
Psychiater verging sich an Missbrauchs-Opfer in Aargauer Klinik
Im Sommer 2007 beginnt eine Baslerin eine Therapie bei einem Psychiater in einer Aargauer Klinik. Sie will sexuelle Übergriffe verarbeiten, die sie als Kind erlebte. Stattdessen wird sie in der Klinik erneut zum Opfer, wie die «SonntagsZeitung» berichtet.
In den Sitzungen hält der Therapeut anfangs ihre Hand. Es folgten Küsse, dann Griffe unter den BH. Er behauptet, der Körperkontakt sei Teil der Therapie. Ab 2013 kommt es immer wieder zum Geschlechtsverkehr, laut Gerichtsakten «auf Initiative des Beschuldigten». Die Patientin befindet sich in einem Dilemma: Das Verhalten des Therapeuten befremdet sie. Sie wendet sich aber nicht ab, weil er zu einer «engen Vertrauensperson» geworden ist. Ihre Scham ist zu gross, sich jemandem anzuvertrauen. Stattdessen greift sie vor den Sitzungen zum Alkohol.
Als der Therapeut die Aargauer Klinik verlässt, animiert er seine Patientin, die Therapie fortzusetzen. Also bleibt sie bei ihm in Behandlung. Zwischen Oktober 2013 und Februar 2016 kommt es zu weiteren «Berührungen sexueller Natur, wobei diese vom Beschuldigten ausgingen.»
Kantonsarzt bleibt untätig
rst im Frühling 2016 wendet sich die Betroffene an den Aargauer Kantonsarzt Martin Roth. Dieser hat Kenntnis vom Fall, weil der Therapeut sich kurz zuvor selbst angezeigt hatte. Roth gibt ein ärztliches Gutachten über den Psychiater in Auftrag. Darin steht: «Im Rahmen der Begutachtung konnte keine psychische Erkrankung diagnostiziert werden.» Das Rückfallrisiko sei gering. Daher verzichtet Roth auf jegliche Massnahme.
Auch eine Aufsichtsbeschwerde von Werner Tschan, dem heutigen Psychiater des Opfers, beim Kanton Aargau ändert daran nichts. Tschan kritisiert gegenüber der «SonntagsZeitung», der Kantonsarzt habe seine Patientin nie angehört: «Er stützte seinen Entscheid nur auf die Version des Beschuldigten.»
Behandlungsverbot für Frauen
Schliesslich reicht die Frau Anzeige ein. Und hat Erfolg: Das Bezirksgericht Aarau hat den Psychiater mittlerweile wegen mehrfacher Ausnützung einer Notlage verurteilt. Er kassierte eine bedingte Geldstrafe von 81’000 Franken und eine Busse von 6000 Franken. Dem Opfer muss er 45’000 Franken zahlen.
Zwar wurde ein Behandlungsverbot verhängt, doch dieses gilt nur für weibliche Patienten und befristet auf zwei Jahre. Folglich arbeitet der Mann bis heute als Therapeut. Er ist auch nach wie vor als Mitglied der Ärztevereinigung FMH eingetragen. Denn der Aargauische Ärzteverband erfuhr erst durch die «SonntagsZeitung» vom Fall. «Strafurteile werden nicht an uns weitergeleitet», sagt Präsident Jürg Lareida. «Sonst hätten wir sicher reagiert.»
Vor Gericht hatte der Schuldige in seinem Schlusswort gesagt: «Als Arzt habe ich versagt und auch menschlich gegenüber meiner Patientin und meiner Ehefrau. Es tut mir schrecklich leid.»
Für Meier ist das Urteil wichtig, da sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben «erfolgreich gegen einen Täter wehren konnte». Jedoch hat sie Mühe mit dem milden Urteil: «Dass er bald auch wieder Frauen behandeln kann, ist nicht nachvollziehbar». Sie will nun anderen Opfern Mut machen, nicht länger über solche Verbrechen zu schweigen. (mwa)