
YB-Verteidiger Loris Benito: Der andere Prophet im eigenen Land
Wer Aussergewöhnliches leistet, sieht sich nicht selten mit Neid und Missgunst konfrontiert. Und es gibt das Sprichwort, wonach der Prophet im eigenen Land nichts zählt. Anders ist es, wenn die Aargauer Sportler des Jahres gekürt werden. Dann strömen sie herbei – aus allen Landesteilen, aus dem Ausland. Und wer verhindert ist, weil er wie OL-Läufer Matthias Kyburz oder Radprofi Silvan Dillier in einem Trainingslager weilt, der fiebert zumindest aus der Ferne mit. Anders ist es bei Loris Benito, der am Freitagabend an der Aargauer Sport-Gala in der GoEasy-Arena in Siggenthal zum Aargauer Sportler des Jahres 2018 gewählt wurde, und den Preis persönlich in Empfang nahm, obwohl er am Samstagabend mit den Berner Young Boys auf den FC Sion trifft. Eine Ehrensache sei das, sagt der Linksverteidiger.
Der Aargauer Sport hat viele Parallelen mit dem Kanton. Mit 670 000 Einwohnern ist er nach Zürich, Bern und der Waadt der einwohnerstärkste Kanton des Landes. Es gibt Aarau und Baden, doch das grosse urbane Zentrum – es fehlt. Gleiches gilt für den Sport. Seit dem Abstieg des einst als «Die Unabsteigbaren» mystifizierten FC Aarau vor fünf Jahren ist der Kanton in der wichtigsten Publikumssportart, dem Fussball, nicht mehr in der höchsten Spielklasse vertreten. Und im letzten Jahr kapitulierte der lange wehrhafte FC Wohlen vor den Anforderungen des Profisports, unter denen er schon lange gelitten hatte.
Traditionell strukturschwach ist das Eishockey. Nie war ein Aargauer Verein in der höchsten Spielklasse vertreten. Einzig die Handballer des HSC Suhr Aarau halten das zweigeteilte, schwarz-blaue Wappen mit den drei silbernen Flüssen und den drei silbernen Sternen auf schwarzem Grund noch in die Höhe. Und so ist der Sport auch ein Spiegelbild des Kantons, der von seinen Ausnahmekönnern, den Propheten lebt, die auszogen, um sich anderswo einen Namen zu machen: in Zürich, in Basel, in Bern, oder im Ausland.
Aarau, Zürich, Lissabon
Wie Loris Benito. Er wuchs in Aarau auf, hat die Sportkantonsschule absolviert, durchlief beim FC Aarau sämtliche Junioren-Stufen und debütierte im November 2009 in der ersten Mannschaft. Es war die Saison, an deren Ende «die Unabsteigbaren» erstmals seit 1981 in die zweithöchste Spielklasse relegiert worden waren. Für ihn eine Chance. Er avancierte in der Challenge League zum Stammspieler. Seine Träume aber sind andere: 19-jährig ist der Sohn spanischer Eltern, als er davon spricht, irgendwann einmal bei Barcelona spielen zu wollen.
Nach drei Jahren und 50 Spielen für Aarau zieht er 2012 weiter. Nicht nach Spanien, erst mal nach Zürich, zum FCZ. Von dort schafft er 2014 den Sprung ins Ausland, zu Benfica Lissabon, mit 36 Titeln Rekordmeister in Portugal, dazu zweifacher Sieger im Europapokal der Landesmeister, der Verein von Eusebio, und daneben auch noch einer der grössten Sportvereine der Welt.
Er bleibt ein Jahr, in dem er nur sechs Spiele für die Águias (portugiesisch für Adler) spielt. Also macht Benito einen Schritt zurück, als er sich 2015 den Berner Young Boys anschliesst. Es brechen noch schwierigere Zeiten an. Der Verein fällt in eine schwere Führungskrise, die in der Entlassung von Freddy Bickel gipfelt, der Benito nach Bern geholt hatte. Bereits zuvor mussten Geschäftsführer Alain Kappeler und Verwaltungsrat Urs Siegenthaler das schlingernde Schiff verlassen.
