Datenanalyse: Weniger leere Wohnungen im Aargau – ist das ein gutes Zeichen oder steigen jetzt die Mieten?

Der Kanton Aargau war während der letzten Jahre so etwas wie das Epizentrum der Wohnungsleerstände. Während in den städtischen Zentren ringsum (Zürich, Basel, Luzern) kaum Wohnungen leer standen, wuchs die Leerwohnungsziffer im Aargau praktisch während der letzten zwölf Jahre an. «Während der letzten fünf Jahre waren wir immer auf dem Podest der Kantone mit den höchsten Leerstände», sagt denn auch Patrick Herzog, Immobilienspezialist der Aargauischen Kantonalbank (AKB).

Doch nun hat der Trend gedreht: So stark wie im ersten Halbjahr ging die Zahl der leer stehenden Wohnungen im Kanton Aargau noch nie zurück seit Messbeginn 1995. Von über 8700 sank die Zahl der leer stehenden Wohneinheiten auf knapp über 7000 (-19,7 Prozent). Aber warum eigentlich?

Kein Kanton hat in den letzten Jahren mehr Leute angezogen als der Aargau

Ein gewichtiger Grund ist die interkantonale Zuwanderung. Oder wie UBS-Immobilienspezialist Maciej Skoczek sagt: «Im Jahr 2020 sind fast 16’500 Personen aus anderen Kantonen in den Aargau gezogen, während rund 13’500 weggezogen sind. Das entspricht einem Plus von knapp 3000 Menschen. Nur einmal seit Messbeginn 2004 gab es mehr Zuzug.» Und Patrick Herzog, Immobilienexperte der Aargauischen Kantonalbank (AKB), geht sogar noch weiter: «Wenn man die letzten fünf Jahre betrachtet, ist der Kanton Aargau der beliebteste Zuzugskanton der Schweiz.»

Vor allem aus den städtischen Zentren Zürich und Basel zog es in den letzten Monaten zahlreiche Menschen Richtung Aargau. Immer noch in unmittelbarer Nähe der Städte, aber mit deutlich tieferen Mieten respektive Verkaufspreisen. Und mit deutlich weniger Mitbewerbern, wenn es um neue Objekte im mittleren Preissegment geht. «Das Angebot in und um Zürich ist aktuell sehr knapp», hält Skoczek fest.

Der zweite grosse Treiber war mit Sicherheit Corona. Das Virus hat Homeoffice zum Alltag gemacht. Heute geht man gemeinhin davon aus, dass dies in gewissen Branchen wenigstens zum Teil erhalten bleibt. Skoczek: «Wenn man öfter von daheim arbeiten kann, sind viele bereit, einen weiteren Arbeitsweg in Kauf zu nehmen.»

Die Menschen lechzen nach mehr Raum – Corona und Homeoffice sei Dank

Das ist die eine Seite. Die andere: Die Wohnverhältnisse vieler Leute waren und sind nicht darauf ausgelegt, dass sie von zuhause arbeiten. Das zeichnet sich ganz deutlich bei der Entwicklung der Leerstände ab. So sanken die Leerstände bei Wohnungen mit 6 und mehr Zimmern von 426 auf 285 um rund einen Drittel, bei den 5-Zimmerwohnungen um rund einen Viertel, bei den 4-Zimmerwohnungen um einen Fünftel. Und so ähnlich geht es weiter bis hin zu den 1-Zimmerwohnungen, wo die Leerstände im ersten Halbjahr 2021 sogar von 431 auf 469 zunahmen.

Da hat sich im letzten Jahr ganz klar etwas verändert. «Wir hatten während der letzten Jahre eher Probleme grössere Wohnungen zu vermieten», sagt Remo Wehrli, Leiter Immobilienbewirtschaftung bei Hamero Immobilien in Aarau. Dagegen waren kleinere Wohnungen in Neubauten sehr gefragt. Und so haben viele Bauherren in den letzten Jahren eher auf kleine Wohnungen gesetzt. Doch jetzt scheint der Platzbedarf wieder zu steigen.

«Corona spielt sicherlich eine wesentliche Rolle bei der Verschiebung der Präferenzen hin zu grösserem Wohneigentum», sagt AKB-Immobilienspezialist Patrick Herzog. Diesen Trend zu grösseren Wohneinheiten bestätigt eine Untersuchung der Suchabos auf Immobilienplattformen von Wüest Partner. Die Nachfrage nach grösseren Wohnungen liegt eindeutig über Vorjahresniveau. Auch deshalb sagt Herzog, er gehe nicht davon aus, dass nun plötzlich alle wieder zurück ins Büro rennen und es weitergeht wie zuvor. Sprich: Die Entwicklung dürfte eine gewisse Nachhaltigkeit haben.

Weniger Leerwohnungen – was geschieht jetzt mit den Mieten?

