
750 Hektaren Ackerfläche bedroht? Aargauer Ständerat Knecht will, dass weniger Bäche ausgedolt werden – Pro Natura warnt davor
Ständerat Hansjörg Knecht (SVP) will das Gewässerschutzgesetz anpassen. Heute können Fliessgewässer beim Ersatz von bestehenden Eindolungen und Überdeckungen unter dem Boden bleiben, wenn eine Ausdolung erhebliche Nachteile für die Landwirtschaft verursachen würde. Knecht will, dass Bäche künftig auch dann eingedolt bleiben dürfen, wenn es generell Nachteilen für die landwirtschaftliche Nutzung gibt und Kulturland verloren ginge.
Viele Bachröhren müssen in den nächsten Jahren saniert werden, was im Grundsatz eine Bachöffnung auslöse. Würde dies konsequent so gemacht, «gingen der Landwirtschaft durch Bachöffnungen mindestens 750 Hektaren (Gewässer von 0,5 m plus Pufferstreifen) Ackerfläche verloren», hält Knecht im Vorstoss fest.
Der Grundsatz, dass Bäche geöffnet werden müssen, könne so belassen werden. Jedoch soll die Landwirtschaft vereinfacht zu Ausnahmebestimmungen kommen, verlangt der Aargauer Ständerat, «nämlich dann, wenn eine Bachöffnung Nachteile bei der landwirtschaftlichen Nutzung mit sich bringt».
Der Bundesrat lehnt diese Motion ab, er sieht einen Widerspruch zur Strategie Biodiversität. Gleichwohl hat der Ständerat Knechts Vorstoss in der Sommersession der vorberatenden Kommission zur vertieften Abklärung überwiesen.
Pro Natura: Das schadet dem Wasserkanton Aargau
Das alarmiert jetzt die Naturschutzorganisation Pro Natura Aargau. Ständerat Knecht schade mit seinem Vorstoss der Landwirtschaft und dem Wasserkanton Aargau, schreibt Geschäftsführer Matthias Betsche. Etwa ein Drittel der Aargauer Gewässer – gegen 1000 Kilometer – verlaufen unterirdisch in Röhren, hält er fest. Für Betsche ist klar: «Wir brauchen die Ausdolung von Bächen in Wald und Flur für den lokalen Klimaschutz und die Wasserspeicherung.»
Dies helfe zahllosen Organismen zu überleben, fördere die Zuverlässigkeit des Quellflusses und reichere das Grundwasser an. Ausserdem seien offengelegte Bäche für die Naherholung der Bevölkerung und für das Landschaftsbild wichtig. Diese Bäche dienten der ökologischen Vernetzung und erhöhten die Widerstandskraft von Ökosystemen, so Betsche weiter, etwa bei Extremereignissen wie Hochwasser und Hitze, wie sie gerade in Zeiten des Klimawandels gehäuft auftreten.
Sein Fazit: «Unsere Bäche gehören ausgedolt.» Betsche befürchtet, «dass der Vorstoss die Anstrengungen des Kantons durchkreuzt und die jetzigen Pläne in Frage stellt».
Kanton will bis 2035 rund 50 Kilometer Bäche revitalisieren
Der Kanton will bis zum Jahr 2035 rund 50 Kilometer der aargauischen Gewässer revitalisieren. Das entspreche drei Prozent der in den letzten 135 Jahren trockengelegten Gewässer- und Feuchtflächen, sagt Norbert Kräuchi, Abteilungsleiter Landschaft und Gewässer beim Kanton. Laut Kräuchi würden durch die geplanten Bachöffnungen bis ins Jahr 2035 maximal 70 Hektaren Ackerland verloren gehen. Davon können 40 ha als Grasland extensiv genutzt werden – als sogenannte Labiola-Flächen ohne Dünger und Pflanzenschutzmittel – so Kräuchi.

Wenn das Gewässerschutzgesetz im Sinne von Hansjörg Knecht geändert werde, «wird die Revitalisierung im Kanton Aargau und schweizweit gegen Null tendieren», so Kräuchi. Die Streichung des Adjektivs «erheblich» und die Ergänzung mit «oder Kulturland verloren geht» sei einem faktischen Revitalisierungsstopp gleichzusetzen.
Die Praxis zeige zudem, dass gerade auch im Rahmen von Meliorationen Bachöffnungen so geplant werden, dass diese den Bedürfnissen der Landwirtschaft und der Natur bestmöglich gerecht werden, sagt Kräuchi.
Knecht: Bachöffnungen wären weiterhin zugelassen
Die Einschätzung des Kantons, mit dieser Motion würde die Revitalisierung im Kanton Aargau und schweizweit gegen Null tendieren, weist Hansjörg Knecht zurück: «Meine Motion zielt keinesfalls darauf ab, dass überhaupt keine Bäche mehr offen gelegt werden können. Damit wären Bachöffnungen weiterhin zugelassen.»
Auch er sehe die Vorteile eines renaturierten Baches und kenne gelungene Beispiele. Die Landwirtschaft sei sich ihrer ökologischen Verantwortung bewusst. Es sollte aber einmal anerkannt werden, dass mittlerweile jede sechste Hektare in der Landwirtschaft eine Biodiversitätsförderfläche ist, die explizit für die Natur reserviert wurde, antwortet Knecht. Diese bestehenden Flächen aufzuwerten, bringe mehr als neue zu schaffen.
Maximal 70 oder maximal 750 Hektaren betroffen?
Doch wieviel Land wäre betroffen? Wie kommt Hansjörg Knecht auf bis 750 (ha) Hektaren? Seine Berechnung sei so: «0,5 m Gewässer (Annahme im Durchschnitt) plus zweimal 6 m Pufferstreifen mal 600 km eingedolte Bäche ergibt im Extremfall 750 Hektaren.» Aber übertreibt er nicht masslos? Die Regierung plant die Bachöffnung auf einer Länge von 50 Kilometern bis 2035, nicht von 600 Kilometern?
Hansjörg Knecht antwortet, da würden Äpfel mit Birnen verglichen. Der Kanton verweise auf die Revitalisierungsplanung, die von der Motion nicht betroffen sei: «Würde der entsprechende Gesetzesartikel in seiner heutigen Form konsequent umgesetzt, so würden in den nächsten 80 Jahren, also bis alle Eindolungen erneuert sind, 750 ha Ackerfläche verloren gehen.»
In der Gesamtabwägung falle ins Gewicht, sagt Knecht weiter, dass auf diesen Flächen weiterhin Nahrungsmittel produziert werden können. Knecht: «Deren ersatzweiser Import ist deutlich weniger nachhaltig als die eigene Produktion. Dies aufgrund der kleineren Transportwege und der höheren Umweltauflagen in der Schweiz.»
Der Vorstoss gäbe aber für die Grundeigentümer eine gewisse Rechtssicherheit, dass sie nicht bei Ersatz von bestehenden Bachdolungen praktisch in jedem Fall von einer Bachöffnung betroffen wären, sagt Knecht weiter. Wenn diese Bachöffnung an den Rand einer Parzelle verlegt werden kann, würden die Grundeigentümer wie auch in der Vergangenheit gerne Hand für Bachöffnungen bieten.
Norbert Kräuchi widerspricht Hansjörg Knecht klar und sagt: «Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb die Motion keinen Einfluss auf die Revitalisierungsplanung haben sollte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in der Folge mehr Gewässer im Landwirtschaftsgebiet zugedeckt bleiben oder gar wieder eingedolt werden.»