148 km/h auf der Staffeleggstrasse: Töfffahrer muss nicht ins Gefängnis, findet das Verfahren aber unfair

Das Wort «Glück» ist nicht eines, das an einer Gerichtsverhandlung besonders oft zu hören ist. Diese Woche fiel es am Bezirksgericht Aarau aber mehrfach. Dort musste sich Milan (Name geändert) verantworten. Der Bosnier – dem es lieber wäre, seine Nationalität würde nicht in der Zeitung stehen – ist Mitte 20. Er hat eine Lehre auf dem Bau gemacht und arbeitet mittlerweile im Aussendienst in einer gut bezahlten Branche. Ein Job, auf den er stolz ist und den er machen konnte, obwohl er während eines ganzen Jahres nicht selber zu seinen Kunden fahren durfte.

Denn Milan hatte seinen Fahrausweis abgeben müssen, nachdem er mit seinem Töff, eine Yamaha, im Mai 2020 an einem Sonntagabend von der Kantonspolizei mit dem Lasermessgerät erfasst worden war. Milan war mit einem Bekannten unterwegs, fuhr hinter diesem her, als sie auf der Staffeleggstrasse – Seite Küttigen, kurz vor der Passhöhe – ein Auto überholten.

Es hat dort eine Überholspur, die Sichtverhältnisse waren gut, die Fahrbahn trocken. Doch die beiden waren schnell, viel zu schnell. 153 km/h habe man bei der Yamaha gemessen, verkündete die Kapo tags darauf.

Ab 60 km/h zu viel in der 80er-Zone spricht man von Raser

Eine halbe Stunde später ging zwar noch ein Deutscher Töfffahrer mit 158 km/h ins Netz, aber ansonsten war Milans Geschwindigkeitsexzess schon einer der gröberen jenes Frühlings 2020. Und: Weil selbst nach Abzug der Toleranzmarke die Höchstgeschwindigkeit um 68 km/h überschritten wurde, ist der Tatbestand des «Raserartikels» erfüllt (ab 60 km/h zu viel ausserorts). Allerdings relativ knapp.

Aus Sicht von Staatsanwältin Nicole Burger war es nur eben jenes «Glück», welches verhinderte, dass jemand zu Schaden kam. Gegenverkehr gab es zum Tatzeitpunkt trotz üblicherweise grossem Verkehrsaufkommen auf der Staffeleggstrasse nicht. Milans Verteidigerin Andrea-Ursina Bieri bestritt denn auch dezidiert, dass die Gefahr einer Kollision bestanden habe.

«Glück», so sagte die Staatsanwältin, habe auch Milans Bekannter gehabt – in strafrechtlicher Hinsicht. Denn: Obwohl auf dem Polizeivideo zu sehen ist, dass die beiden fast gleich schnell unterwegs waren, wird der Vorausfahrende wohl nicht gemäss dem «Raserartikel» bestraft. Die Fahrt dieses Mannes konnte nämlich nicht mit dem Laser gemessen, sondern musste nachträglich durch einen Gutachter errechnet werden.

«Mindestens 130 km/h», konstatierte dieser. Genauer ging es nicht. Man kann Milans Kumpel so eine grobe Verkehrsregelverletzung nachweisen, aber keine qualifizierte, was Einfluss auf das Strafmass haben dürfte (das Verfahren ist laut Staatsanwaltschaft noch hängig).

Verteidigerin: «Unerklärlicher Widerspruch»

Milan findet das «unfair». Es gehe doch hier nicht um Glück, das man sich ohnehin selber erarbeiten müsse, sondern um Gleichheit vor dem Gesetz. Er sah deshalb nicht ein, weshalb das Gericht den Beweisantrag seiner Verteidigerin, wonach auch in Milans Fall ein Geschwindigkeitsgutachten erstellt werden soll, um den «unerklärlichen Widerspruch» aufzuklären, ablehnte.

Milan sagte das indes in einem anständigen Tonfall, wie er auch sonst vor Gericht offen, eloquent und reuig wirkte. Im Kontrast dazu stehen seine Vorstrafen – von illegalem Waffenbesitz über Körperverletzung bis zu mehreren Strassenverkehrsdelikten –, die allerdings schon einige Jahre zurückliegen. Im verkehrspsychologischen Gutachten wird ihm eine positive Prognose erstellt; den Fahrausweis hat er bereits zurück.

Beschuldigter brauche «Schuss vor den Bug»

Die Staatsanwältin beantragte eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon sechs unbedingt. «Frühere bedingte Strafen haben ihn nicht beeindruckt, und es sieht so aus, als brauche er einen Schuss vor den Bug.» Einen Landesverweis beantragte sie nicht.

Die Verteidigerin hingegen forderte, dass das Gericht von dem für ihren Mandanten günstigeren Sachverhalt – also eine Geschwindigkeit analog zu dessen Kumpel und entsprechend unterhalb der Schwelle zum Raser – ausgehe. Sie beantragte eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen oder, sollte das Gericht doch eine qualifizierte Verkehrsregelverletzung sehen, die Mindeststrafe von 12 Monaten.

14 Monate Freiheitsstrafe, aber bedingt

Das Gesamtgericht ging den Mittelweg: Es verurteilte Milan nach dem Raserartikel zu 14 Monaten Freiheitsstrafe, allerdings komplett bedingt bei einer Probezeit von vier Jahren. Ausserdem muss er eine Busse von 5000 Franken zahlen.

Der Laser der Polizei, so führte die Gerichtspräsidentin aus, sei präziser als die Berechnung des Gutachters, weshalb das Gericht – selbst wenn beide Resultate vorlägen – trotzdem auf die Lasermessung abstellen würde.