«Manche Betriebe sind selbst schuld, dass sie keine Leute finden»: Aargauer Köchin kritisiert Arbeitsbedingungen

Es sei nahezu unmöglich, gute Mitarbeitende zu finden: Das war der Tenor von Aargauer Wirten in einem Artikel der AZ im Juli über den akuten Fachkräftemangel in der Gastrobranche. Für die 23-jährige Köchin Nora P. (Name geändert) war dieser Artikel der Auslöser, um über ihre Erfahrungen zu berichten. «Ich fand es unverständlich, wie da gejammert wurde, während manche Betriebe selbst verantwortlich sind, dass sie keine guten Leute finden.» So wie der Aargauer Gastrobetrieb, in dem die Geschichte von P. spielt.

1. Kapitel: Stellenantritt

Im Oktober 2020 verlor P. wegen der Coronapandemie ihre Stelle. Sie brauchte dringend einen neuen Job – und stiess bei der Suche auf einen Betrieb, dessen Konzept ihr sehr gefiel: «Sie hatten eine coole Karte, das unkonventionelle Ambiente und die neuen Ideen fand ich spannend. Ich bewarb mich voller Tatendrang», erzählt die Köchin.

Sie bewarb sich und die Inhaber sicherten Nora P. eine Stelle ab Januar zu. Obwohl sie wegen des Lockdowns nicht arbeiten konnte, erhielt P. ab Januar den Lohn. «Da haben sie wirklich Goodwill gezeigt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar», sagt P.

2. Kapitel: Probezeit und viele Abgänge

Im Februar stieg Nora P. im Betrieb voll ein, weil ein Koch absprang. Der Betrieb hatte auf Take-away umgestellt. B. stand täglich von 9 Uhr morgens bis 20 Uhr abends in der Küche, mit einer Pause von einer halben bis einer Stunde. «Das war für mich kein Problem, in der Gastro sind 12- bis 13-Stundentage normal», sagt die Köchin. Dafür bekam sie einen Lohn von 4500 Franken, der für die Probezeit vereinbart war.

Doch dann begannen die Probleme. Es kam zum nächsten personellen Abgang und die sowieso schon hohe Arbeitslast stieg weiter. Diesmal war es der Küchenchef, der den Bettel hinwarf. Nach nur drei Wochen. «Er sagte, es gefalle ihm gar nicht. Von einem Tag auf den anderen war er weg», berichtet P. Ebenso die stellvertretende Geschäftsführerin, die überraschend kündigte.

Der Posten des Küchenchefs war unbesetzt. Automatisch übernahm Nora P. selbst dessen Aufgaben und die Verantwortung. «Es fand keine Kommunikation statt – ich übernahm es einfach», sagt sie im Rückblick. Als die Terrasse wieder geöffnet war, wurden auch die Arbeitstage länger: Nun arbeitete P. täglich von 9 Uhr bis 23 Uhr durch. So ging die dreimonatige Probezeit vorüber.

3. Kapitel: Angebot zu Schwarzarbeit und Kurzarbeits-Schwindel

«Ich bin bereit, viel zu arbeiten», sagt Nora P. «Aber ich finde auch, der Lohn darf – gerade bei erhöhter Arbeitsbelastung – kein Tabuthema sein.» So suchte sie das Gespräch für Lohnverhandlungen mit den Inhabern. Nicht nur, weil die Probezeit vorüber war, sondern auch, weil P. nun faktisch die Position der Küchenchefin innehatte.

Da kam der erste Hammer: «Sie sagten, mehr Lohn sei nicht möglich. Doch man könne mir anbieten, die Differenz zur Lohnerhöhung ‹untendurch› zu geben.» Überrascht darüber war P. nicht: «Es gibt in der Gastro sehr viele Orte, wo Schwarzarbeit zur Sprache kommt.»

Doch damit nicht genug. Als P. nach langer Zeit mal wieder einen freien Tag hatte, studierte sie ihre Stundenabrechnung. Und bemerkte dabei: Die Stundenangaben wurden abgeändert. Sie waren für P. nicht mehr nachvollziehbar. Und die Köchin bemerkte einen weiteren Fehler: «Obwohl ich 100 Prozent plus Überstunden gearbeitet hatte, liessen sie mich auf Kurzarbeit laufen.» Das sei auch mit anderen Mitarbeitenden gemacht worden, so P.

