das Stürmertrio Mbappé-Griezmann-Benzema überzeugt bisher nur bedingt. Ein Fan fragt im Internet:

«Wann werden wir endlich den angeblich ‹besten Sturm der Welt› in Aktion sehen?»

Erleichtert sind die Franzosen, dass Karim Benzemas torlose Phase in der Nationalmannschaft nach fünf Jahren endlich zu Ende gegangen ist. «Halleluja, er hat getroffen!», frohlockte der Radiosender France-Inter mit leichter Ironie. Denn man muss es sagen: Die zu allem fähigen Mannen von Didier Deschamps haben die Nation bisher keineswegs mitgerissen.

Der blaue Funke hat noch nicht gezündet. Auch nach dem Gruppensieg kam es in den Strassen von Paris weder zu Freudengejohle noch zu Hupkonzerten. Begeistert sind die Fan-Foren nur von Mittelfeldstratege Didier Pogba und seinen millimetergenauen, oft matchentscheidenden Pässen. Kylian Mbappé und Antoine Griezmann spielten dagegen «nur eine Halbzeit voll», heisst es; und Torhüter Hugo Lloris zeige erstaunliche Schwächen.

Frankreichs Nationalmannschaft bei der Nationalhymne vor dem Spiel gegen Portugal.

Frankreichs Nationalmannschaft bei der Nationalhymne vor dem Spiel gegen Portugal.

Bild: Franck Fife/AP (Budapest, 23. Juni 2021)

Auch Frankreich hat eine Hymnen-Diskussion

Benzema wird in konservativen Blättern wie Le Figaro kritisiert, dass er die Marseillaise nicht mitsingt. Und dass sein Bruder am Schluss eines Interviews «vive l’Algérie» ausgerufen habe. «Hat das niemanden schockiert?», fragte ein Figaro-Leser in einem Forum. Eine Frau konterte, auch Michel Platini, Alain Giresse und selbst Deschamps hätten zur Nationalhymne kaum je die Lippen bewegt.

Was der Schweiz der albanische Doppeladler, ist Frankreich der Fall Benzema: Anlass zu Debatten, die letztlich auch eine Distanz der Anhänger zu den «in Gold bezahlten Fussballsöldnern» schaffen, wie man in französischen Foren liest. Diese Debatten führten auch dazu, dass die Blauen auf den von Mbappé und anderen geäusserten Wunsch, sich vor Spielbeginn niederzuknien, schlussendlich verzichtet haben: Der symbolische Akt gegen jede Form von Rassismus wurde vom französischen Fussballverband als zu «spaltend» angesehen; und die Spieler befolgten diese Empfehlung.

Rechte Kommentatoren betiteln die Nationalelf dennoch als «Macrons Multikult-Team», die es am patriotischen Eifer mangeln lasse. In den Banlieues wecken die heutigen Bleus allerdings auch wenig Leidenschaften.

Wobei zu sagen ist, dass Frankreich sogar in den «Weltmeisterjahren» 1998 und 2018 erst ab den Viertelfinals richtig aufgewacht war und in den Strassen gefeiert hatte. Ob es jetzt soweit kommt, hängt nicht nur von den Blauen ab, sondern auch von den Rot-weissen.