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Als ob man Raubtiere füttert: Ein Besuch in Aarau beim Frauennationalteam im Unterwasserrugby

Sport im dreidimensionalen Raum: Im Unterwasserrugby gibt es nicht nur ein links oder rechts vorbei, sondern auch ein darunter oder darüber.
Wer keine Atemluft mehr hat, muss an die Oberfläche, um Luft zu holen.
Im Unterwasserrugby ist vieles erlaubt: Gesicht und Ausrüstung sind allerdings Tabu.
Klammern mit Armen und Beinen ist allerdings erlaubt, auch das Wegstossen der Gegnerin ist kein Problem. 
Pro Team sind sechs Athletinnen gleichzeitig im Wasser. Bis zu sechs weitere warten am Beckenrand, um eingewechselt zu werden.
Zu Beginn des Spiels ist Schnelligkeit gefragt: Wer erreicht den Ball in der Mitte als Erste?
Im Unterwasserrugby gibt es zahlreiche Mixteams: Im Nationalteam der Frauen spielt aber nur Trainer Dennis Rockenbach (unten) im Training mit.
Einmal pro Monat treffen sich die Nationalspielerinnen in Aarau, um sich an einem Trainingswochenende zu verbessern.

Wüsste man nicht, dass sich da Menschen im Wasser bewegen, könnte man auch an einer Raubtierfütterung sein. Immer wieder schiessen die Frauen nach unten. Die Beute haben sie stets im Blick. Statt Fische jagen sie allerdings einen Ball, stehlen ihn den Gegnerinnen und versuchen, das schwere Spielgerät in einen auf den Boden versenkten Korb zu legen.

Willkommen beim Unterwasserrugby. Ja, das gibt es. Und wie bei so mancher Randsportart ist das Geld meist knapp, die Leidenschaft der Spielerinnen dafür umso grösser.

Blindes Verständnis trotz Taucherbrille

Es ist Samstagmorgen, 9 Uhr. Die Spielerinnen des Schweizer Nationalteams treffen im Hallenbad Telli in Aarau ein. Einmal im Monat findet ein solcher Zu­sammenzug der Besten statt. Der Trainer, Dennis Rockenbach, ist extra aus Mainz angereist. Los geht es bereits am Freitagabend mit Theoriestunden, mit Kniffs und Tricks, die dann am Samstag und Sonntag im und unter Wasser umgesetzt werden sollen.

Die Nächte verbringt das Team im Hotel, obwohl der Weg nach Hause für die meisten kurz wäre. Die drei besten Teams der Schweiz spielen in Basel, Zürich und Luzern. Trotzdem zahlen die Athletinnen freiwillig und aus dem eigenen Portemonnaie für ein Zimmer. Teambuilding ist wichtig. Besonders in einer Sportart, die von blindem Verständnis lebt.

Zwar sehen die Frauen dank Taucherbrillen auch unter Wasser gut, doch vieles hat trotzdem mit Intuition zu tun. Man muss den richtigen Moment erwischen, um abzutauchen. Nicht zu früh und nicht zu spät. Da ist es auch wichtig, zu wissen, wie sich die Teamkollegin bewegt, wo und wie der Ball übergeben werden kann.

«Kenne ich eine Mitspielerin, muss ich mich nicht umschauen, ich weiss, die atmet jetzt dreimal und dann kommt sie», sagt ­Simone Büchler. Die 26-jährige Baslerin ist Captain des Nationalteams und spielt, seit sie elf Jahre alt war. Damit ist sie aber eher die Ausnahme. Die meisten sind Quereinsteigerinnen. Im Team hat es eine ehemalige Synchronschwimmerin, solche, die über das Tauchen zum Sport fanden, und viele, die von Schwimmklubs kamen.

Wird es hektisch, ist es von Vorteil, intuitiv zu wissen, wo die Mitspielerin ist.

An der EM als kleine Fische die Haie ärgern

Weil es vor allem bei den Frauen im Unterwasserrugby noch eher wenige Athletinnen gibt, wird in vielen Klubs in Mixteams gespielt. «Das schreckt vermutlich einige Frauen ab», sagt Büchler. Sie betont zwar, dass das Spiel mit Männern gut funktioniere und es die Frauen im eigenen Selbstbewusstsein sogar stärke. Trotzdem hätten reine Frauenteams wohl eine stärkere Sog­wirkung.

