
142 neue Coronafälle im Aargau, aber noch keine neuen Massnahmen – das sagt Regierungsrat Gallati
Die Lage ist ernst. Es ist fünf vor zwölf. Wir sind schlechter dran als andere Länder. So fassen Kantonsärztin, Bundespräsidentin oder Gesundheitsminister die aktuelle Coronasituation in Worte. Im Aargau stieg die Zahl der Neuansteckungen zwar lange weniger schnell als in anderen Kantonen. Am Mittwoch haben sich die Neuansteckungen im Vergleich zum Vortag allerdings fast verdreifacht.
Und gestern Donnerstag meldete der Kanton 142 neue Fälle – so viele wie noch nie. Die Zahl der Todesfälle ist um zwei auf insgesamt 58 gestiegen. Allerdings handelt es sich bei einem dieser Fälle um einen nachträglich gemel- deten Todesfall vom 7. Oktober. Am Dienstag waren im Aargau erstmals seit Anfang Mai wieder 20 Covid-Patienten im Spital. Am Mittwoch waren bereits 25 Personen hospitalisiert – eine davon lag auf der Intensivstation.
Obwohl Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Bundesrat Alain Berset an der gestrigen Medienkonferenz betonten, es müsse rasch reagiert werden und man könne nicht bis Weihnachten warten, lässt man sich im Aargau Zeit. Kantonsärztin Yvonne Hummel hat am Mittwoch im «Talk Täglich» auf Tele M1 angekündet, Anfang nächster Woche über weitere Massnahmen zu informieren. Im Raum steht beispielsweise eine Maskenpflicht in Grossraumbüros oder Kinos. Aber auch die privaten Veranstaltungen, wo sich besonders viele Menschen anstecken, hat die Kantonsärztin im Visier.
SP-Grossrat und Arzt Jürg Knuchel kritisierte die Strategie des Kantons, auf Maskenpflicht in Läden zu verzichten: «Das wird der zu erwartenden Entwicklung nicht gerecht und führt dazu, dass wir bei einer Beschleunigung der Pandemie zu spät kommen.»
Tatsächlich haben mehrere andere Kantone ihre Massnahmen bereits verschärft. Warum wartet der Aargau bis nächste Woche? Scheut sich der Regierungsrat kurz vor den Wahlen am Sonntag, einen Entscheid zu kommunizieren, der den Alltag der Aargauerinnen und Aargauer möglicherweise einschränken würde?
Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati (SVP) winkt ab. «Es wäre verantwortungslos, wenn ich wegen den Wahlen dringliche Entscheide nicht fällen würde.» Wenn es nötig wäre, könnte der Aargau neue Massnahmen innert kürzester Zeit einführen, so Gallati. Die Situation sei mit jener in anderen Kantonen nicht zu vergleichen. Dort würden die Neuansteckungen seit Wochen stark zunehmen oder das Contact-Tracing sei bereits am Anschlag.
Gallati tauscht sich regelmässig mit den Verantwortlichen in den umliegenden Kantonen Zürich, Zug, Luzern, Solothurn, Baselland, Basel-Stadt und Bern aus. Die Kantone Solothurn und Baselland würden – wie der Aargau – nächste Woche die Massnahmen verschärfen und darüber informieren. Das Ziel sei, so Gallati, die Massnahmen aufeinander abzustimmen. Im Baselbiet ist bereits ziemlich klar, was kommen könnte. Gesundheitsdirektor Thomas Weber (SVP) hat an einer Medienkonferenz gestern Donnerstag gesagt, Maskenpflicht und Homeoffice würden nur zweite Priorität geniessen. Zuerst würden die Sektoren bei Anlässen auf 50 Personen reduziert. Zudem könnte die Zahl der Gäste bei privaten Anlässen auf 30 beschränkt werden.
In Kontakt sind die Gesundheitsdirektoren (GDK) der Kantone auch über die Gesundheitsdirektorenkonferenz. Heute findet eine virtuelle Sitzung des Vorstandes statt. Gallati ist nicht im Vorstand. Das sei aber in der aktuellen Situation kein Nachteil, sagt er. «Es ist sogar eher ein Vorteil, weil wir nicht an Empfehlungen des Vorstandes gebunden sind.» Das gebe dem Kanton Aargau etwas mehr Handlungsspielraum. Und in der GDK könne er sich trotzdem einbringen, versichert Gallati.