Zertifikatspflicht beim Gesundheitspersonal? Mehrere Organisationen sind dafür – doch der Kanton winkt ab

In einem Artikel in der «NZZ» vom Donnerstag fordert Pro Senectute Schweiz die Einführung der Zertifikatspflicht für Spitex-Angestellte. Für die Spitex-Patienten, die sich Sorgen machen wegen einer möglichen Ansteckung durch Betreuungspersonen, sei die Situation unangenehm, sagt Pro-Senectute-Sprecher Peter Burri Follath.

«Leute, die Pflege zu Hause brauchen, sind das schwächste Glied in der Kette und abhängig von ihren Betreuungspersonen», sagt er. Diesen Menschen falle es oft schwer, die Impffrage anzusprechen, erklärt der Sprecher.

Pirmin Kaufmann, Geschäftsleiter von Pro Senectute Aargau, findet die Forderung nach einer Zertifikatspflicht für Spitex-Angestellte nachvollziehbar. «Sie müsste dann aber auf alle im Gesundheitsbereich tätigen Personen angewendet werden. Und das scheint uns wenig praktikabel», schränkt er auf Anfrage der AZ ein.

Pro Senectute: «Es gibt auch Mitarbeitende, die nur zu geimpften Klientinnen und Klienten gehen möchten»

Pirmin Kaufmann, Geschäftsleiter von Pro Senectute Aargau.

Pirmin Kaufmann, Geschäftsleiter von Pro Senectute Aargau.

Britta Gut

Pro Senectute Aargau erhält laut Kaufmann nur wenige Anfragen von Leuten, die befürchten, dass Spitex-Angestellte, die zu ihnen nach Hause kommen, nicht geimpft sind. «In solchen Fällen raten wir Betroffenen, mit der Spitex Kontakt aufzunehmen und ihre persönlichen Bedenken anzubringen», sagt er.

Im Aargau erbringen Angestellte von Pro Senectute bei der Spitex-Betreuung die hauswirtschaftlichen Leistungen, sie übernehmen also zum Beispiel das Einkaufen, Kochen, oder Putzen. «Es gibt bei uns vereinzelt Mitarbeitende, die nur zu geimpften Kunden gehen möchten», sagt Kaufmann.

Im aktuellen Newsletter von Pro Senectute Aargau heisst es zudem, bei allen Angeboten mit Kontakt – zum Beispiel in der Sozialberatung, in der Alltags- und Haushaltshilfe, im Mahlzeitendienst oder bei den administrativen Diensten – gelte weiterhin Maskenpflicht.

Seniorenverband: «Die Zertifikatspflicht wäre ein zusätzlicher Schutz für ältere Menschen, die zu Hause betreut werden»

Esther Egger, Präsidentin des Aargauischen Seniorenverbandes.

Esther Egger, Präsidentin des Aargauischen Seniorenverbandes.

Daniel Werder / ZVG

Esther Egger, Präsidentin des Aargauischen Seniorenverbandes, hat Verständnis für die Forderung von Pro Senectute nach einer Zertifikatspflicht für Spitex-Angestellte. «Das wäre ein zusätzlicher Schutz für ältere Menschen, die zu Hause betreut werden», sagt Egger, die für die CVP in National- und Grossrat sass. Sie könnte sich statt der Zertifikatspflicht auch vorstellen, dass sich Spitexmitarbeiterinnen und -mitarbeiter regelmässig testen lassen müssen.

«Aus meiner Sicht wäre es am besten, wenn der Kanton eine generelle Zertifikats- oder Testpflicht für das Personal im Gesundheitswesen anordnen würde, so wie dies in Zürich gilt», sagt die Seniorenverbands-Präsidentin.

Seit dem 4. Oktober müssen Spitex-Angestellte im Kanton Zürich entweder über ein Zertifikat verfügen, oder sich zweimal pro Woche testen lassen – dies hat die Gesundheitsdirektion entschieden. Die Aargauer Regierung hat bisher darauf verzichtet, doch das Kantonsspital Baden hat für seine Angestellten eine Zertifikatspflicht eingeführt.

Ohne eine Zertifikatspflicht für Spitex-Angestellte könnten für ältere Menschen, die auf Betreuung zu Hause angewiesen sind, unangenehme Situationen entstehen, gibt Esther Egger zu bedenken. In dieser Altersgruppe sei die Impfquote zwar am höchsten, die Seniorinnen und Senioren seien aber auch bis zu einem gewissen Grad von der Spitex-Pflege abhängig. «Deshalb trauen sie sich vielleicht nicht, ihre Betreuungsperson nach der Impfung oder dem Zertifikat zu fragen», sagt Egger.

