
Maskengegner kritisieren Aargauer Lehrerpräsidentin – wie sie den Vorwurf der falschen Aussage kontert
Vor einer Woche reichten die Eltern von 15 Kindern beim Verwaltungsgericht eine Klage gegen die Maskenpflicht an der Aargauer Volksschule ein. Unterstützt werden sie vom Lehrernetzwerk Schweiz, das vom Lenzburger Sekundarlehrer Jérôme Schwyzer präsidiert wird. In der Beschwerde gegen die Maskenpflicht heisst es, diese entbehre jeglicher gesetzlichen Grundlage. Darum sei die Massnahme mit sofortiger Wirkung aufzuheben, fordern die Eltern und das Lehrernetzwerk.
Bei der Einreichung der Maskenklage sagte Schwyzer, die Masken in den Schulen hätten nur einen geringen Nutzen. Der SVP-Politiker, der selbst Vater von zwei Kindern ist, hielt vor den Medien fest: «Die Kinder sind keine Treiber der Pandemie.» In einem Beitrag von Tele M1 kam danach Kathrin Scholl, die Präsidentin des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (ALV) zu Wort – sie verteidigte die Maskenpflicht. Dies kritisiert das Lehrernetzwerk nun in einem offenen Brief an Scholl, welcher der AZ vorliegt.
Jérôme Schwyzer: «Lehrerverband ignoriert die Belastung der Schüler»

Jérôme Schwyzer, Präsident des maskenkritischen Lehrernetzwerks Schweiz.
«Sie negieren und ignorieren glattweg die Belastung der Schülerinnen und Schüler durch die einschneidenden Massnahmen», heisst es in dem Schreiben, das von Jérôme Schwyzer unterzeichnet ist. Scholl habe im Beitrag von Tele M1 wörtlich behauptet, die Schulen seien zu einem «Treiber der Pandemie» geworden. Zudem habe sie gesagt, die Maskenpflicht nach den Sommerferien sei «in dem Moment nötig» gewesen, auch um die Eltern zu Hause zu schützen.
Schwyzer schreibt, diese Aussagen von Scholl hätten ihn erstaunt und schockiert, «da sie im Widerspruch stehen zu den aktuellen medizinischen Erkenntnissen». Er verweist auf die Fachgesellschaft Pädiatrie Schweiz, die auf ihrer Website aus kinderärztlicher Sicht unter anderem festhält:
- Die Delta-Variante führt nicht zu schwereren Covid-Verläufen als vorgängige Varianten.
- Die Krankheitslast für Kinder und Jugendliche in der Schweiz ist für Covid insgesamt geringer als die Krankheitslast durch andere respiratorische Viren (RSV, Influenza).
- Der bisherige Verlauf der vierten Welle weist darauf hin, dass auch für die Delta-Variante die wichtigste Transmissionsrichtung von jungen Erwachsenen zu Kindern führt und nicht umgekehrt.
Maskengegner: ALV vergisst Lehrpersonen, die Massnahmen kritisch sehen
Schwyzer schreibt, angesichts dieser wissenschaftlich-medizinischen Tatsachen seien «die massiven Eingriffe in die Grund- und Persönlichkeitsrechte der Schülerinnen und Schüler unter keinem Titel zu rechtfertigen». Der ALV solle deshalb «auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und das Kindswohl achten», fordert das Lehrernetzwerk. Schwyzer ist der Meinung, «dass der ALV all jene Lehrerinnen und Lehrer, welche diesen Massnahmen kritisch gegenüberstehen, glatt ignoriert und vergisst». Aus diesem Grund habe das Lehrernetzwerk Schweiz auch grossen Zulauf. «Ich frage mich: Wäre es nicht Aufgabe des ALV, alle seine Mitglieder ernst zu nehmen und sie zu vertreten?», schreibt Schwyzer.