Die Rekrutierung ist auch für Nationaltrainer Dennis Rockenbach eine Herausforderung. «Ich würde mir wünschen, dass Unterwasserrugby in der Schweiz stärker gefördert wird», sagt er und ergänzt:

«Noch müssen die Athletinnen alles selbst bezahlen. Und wenn man sieht, wie viel es kostet, Bereiche eines Hallenbads in der Schweiz zu mieten, ist das schon heavy.»

Rockenbach hat sich darum überlegt, nach Deutschland auszuweichen. «Aber wie wirkt es, wenn das Nationalteam nicht in der Schweiz trainieren würde?», fragt er.

Mit dem Hallenbad in der Telli fand Rockenbach eine Schweizer Lösung. «Die Trainingsmöglichkeiten sind gut, das Personal ist sehr hilfsbereit und vor allem ist es für uns dank fairer Tarife ­finanzierbar», sagt er.

Nur so sind die regelmässigen Zusammenzüge des Nationalteams möglich. Und damit der angestrebte Fortschritt realistisch. Im nächsten Sommer findet die EM statt und ein Jahr später die WM. «Dort wollen wir als kleine Fische die Haie ärgern», sagt der deutsche Trainer.

Mit dem Hallenbad Telli in Aarau hat das Schweizer Nationalteam eine geeignete Trainingslocation gefundne. Im Hintergrund trainieren Schwimmerinnen und Schwimmer.

Dafür fördert und fordert Rockenbach seine Athletinnen. «Geh jetzt mal richtig drauf», hört man ihn immer wieder im Becken sagen. Frauen seinen manchmal zögerlich, während Männer mit dem Kopf durch die Wand gehen.

Er meint das nicht wertend. Denn nur mit Körpereinsatz geht es nicht. «Gute Teams spielen sehr schnell und mit viel Zeit unter Wasser.» Erst vor dem Tor wird’s ruppig.

Darum gibt es auch nicht den perfekten Spieler, die perfekte Spielerin: «Ideal wäre es, gross zu sein und gleichzeitig klein, schwer und gleichzeitig leicht», sagt Rockenbach. Bei Kontern, wenn sich die Athletinnen mit heftigen Flossenschlägen be­wegen, ist Schnelligkeit gefragt. In der Verteidigung besonders viel Luft. Und in der Gefahrenzone die Fähigkeit, sich durchzusetzen.

Eine Sportart im drei­dimensionalen Raum

Um ein Gegentor zu verhindern, legt sich eine Spielerin wortwörtlich auf den Korb. Im Fachjargon auch Deckel genannt. Davor verteidigt der Dackel. «Ja, wie der Hund», sagt Deborah Morgenstern.

Je sechs Spielerinnen sind pro Team gleichzeitig im Wasser. Bis zu sechs weitere warten am Beckenrand und dürfen rein, sobald eine andere das Wasser verlässt. «Mich fasziniert, dass wir uns dreidimensional bewegen», sagt Morgenstern. Es gibt nicht nur ein links oder rechts vorbei, sondern auch ein darunter oder darüber.

«Das ist einzigartig», sagt die Luzernerin. «Zu Beginn hatte ich immer wieder Mühe, die Orientierung zu behalten.» Als Schwimmerin bewegte sie sich vor allem an der Oberfläche, nun ging es drei bis fünf Meter nach unten.

Mirjam Fuchs ist die einzige Aargauerin im Team. Die Tiefen waren für die Taucherin kein Problem. «Neu waren für mich die schnellen Bewegungen», sagt sie. Zum Unterwasserrugby fand sie bei den Sporttauchern Aarau, die den Sport allerdings nur nebenbei betreiben. Um wettkampfmässig zu spielen, musste Fuchs nach Zürich ausweichen.

Nationaltrainer Rockenbach sieht genau hier Steigerungspotenzial. «Gibt es mehr Vereine, die Unterwasserrugby mit Ambitionen anbieten, gibt es mehr Nachwuchs und auch mehr Spielerinnen mit Potenzial.» Und damit eine gute Basis für internationalen Erfolg. Damit aus kleinen Fischen Haie werden. Raubtiere.