Grundsätzlich ist sie der Meinung, dass sich das Gesundheitspersonal impfen lassen sollte. «Ich habe wenig Verständnis dafür, dass sich Leute nicht impfen lassen wollen, die mit Patientinnen und Patienten in Kontakt sind und damit Risikopersonen pflegen», macht Egger klar. Gerade die Angestellten im Gesundheitswesen hätten eine Vorbildfunktion, mit einer Impfung würden sie ein Zeichen der Solidarität gegenüber jenen Menschen setzen, für die eine Corona-Erkrankung gefährlich sei.

Spitex: «Wenn jemand eine geimpfte Betreuungsperson möchte, organisieren wir das»

Susanne Seytter, Geschäftsleiterin des Spitex Verbands Aargau.

Susanne Seytter, Geschäftsleiterin des Spitex Verbands Aargau.

Zvg

Susanne Seytter, Geschäftsleiterin des Spitex Verbands Aargau, kann gut verstehen, «wenn Klientinnen und Klienten verunsichert sind und wissen wollen, ob ihre Betreuungsperson geimpft ist». Es seien nicht viele Fälle, aber es komme vor, dass sich Leute mit solchen Fragen bei den Spitex-Organisationen meldeten. Seytter sagt: «Das ist absolut legitim und nachvollziehbar, und wenn jemand nur von einer geimpften Person gepflegt werden möchte, organisieren wir das.»

Dass es nur sehr wenige Anfragen zu diesem Thema gibt, zeigt für die Geschäftsleiterin des Verbandes, «dass das Vertrauen der betreuten Menschen in die Spitex gross ist». Seytter sagt, seit Beginn der Pandemie habe die Spitex ihre Schutz- und Sicherheitskonzepte verstärkt. Für die Mitarbeitenden gelte Maskenpflicht und es gebe strikte Hygieneregeln, die konsequent eingehalten würden.

«Mir ist kein Fall bekannt, in dem im Aargau eine Klientin oder ein Klient von einer Betreuungsperson der Spitex angesteckt worden wäre.» Deshalb sind wir der Meinung, dass unser Schutzkonzept funktioniert und die Massnahmen ausreichen, um die Sicherheit im Umgang mit den Klientinnen und Klienten zu gewährleisten.» Natürlich gehöre auch das Impfen und das repetitive Testen des Spitex-Personals dazu – beides empfehle der Verband.

Derzeit sei die epidemiologische Lage im Kanton Aargau relativ gut, hält Susanne Seytter fest. «Sollte sich diese verschlechtern, prüfen wir, vom Spitex-Verband aus eine Zertifikats- oder Testpflicht zu unterstützen.» Bisher habe nach ihrem Wissensstand im Aargau keine Spitex-Organisation die Zertifikatspflicht für ihre Mitarbeitenden obligatorisch gemacht.

«Wir können dies vom Verband aus nicht anordnen, dafür ist aus meiner Sicht eine Rechtsgrundlage notwendig», sagt Seytter. Diese sollte aber für alle Gesundheitsinstitutionen gelten, nicht nur für die Spitex. «Wenn die Aargauer Regierung dies anordnen würde, wie es im Kanton Zürich der Fall ist, hätten wir eine klare Situation, die uns auch Sicherheit geben würde.»

Kanton: Zertifikatspflicht für Spitex-Mitarbeitende derzeit kein Thema

Barbara Hürlimann, Leiterin Abteilung Gesundheit des Kanton Aargau.

Barbara Hürlimann, Leiterin Abteilung Gesundheit des Kanton Aargau.

Britta Gut

Bei der Abteilung Gesundheit des Kantons haben sich laut Leiterin Barbara Hürlimann vereinzelt Seniorinnen und Senioren gemeldet, die Fragen zu möglicherweise ungeimpften Spitex-Betreuungspersonen hatten. «Wir empfehlen diesen Personen, das Gespräch mit dem Anbieter zu suchen und raten den Anbietern, die Anliegen ernst zu nehmen und gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten nach Lösungen betreffend das Schutzkonzept zu suchen», teilt Hürlimann mit.

«Eine Zertifikatspflicht für Mitarbeitende ist bisher noch kein Thema», hält sie weiter fest. Stattdessen empfiehlt der Kantone zurzeit dringend das repetitive Testen für alle Mitarbeitende im Gesundheitswesen, die nicht geimpft oder genesen sind. Bei einer Verschlechterung der Lage würde der Regierungsrat im Rahmen der Eventualplanung ein Obligatorium für das repetitive Testen in diesem Bereich prüfen, teilt Hürlimann mit.