Zerstrittene Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm: Regierung sieht Fortschritte – doch gegen Chef Simon Burger läuft jetzt eine Strafanzeige

«Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm funktioniert gut.» Zu diesem Schluss kam das Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob) bei einer Standortbestimmung im Juni, wie die Aargauer Staatskanzlei nun mitteilt.

Das Institut habe festgestellt, «dass die Mitarbeitenden und der Leitende Staatsanwalt ihre Aufgaben in der Bearbeitung von Strafverfahren mit grossem Engagement erfüllen». Was banal klingt, ist nicht selbstverständlich, denn seit bald anderthalb Jahren schwelt bei der Strafverfolgungsbehörde eine Vertrauenskrise.

Im Juni 2020 machte die AZ publik, dass eine Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm ihrem Chef Simon Burger schlechte Amtsführung vorwirft. Burger sei ein Machtmensch, mische sich in Verfahren von Kolleginnen ein und dränge sie, höhere Strafanträge zu stellen – ausserdem verbreite er eine Angstkultur, hiess es in der Beschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft.

Oberstaatsanwalt und Führungscoach nicht mehr vor Ort in Zofingen

Der Regierungsrat liess diese Vorwürfe extern untersuchen. Eine erste Analyse des Instituts iafob stellte Burger ein schlechtes Zeugnis aus: Eine deutliche Mehrheit der Mitarbeitenden beurteilte ihn in einer Befragung «als die falsche Person für die Leitung der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm». Burger wurde bereits im Juli 2020 ins Homeoffice versetzt – auf Drängen aller 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zwar durfte Burger im März dieses Jahres ins Büro zurückkehren, aber nur unter Aufsicht eines Führungscoaches und eines Oberstaatsanwalts.

Diese Begleitmassnahmen – die Präsenz der Oberstaatsanwaltschaft in Zofingen und das Führungscoaching – sollen nun abgebaut werden. «Damit soll dem Leitenden Staatsanwalt und den Mitarbeitenden die Möglichkeit gegeben werden, die Führungs- und Arbeitskultur eigenständiger weiterzuentwickeln», schreibt die Regierung.

Hier seien «die möglichen Fortschritte noch nicht vollständig erzielt worden» und die Situation sei «gut anderthalb Jahre nach Ausbruch des Vertrauenskonflikts nach wie vor anspruchsvoll». Burger müsse seine Führungsrolle wieder aktiver wahrnehmen und auf Vertrauensbildung ausrichten. Bei einem Teil der Mitarbeitenden seien «weitere Verbesserungen in der Grundhaltung und im gegenseitigen Vertrauen erforderlich», teilt die Regierung mit.

Interne Quelle: Tiefer Graben und grosses Misstrauen

Die vorsichtig gewählten Worte der Regierung klingen noch nicht nach einem gelösten Konflikt. Eine Person, die Einblick in die Verhältnisse bei der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm hat, beschreibt die Situation gegenüber der AZ so: Es bestehe weiterhin ein tiefer Graben und grosses Misstrauen zwischen Burger und den Mitarbeitenden.

Nach diversen Kündigungen seien nur noch drei erfahrene Staatsanwälte in Zofingen tätig. «Die Neuen kommen in ein zerrüttetes Team mit einer Führungsperson, die weiterhin nur mit sich selbst beschäftigt ist», fasst die Person die Lage zusammen.

Burger habe sein Verhalten kaum verändert, er sehe seine Fehler nicht ein, das Coaching habe nichts gebracht, sagt die Quelle. Von einer Verbesserung kann aus Sicht der Person keine Rede sein. Wenn überhaupt, dann habe sich die Lage etwas entspannt, weil Burger aufgrund der zahlreichen Abgänge nun weniger Gegenwind entgegen blase. Die Neuen würden sich logischerweise nicht trauen, gegen ihren Chef aufzubegehren.

Simon Burger teilte der AZ am Donnerstagabend mit, dass es ihm nicht möglich ist, sich kurzfristig zu diesen komplexen Vorwürfen Stellung zu äussern. Er stellte aber eine Stellungnahme für Freitag in Aussicht.

Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch gegen Burger eingereicht

Zudem ist Simon Burger mit einem neuen Problem konfrontiert: Nach Informationen der AZ wurde der Leitende Staatsanwalt wegen Amtsmissbrauch angezeigt. Samuel Helbling, Mediensprecher des kantonalen Innendepartements, teilt auf Anfrage mit:

«Wir können bestätigen, dass eine Strafanzeige gegen den Leitenden Staatsanwalt eingereicht wurde.»

Zum Inhalt der Strafanzeige will das Departement von Regierungsrat Dieter Egli keine Angaben machen. Sprecher Helbling teilt mit, die gesamte Staatsanwaltschaft Aargau befinde sich in diesem Fall im Ausstand. «Die Aufsichtskommission der Gerichte wird einen ausserordentlichen Staatsanwalt bestimmen. Dieser wird prüfen, ob ein Strafverfahren eröffnet wird.»

Derweil läuft ein Disziplinarverfahren gegen Burger, das im Dezember 2020 wegen seines Verhaltens gegenüber der Kantonspolizei eröffnet wurde. Burger kritisierte die Polizei mehrfach und soll dabei auch herablassende Ausdrücke über ihre Arbeit gebraucht haben. Auch nach acht Monaten ist dieses Verfahren noch hängig, wie Helbling bestätigt. Zu inhaltlichen Fragen und zum Stand des Verfahrens könne er keine Angaben machen, teilt der Sprecher mit.