
«Pflicht zum repetitiven Testen beendet nicht die Pandemie» –Bildungsdirektor Alex Hürzeler erklärt die Normalisierungsphase in den Schulen
Seit den Sommerferien mussten im Aargau über 1000 Schulkinder in Quarantäne, Anfang September waren dreissig mal mehr Kinder infiziert als noch im Juli. Der Ärger bei Eltern war gross, der Ruf nach Massnahmen wurde laut, andere kritisierten die Wiedereinführung der Maskenpflicht am 1. September scharf. Jetzt hat der Regierungsrat entschieden, wie es weiter geht. Viel ändert sich für die Schulen, Schüler und Lehrpersonen vorläufig nicht.
Nach den extremen Ausbrüchen Anfang Monat, als unter anderem die Primarschule Lenzburg unter Quarantäne gestellt worden ist, hätte man vom Regierungsrat mehr Konsequenzen erwartet. Warum halten Sie an der bisherigen Strategie fest?
Alex Hürzeler: Wie wir mit dem repetitiven Testen oder der Maskentragpflicht verfahren, hängt auch von der allgemeinen Lage ab. Diese entwickelt sich derzeit positiv, insbesondere bei den entscheidenden Hospitalisationen. Das repetitive Testen bleibt darum sowohl für Schulen als auch für Schülerinnen und Schüler freiwillig.
Die Herbstferien stehen kurz bevor, die grossen Ausbrüche gab es nach den Sommerferien. Befürchten Sie keine ähnliche Situation?
Die Gefahr von Ansteckungen durch Ferienrückkehrer ist nach den Herbstferien erfahrungsgemäss kleiner als nach den Sommerferien. Zudem flacht die Kurve jetzt ab, die epidemiologische Lage ist ebenfalls eine andere als im Juli und August. Aber als Vorsichtsmassnahme wird die Maskentragepflicht bis Ende Oktober aufrechtergehalten, um einen normalen Unterricht ohne Klassenquarantänen möglichst zu garantieren. Wir befinden uns in der Normalisierungsphase. Die Schülerinnen und Schüler sollen nicht ausbaden müssen, was die Erwachsenen versäumen.
Das repetitive Testen hat nach den Sommerferien nicht funktioniert. Jetzt wurde es optimiert. Was wurde verbessert?
Es gab Kapazitätsengpässe in allen Bereichen. Diese konnten innerhalb des Covid-Programms in Zusammenarbeit mit betroffenen Schulen und den Schulverbänden inzwischen weitgehend behoben werden. Zudem können die Schulen die Nachtests wieder selber durchführen, das spart Ressourcen beim Covid-Programm. Auch wurden die Abläufe bei den Auswertungen optimiert. Es funktioniert bereits markant besser als noch vor drei Wochen, wie Rückmeldungen zeigen.
Warum aber bleibt es doppelt freiwillig, für die Schulen wie auch für die Schülerinnen und Schüler?
Eine Pflicht zum repetitiven Testen beendet nicht die Pandemie. Und die vielen Fälle in den Schulen waren nicht das Problem, sondern die hohe Belegung der Intensivstationen. Die Zahlen sind jetzt wieder andere als noch vor ein paar Wochen, der R-Wert im Aargau ist einer der tiefsten der ganzen Schweiz. Wir können also davon ausgehen, dass die Hospitalisationen ebenfalls noch zurückgehen. Jetzt als einziger Kanton das repetitive Testen für alle obligatorisch zu erklären, erachtet der Regierungsrat aufgrund der aktuellen epidemiologischen Lage nicht als angezeigt.
Das Ende der Maskenpflicht hat der Regierungsrat auf den 29. Oktober festgelegt. Ist es sinnvoll, hier ein Datum festzulegen, wenn es doch auf die epidemiologische Lage ankommt?
Ja, ein konkretes Datum gibt den Schulen eine Perspektive. Sollte sich die Situation in den Spitälern künftig markant verschärfen, ist der Regierungsrat gehalten, für alle Bevölkerungsgruppen geeignete Massnahmen zu beschliessen.
Gefordert werden, unter anderem von der SP, CO2-Messgeräte und Luftfilter in den Schulzimmern. Warum hat der Regierungsrat dazu keinen Entscheid getroffen?
Am wirkungsvollsten ist regelmässiges Lüften. Die Schulen in den Gemeinden können aber selbst entscheiden, ob sie CO2-Messer oder Luftreinigungsanlagen einbauen – für Letztere ist die Effizienz gegen Aerosole allerdings auch unter Fachleuten umstritten. Wir haben bei den Kantonsschulen den Einbau geprüft, kamen aber zum Schluss, dass die Schülerinnen und Schüler an den Kantonsschulen durch die erfreulich hohe Impfquote in dieser Alterskategorie bereits gut geschützt sind.
Dass der Regierungsrat auf Freiwilligkeit bei den Tests und auf die Schule vor Ort bei der Infrastruktur verweist, bringt ihm den Vorwurf ein, er übernehme keine Verantwortung. Was sagen Sie dazu?
Viele Beteiligte sind froh darüber, dass die Schule vor Ort entscheiden kann – sei es beim repetitiven Testen, den Luftfiltern oder auch Schutzkonzepten für Klassenlager. Die Ausgangslagen in den Schulen sind sehr unterschiedlich. Wenn die epidemiologische Lage für den ganzen Kanton nach massiven Einschränkungen verlangt, werden wir gesamtkantonal ansetzen. Derzeit gibt es dazu aber keinen Anlass.
Klassenquarantäne sollen neu nur noch in schwerwiegenden Fällen angeordnet werden. Warum war das bisher nicht möglich?
Die Ansetzung von Klassenquarantänen durch den kantonsärztlichen Dienst soll liberaler gehandhabt werden als in den letzten Wochen. Bei derart hohen Fallzahlen wie Anfang Monat schickte man die Klassen präventiv in Quarantäne, was dazu führte, dass wir in kurzer Zeit mehr solche Anordnungen hatten als in der ganzen bisherigen Pandemie zusammen. Das hat aber wieder abgenommen, derzeit befinden sich erfreulicherweise weniger als zehn Klassen in Quarantäne.
Klassenquarantäne war aber doch immer eine Notlösung?
Ja. Auch die Organisation Pädiatrie Schweiz empfiehlt sie nur im Notfall. In den Schulen müssen vor allem die gängigen Massnahmen wie Lüften und Abstand einhalten umgesetzt werden. Es wird immer wieder Corona-Fälle in den Schulen geben, das wird dann aber gehandhabt wie bei anderen Krankheiten: Das Kind bleibt daheim, bis es wieder gesund ist.
Welche Massnahme ist Ihnen persönlich lieber: Freiwilliges repetitives Testen oder Maskenpflicht?
Beides kann für die nächsten Jahre nicht die Lösung sein, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Langfristig am wirkungsvollsten ist die Impfung.
Kinder unter zwölf Jahren können sich bisher aber nicht impfen lassen…
Nein. Aber wenn die Erwachsenen solidarisch sind und sich impfen lassen, wirkt sich das auch auf die Ansteckungen in den Schulen und auf die Schülerinnen und Schüler aus. Dass im Aargau bei den 12- bis 15-Jährigen bereits 36 Prozent geimpft sind, erachte ich zudem als sehr positiv. Und weil inzwischen viele Kinder die Krankheit bereits durchgemacht haben, werden sich künftig auch weniger anstecken können.