Er wirft Scholl und dem Lehrerverband vor, sie interessierten sich weder «für die Not, welche die Massnahmen für viele Lehrerinnen und Lehrer bedeuten, noch für das Leid vieler Schülerinnen und Schüler». Das Lehrernetzwerk biete dem ALV deshalb einen Dialog an, «um eine gemeinsame Strategie zum Ausstieg aus den unnötigen und schädlichen Massnahmen an den Schulen zu definieren», schreibt Schwyzer.
Kathrin Scholl: Kinder erkranken selten schwer – aber viele waren infiziert

Kathrin Scholl, Präsidentin des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes.
Kathrin Scholl sagt auf Anfrage, sie sei derzeit in den Ferien und nehme den Brief des Lehrernetzwerks zur Kenntnis. Scholl verteidigt sich aber gegen den Vorwurf, eine wissenschaftlich falsche Aussage gemacht zu haben. «Ich habe gesagt, dass wir nach den Sommerferien im Aargau leider viele Ansteckungen an Schulen feststellten und diese ein Treiber der Pandemie wurden. Die zahlreichen Infektionen sind eine Tatsache, zudem mussten mehrere Klassen in Quarantäne geschickt und ganze Schulstandorte geschlossen werden. Grund dafür war, dass wir den Effekt der Ferienrückkehrenden unterschätzt haben, dass nach den Sommerferien keine Maskenpflicht galt und keine repetitiven Tests möglich waren.»
Es sei korrekt, dass Kinder seltener Symptome hätten und die Krankheit bei ihnen meist milder verlaufe als bei Erwachsenen, räumt Scholl ein. Sie betont aber: «Mit der Delta-Variante hat sich aber die Zahl der Kinder, die sich mit Corona ansteckten, deutlich erhöht, was Massnahmen nötig machte.» Die Lehrerpräsidentin ist überzeugt, «dass eine Quarantäne von ganzen Klassen oder Schulschliessungen für die Kinder viel schlimmer sind, als wenn sie ab der 5. Klasse eine Maske tragen müssen». Auch sie wolle die Maskenpflicht an den Schulen nicht als Dauerzustand, betont Scholl. «Aber als temporäre Massnahme, um die hohen Ansteckungszahlen zu reduzieren, ist sie sinnvoll.»
Lehrerpräsidentin: «Man kann nie alle Mitglieder und Positionen vertreten»
Die Lehrerpräsidentin sagt weiter, der ALV stehe seit Beginn der Pandemie im ständigen Austausch mit seinen Mitgliedern, wobei Jérôme Schwyzer dem Verband nicht angehöre. Laut Kathrin Scholl gibt es drei Kategorien von Lehrpersonen im Verband: «Jene, die sich mehr Massnahmen wünschen und finden, wir hätten eine permanente Maskenpflicht fordern und mehr Fernunterricht machen sollen. Jene, die die Coronamassnahmen kritisieren und deren Aufhebung fordern. Und die weitaus grösste Gruppe, die mit unserem Kurs einverstanden ist.»
Der Verband registrierte laut Scholl einige Austritte von Lehrpersonen, die strengere Massnahmen forderten, und von solchen, die gegen die Einschränkungen waren. Die Zahl der Austritte sei aber tief gewesen, sagt die Präsidentin und hält fest: «Man kann nie alle Mitglieder und Positionen vertreten, aber wir versuchen, unsere Argumente zu erklären und mit dem jeweils aktuellen Wissensstand eine gesamtgesellschaftliche Position einzunehmen.»
Wie viele Mitglieder des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands auch dem maskenkritischen Lehrernetzwerk angehören, weiss Scholl nicht. «Natürlich dürfen sich Aargauer Lehrpersonen, die in unserem Verband dabei sind, auch beim Lehrernetzwerk engagieren», sagt die Präsidentin. Das beeinflusse die Arbeit des ALV allerdings nicht: «Wir wollen ja auch nicht wissen, welcher Partei eine Lehrperson angehört oder in welchem Verein sie ist – das ist Privatsache.»