Wieder ging sie zu ihrem Chef. «Auf meine Nachfrage gab man mir das Gefühl, meine fehlende Erfahrung und Unwissenheit auszunutzen», erinnert sich P. Sie war verunsichert. «Als der Inhaber dann sagte, er sei bereit für eine faire Entlöhnung, doch er erwarte auch eine entsprechende Gegenleistung, sass ich nur noch sprachlos da.»

All die langen Arbeitstage, Überstunden, der grosse Einsatz: «Ich sah praktisch keine Wertschätzung – und die ist mir am Schluss wichtiger als alles Geld», so P. Sie habe alles gemacht, was man ihr an Aufgaben auftrug. «Ich habe aus eigenem Antrieb das Lager aufgeräumt, alles sortiert und entsorgt, sodass bei einer Lebensmittelkontrolle alles sauber wäre.» Sogar den Gästebereich aufzuräumen oder das WC zu putzen, sei für sie kein Problem gewesen:

«Das hätten nicht viele Köche mit sich machen lassen.»

Irgendwann konnte P. nicht mehr. Sie fasste den Entschluss zur Kündigung.

4. Kapitel: Kündigung und Nachspiel

Zwei Tage später suchte Nora P. das Gespräch mit den Inhabern. Zunächst haben man versucht, sie zum Bleiben zu bewegen, doch bald kehrte die Stimmung: «Sie wollten einen klaren Schnitt. Und sie legten mir nahe, ich solle auf die Hälfte meiner verbleibenden Ferientage verzichten – das wäre nur entgegenkommend von mir.» Sie habe sich schwergetan, für sich selbst einzustehen: «Schliesslich willigte ich ein.»

Aufgrund eines schlechten Gefühls holte sich P. danach aber mehrere Zweitmeinungen ein – von Bekannten, ihren Eltern und einer Rechtsberatung. Alle hätten bestätigt, dieses Vorgehen sei nicht richtig. Darauf schrieb P. den Inhabern, sie wolle doch nicht auf die Ferientage verzichten. Wiederum hätten diese gesagt, das sei nicht fair, und einen anderen Deal vorgeschlagen: Sie könne noch möglichst viele Ferientage beziehen, der Rest aber verfalle aufs Kündigungsdatum.

Doch in den Arbeitsplänen, die P. darauf erhielt, war sie so oft eingeteilt, dass sie gemäss Plan nicht einmal mehr die Hälfte der Ferientage beziehen konnte. Wieder ein Affront für die Köchin:

«Ich fühlte mich eindeutig übers Ohr gehauen.»

Auf Anfrage der AZ weisen die ehemaligen Arbeitgeber von P. alle Vorwürfe von sich.

5. Kapitel: Rückblick und Zukunftsvision

Wenn Nora P. zurückblickt, kommen noch mehr Erlebnisse hoch. Der psychische Druck sei gross gewesen. Davon zeugten auch die vielen Personalwechsel: «Die guten Leute wissen, wie es in der Gastro läuft. Wenn jegliche Organisation und klare Linie fehlt, dann gehen sie gleich wieder.»

Doch P. ist es wichtig zu betonen: Das Lokal sei nur das letzte in einer Reihe von Betrieben, wo sie schlechte Arbeitsbedingungen angetroffen hat. Genau aus diesem Grund habe sie seit dem Lehrabschluss immer wieder die Stelle gewechselt: «Immer gab es etwas, das nicht gestimmt hat. Die Bedingungen nehmen einem früher oder später die Freude am Beruf.» Für die Köchin ist das ein wichtiger Grund, warum es in der Gastrobranche überall an Fachpersonal fehlt.

Jetzt sucht Nora P. nach einer Stelle, wo sie länger bleiben kann. Daneben macht sie eine Weiterbildung in der Finanzbranche: «Ich brauche die Abwechslung, will immer wieder etwas Neues lernen», sagt sie. Ihr Ziel ist es, irgendwann ein eigenes Lokal zu eröffnen – «und einen Betrieb aufzubauen, wo es anders läuft».