
Zum ersten Mal trifft er vor den Augen der Tochter
Am 31. Juli 2021 bekommt Naiara zum ersten Mal mit, wie ihr Vater ein Tor schiesst. Dass es ein besonders schönes ist, wird ihr entgangen sein. Sie kann die Merkmale eines Kopfballs noch nicht in ihren Feinheiten begreifen. Wie sich die Flanke von links in einer elliptischen Bahn nah an die Fünfmeterlinie senkt, und wie an der Schnur gezogen den späteren Torschützen sucht, der den Ball formvollendet über den Scheitel gleiten lässt. Es ist zu früh, als dass Naiara die Unterschiede kennen würde zwischen sehenswerten Toren und solchen, die so lala sind. Naiara ist sechs Monate alt, und ihr Vater ist Profifussballer beim FC Aarau.
Als Kevin Spadanuda zu erzählen beginnt, huscht ihm ein Lächeln übers Gesicht, das nicht mehr verschwindet. Es bleibt kleben, wie angefroren. Nicht bloss, weil ihm am Samstag das erste FCA-Tor in dieser Saison gelang, nein, auch weil Tochter Naiara ihre Premiere im Stadion Brügglifeld erlebte. Mit ihrer Mutter verfolgte sie das Spiel gegen Schaffhausen auf der Haupttribüne. «Es war wunderschön», sagt Spadanuda, die Worte passend zur Mimik. «Und dann auch noch vor so vielen Zuschauern zu spielen, das habe ich vermisst.»
Böse Erinnerungen an die Zeit ohne Fussball
Es waren Momente des Glücks, auf die einer des Bangens folgen sollte. Gegen Ende der Partie erläuft Spadanuda einen zu kurz geratenen Pass seines Mitspielers. Er streckt sich nach dem Ball und verletzt sich im Zweikampf am Knie. Spadanuda windet sich vor Schmerzen, das Spielfeld kann er nur gestützt verlassen. Sorgen mehren sich im Kopf, Gedanken an Kreuzbandrisse, an Schäden im Knie, die Spadanuda lange vom Fussball trennen. «Ich dachte einfach nur: Bitte nicht, bitte nicht. Bitte ist nichts kaputt.» Noch in der Kabine gibt der Arzt Entwarnung. Es war nur ein Schlag, wenngleich ein ziemlich schmerzhafter. Beruhigt kann Spadanuda nach Hause fahren. Und so bleibt der Vorfall lediglich eine böse Erinnerung an die dunkle Zeit, in der Spadanuda nicht Fussball spielen konnte.
Vor fünf Jahren tauchen sie in einem Testspiel mit den Junioren des FC Aarau ein erstes Mal auf: Rückenschmerzen, so plagend wie unerklärbar. Spadanuda kann zwar noch gehen, der Sport aber bereitet ihm mehr und mehr Mühe. Er sucht Ärzte auf, seine Eltern bringen ihn zu Spezialisten in der ganzen Schweiz. Weiterhelfen kann ihm niemand. Ihm, der schon als Fünfjähriger davon träumte, Profifussballer zu sein, wird eröffnet: Mit dem Spitzensport wird es nichts mehr, besser du hörst jetzt auf. Fussball spielt er da schon längst nicht mehr.
Spadanuda hat die Geschichte oft erzählt, und auch dieses Mal gibt er bereitwillig Auskunft. Es ist keine Bitterkeit dabei, kein Zögern oder Auslassen von Details. Vielleicht auch, weil die Reise für ihn bekanntlich ein gutes Ende genommen hat. Nach zwei Jahren ohne Ausweg tritt Besserung ein, als Spadanuda das Fitnessstudio für sich entdeckt, entgegen den Ratschlägen der Fachärzte. Das Training stabilisiert den Rücken, der Bewegungsdrang kehrt zurück, wie auch die Liebe zum Fussball. Spadanuda spielt in Ligen, für die er eigentlich viel zu gut ist. Erst in der 4. Liga beim FC Schinznach-Bad, dann in der 2. Liga interregional bei Schöftland. Über den FC Baden führt der Weg zurück zum FC Aarau, wo er 2019 seinen ersten Profivertrag unterschreibt. Sein Talent und der Ehrgeiz spülen ihn nach oben. Der Rücken lässt ihn in Ruhe. Der Traum lebt.
Zeiten ändern sich rasch, im Fussball ohnehin. In der Saison 2019/2020 wurde Spadanuda noch als aufstrebendes Talent beim FC Aarau gehandelt. Inzwischen ist er 24 Jahre alt und «einer der Älteren», wie er sagt. Das mag erst einmal seltsam anmuten, bevor man sich in Erinnerung ruft, wie heutige Fussball-Kader immer jugendlicher werden. Er könne sich noch gut erinnern, wie es war, als er nach Aarau gekommen sei, sagt Spadanuda. «Ich war nervös, wollte alles raushauen.» Nicht selten hat er sich mit dieser Strategie zu Beginn verheddert. Nun möchte er den Nachwuchskräften mitgeben, dass sie nicht aufgeregt zu sein brauchen. Dass sie den Kopf nicht hängen lassen müssen, wenn einmal etwas nicht gelingt. «Ich versuche, ein Vorbild zu sein», sagt er.
Besser als ein Tor im Champions-League-Final
Klar, antrittsstark und flink im Dribbling ist Spadanuda noch immer. Es ist das, was den Flügelstürmer auszeichnet und ihn unter anderem zum «gestandenen Challenge-League-Spieler» geformt hat, wie FCA-Sportchef Sandro Bürki jüngst sagte. Doch der Spadanuda von 2021 ist ein anderer als jener von vor zwei Jahren. Reifer, vielleicht auch überlegter. Einer, der die Prioritäten anders setzt. Weil er nicht mehr nur Fussballspieler ist, sondern auch Vater.
Wieder ist da dieses Lächeln, als Spadanuda auf die Familie zu sprechen kommt. Auf Naiaras Geburt im Februar, das Glücksgefühl, das er nur schwerlich in Worte fassen kann und es dennoch versucht. «Ich glaube», sagt er, «im Final der Champions League das entscheidende Tor zu schiessen, kommt dem Gefühl nicht im Ansatz nahe, bei der Geburt deiner Tochter dabei zu sein.»
Schon immer habe er möglichst früh Kinder haben wollen, sagt Spadanuda. Er hofft, dass es nicht bei dem einen bleibt. Mit Freundin Cristiana habe er die Frau an seiner Seite gefunden, mit der es passt. Wie es ist, Vater zu sein, das konnte er zuvor in Ansätzen erfahren: Seine Schwester ist 18 Jahre jünger als er. Spadanuda hat viel auf sie geschaut, mit ihr gespielt, den Kinderwagen gestossen, auch Windeln gewechselt. «Alles, was man eben als Vater macht, habe ich als Bruder gemacht.»
Auch an den unregelmässigen Schlaf kurz nach der Geburt hat sich Spadanuda gewöhnt. Nun geniesse er einfach den Moment, sagt er. Seine Tochter ist Antrieb und Motor, aus ihr schöpft er Motivation – auch für den Fussball. «Nach den Spielen freue ich mich auf nichts mehr, als zu ihr heimzukommen», sagt Spadanuda.
Gut möglich, dass sie ihm auch dabei helfen wird, über die Enttäuschung nach Niederlagen hinwegzukommen. Spadanuda wird sich wünschen, dass es damit noch eine Weile dauern wird. Und dass Naiara schon bald ein weiteres Tor von ihm miterleben darf.