Während der letzten zwölf Jahre stiegen die Leerstände eigentlich stetig (einzig 2019 gingen sie leicht zurück). Herzog geht davon aus, dass es sich wenigstens um eine temporäre Trendumkehr handelt. Denn während die Nachfrage insbesondere im 2020 und 2021 anstieg, nimmt die Bautätigkeit schon seit 2018 ab. Und die Spezialisten der AKB gehen davon aus, dass diese Entwicklung auch in den kommenden Monaten und Jahren anhält. Aber Herzog relativiert: «Während der letzten fünf Jahre wurde im Aargau im Verhältnis zur gesamten Schweiz überdurchschnittlich gebaut. Das dürfte auch künftig so bleiben, allerdings mit einer deutlichen Verlangsamung.»

Der Trend scheint klar, die Gründe auch. Aber was bedeutet das nun für die Mieterinnen und Mieter? Denn die Leerstände betreffen vor allem den Mietmarkt. Gut 88 Prozent der leer stehenden Wohnobjekte waren am 1. Juni 2021 Mietobjekte. Derweil die Leerstände stiegen, sanken die Mieten. Daniel Thoma, CEO des Immobilienbewertungsspezialisten Primus Property, sagt: «In den letzten fünf Jahre sanken die Angebotszinsen im Aargau stetig.»

Derzeit befinde sich der Aargauer Mietwohnungsmarkt in einer Seitwärtsbewegung, was sich auch daran zeige, dass derzeit die Zahl der Wohnungssuchenden (gemessen an der Zahl von Suchabos) und die Zahl der angebotenen Objekte nun wieder ungefähr die Waage hielten. Thoma: «An stark nachgefragten Lagen und bei stark nachgefragten Objekten wie Neubauten könnte es punktuell wieder zu einem geringfügigen Anstieg der Abschlussmieten kommen.»

Könnten die Mietpreise nun sogar flächendeckend anziehen? Skoczek winkt ab: «Die Mieten bleiben unter Druck.» Denn gewichtiger als der Einfluss von tieferen Leerständen sei das Verhältnis der Kosten einer Eigentumswohnung und einer Mietwohnung. «Wegen der anhaltend tiefen Zinsen, sind die Nutzungskosten einer Eigentumswohnung mit vergleichbarer Qualität und Lage im Durchschnitt zwischen 10 und 15 Prozent tiefer als die einer Mietwohnung», so Skoczek. Solange dieser Unterschied bestehe, sei der Druck auf die Mieten hoch.

Die leichte Abkühlung eines stark überhitzten Marktes

Was ebenfalls dafür spricht: Die sinkenden Leerstände könnten dazu führen, dass die Bautätigkeit wieder anzieht. Nach fünf Jahren mit einem Podestplatz fungiert der Kanton übrigens erstmals nicht in den Top3 der Kantone mit den grössten Leerständen (Platz 8). Wobei hier einschränkend gesagt werden muss, dass Gelegenheiten für Grossinvestitionen insgesamt knapper geworden sind.

Es ist eine leichte Abkühlung eines nach wie vor überhitzten Marktes. Wie es weitergeht, ist kaum vorherzusagen. Vor allem dürfte sich die Situation letztlich von Wohnobjekt zu Wohnobjekt unterscheiden. Alles ist immer eine Frage von Ort und Preis.

Ausreisser: Im ganzen Kanton sank die Leerstandsziffer – mit einer Ausnahme

Wie ist das bloss möglich? Während in allen Bezirken des Kantons die Leerwohnungsziffer sank, stieg sie in Rheinfelden an (wechselt man auf Gemeindeebene, gibt es weitere Ausreisser wie zum Beispiel Zuzgen, Rheinfelden oder Oberkulm) . Das erstaunt, denn gerade Wohnungen im Umfeld städtischer Zentren waren zuletzt sehr gefragt. Gerade bei Zuziehenden aus der Region Basel, das würden auch die Wanderungsströme zeigen, wie AKB-Immobilienspezialist Patrick Herzog sagt. Und Daniel Thoma von Primus Property ergänzt: «Während die Mieten zwischen 2014 und 2019 im ganzen Kanton sanken, blieben sie in Rheinfelden eher konstant.» Weil die Nachfrage so gross war. 

Thoma geht davon aus, dass es sich bei der Zunahme an Leerwohnungen in Rheinfelden um einen statistischen Ausreisser handeln muss. Und Herzog bläst nach Rücksprache mit den AKB-Mitarbeitenden vor Ort ins gleiche Horn: «Im Westen und in der Nähe des Bahnhofs von Rheinfelden sind zwei grosse Überbauungen (der Salmenpark und das Furnierwerk; Anm. d. Red.) auf den Markt gekommen.» Vor ein paar Jahren hätten sie schon einmal ein ähnliches Phänomen beobachtet: Eine grosse Überbauung kommt auf den Markt, die Leerstände schiessen hoch. «Aber schon im Folgejahr waren die Leerstände wieder auf normalem Niveau», so Herzog. 

Das dürfte auch dieses Mal der Fall sein. Denn der Aargau sei bei Baselstädtern nach wie vor sehr beliebt, wie Herzog von seinen Leuten in Rheinfelden weiss. Insbesondere das untere Fricktal sei bei Baslern sehr beliebt, bestätigt auch Thoma. Da entsteht ein Zuwanderungsdruck, der umso grösser ist, je besser der Ort verkehrstechnisch erschlossen ist. Von Rheinfelden ist man mit dem Zug innert einer Viertelstunde in Basel.