Kreuzbandriss, Mittelfussbruch
Auch Benito spielt das Schicksal übel mit. Mitte Februar 2016 reisst er sich im Training das Kreuzband im rechten Knie. «Ich habe sofort gespürt, dass da einiges kaputtgegangen ist. Aber als ich die Diagnose erhielt, war es trotzdem ein Schock», sagt er damals. Es sind die schlimmsten Monate seiner Karriere. «Man stellt sich ganz viele Fragen. Und man ist teilweise brutal einsam.»
Zehn Monate später steht er erstmals wieder auf dem Platz, doch das Glück ist ihm nicht lange hold. Nach vier Spielen bricht er sich den Mittelfuss. Wieder Operation. Wieder Fitnessraum. Wieder Rehabilitation. Benito stellt sich Fragen, auch grundsätzliche. Zu Beginn der Karriere hatte er kurz mit dem Gedanken gespielt, neben dem Fussball ein Studium in Angriff zu nehmen, sich dann aber doch dagegen entschieden. Begründung: «Wenn ich etwas mache, dann richtig.» Er nutzt die Zeit für eine Reise in sein Inneres, findet Inspiration im Buddhismus. Und er bestreitet einen Grossteil der Rehabilitation in London.
Es ist der Wendepunkt in seiner Geschichte. Dort lernt Benito auch seine Freundin Bryony kennen, die erst lange zwischen London und der Schweiz hin- und her pendelt, inzwischen aber mit Benito in Hunzenschwil wohnt. Als YB im ersten Spiel der letzten Saison den damaligen Serienmeister Basel besiegt, spielt Benito durch. Er wird im Ensemble von Adi Hütter zum unverzichtbaren Wert und endlich auch zu jener Stütze, als die man ihn aus Portugal geholt hatte.
Im Sommer 2018 feiern die Young Boys ihren ersten Meistertitel nach 32 Jahren. Für die Berner wie Benito ist es gleichermassen Erlösung wie Erweckung. Im November des gleichen Jahres trägt Benito beim 0:1 gegen Katar dann endlich auch erstmals das Trikot der Schweizer Nationalmannschaft. Fünf Jahre zuvor hatte ihn Vladimir Petkovic erstmals aufgeboten, doch gespielt hat er nie. YB und Benito – sie mussten beide lange auf ihren Moment warten.
Der Traum vom Ausland
Loris Benito ist ein Kosmopolit. Er lebte in Zürich und Lissabon, in London und Bern. Er spricht Spanisch und Deutsch, Portugiesisch und Englisch, Französisch und Italienisch. Im Sommer läuft sein Vertrag bei YB aus. Sein Traum ist das Ausland: Spanien, Italien, Deutschland oder England. Benito wird weiterziehen. Doch dem Aargau, seiner Heimat, bleibt er verbunden. So schnell wird er zwar nicht zurückkehren in den Schoss des FC Aarau. Doch mit der Auszeichnung zum Sportler des Jahres widerlegt er zumindest das Sprichwort, das besagt, der Prophet gelte im eigenen Land nichts.
Aargauer Sportler/in des Jahres 2018:
1. Loris Benito 31,3 %
2. Elena Quirici 18,6 %
3. Silvan Dillier 15,0 %
4. Matthias Kyburz 12,4 %
5. Oliver Hegi 12,2 %
6. Team Tirinzoni 10,5 %
Bisherige Sieger:
2017: Katrin Stirnemann
2016: Judo Team Brugg
2015: Rico Peter
2014: Silvan Dillier
2013: Lucas Fischer
2012: Silvan Dillier
2011: Lucas Fischer
2010: Esther Süss
2009: Sead Hajrovic