Die Tücken mit der Prämienverbilligung: Warum es für manche ein böses Erwachen gibt und worauf man achten muss

Eine junge Aargauerin bekam im Herbst 2019 dicke Post: Über 7000 Franken Prämienverbilligungen musste sie zurückbezahlen. Besonders bitter für die junge Frau: Sie machte gar nichts falsch. Sie meldete der SVA Aargau fristgerecht, dass sie ihr Pensum als Lehrerin aufgestockt habe und mehr verdienen würde. Wegen eines Fehlers der SVA bekam sie dennoch weiterhin Prämienverbilligungen. Erst 2,5 Jahre später flog der Fehler auf. Die junge Frau musste alles aufs Mal zurückzahlen.

Das sei ein Einzelfall gewesen, den man bedauern würde, betont die SVA Aargau. Wie häufig solche Fehler vorkommen, ist unbekannt. Die SVA Aargau führt diese Statistik nach eigenen Angaben nicht. Was häufiger vorkommen dürfte: Dass eine Person der SVA nicht fristgerecht meldet, dass sich ihr Einkommen verändert hat. Und die Person dadurch weiterhin Prämienverbilligungen erhält.

Genau das ist Florian Hunziker passiert. Er beantragte im ordentlichen Verfahren fürs Jahr 2017 Prämienverbilligungen. Diese wurde im gewährt, obwohl er 2017 mehr verdiente als noch 2016. Im Herbst 2019 flog das auf, und Hunziker musste über 6000 Franken aufs Mal zurückbezahlen.

Nicht alle denken daran, sich rechtzeitig zu melden

Das Problem dabei: Ob jemand Anspruch auf Prämienverbilligungen hat oder nicht, wird anhand der Steuerveranlagung von vor drei Jahren berechnet. Wer für 2021 Prämienverbilligung beantragt, von dem wird die Steuerveranlagung von 2018 angeschaut. Dies aus dem simplen Grund heraus, dass aktuellere Steuerveranlagungen noch nicht in allen Fällen vorliegen. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Die Codes für die Anmeldung zur Prämienverbilligung 2021 wurden im Herbst 2020 verschickt. Zu diesem Zeitpunkt lagen weniger als 50 Prozent der rechtskräftigen Steuerveranlagungen von 2019 vor.

So geschieht es im ordentlichen Verfahren. Wenn sich nun jemandes Einkommen in der Zwischenzeit ändert, dann muss die Person das von sich aus der SVA melden. Sowohl, wenn sie weniger verdient und dadurch neu Anspruch auf Prämienverbilligungen hätte. Aber auch, wenn sie mehr verdient und deshalb keinen Anspruch mehr hat. Tut sie das nicht, kommt es so raus wie bei Florian Hunziker. Seit 2016 hat der Aargau dieses System.

Ähnliche Systeme in anderen Kantonen

Andere Kantone handhaben es ähnlich. Etwa Bern, Solothurn oder beide Basel. Diese Kantone sind allerdings etwas schneller bei der Erstellung der Steuerveranlagungen. Deshalb dienen dort die Steuerveranlagungen von vor zwei Jahren als Berechnungsgrundlage. Gleich ist, dass Personen, deren Einkommen sich ändert, das von sich aus melden müssen. Der Unterschied: Vergisst das jemand, muss er oder sie im schlimmsten Fall «nur» zwei Jahre zurückbezahlen, nicht drei.

Wie häufig es vorkomme, dass Menschen im Aargau Prämienverbilligungen zurückzahlen müssen, auch das weiss die SVA aktuell nicht. Erst in diesem Jahr werde man systematische Nachkontrollen durchführen.

Politik sieht keinen Handlungsbedarf

Trotz dieser Fälle: Grundsätzlich das System, wie der Prämienverbilligungsanspruch berechnet wird, auf den Kopf zu stellen: Das ist im Aargau aktuell kein Thema. Weder bei Politikern von links noch von rechts. «Wegen Einzelfällen das System zu ändern, ist nicht nötig», sagt Sabina Freiermuth, Fraktionspräsidentin der FDP. «Es gibt ein Recht auf Prämienverbilligungen. Aber auch eine Pflicht, sich zu informieren und die Dokumente richtig zu lesen.»

Identisch argumentiert André Rotzetter, Gesundheitspolitiker von Die Mitte. Das System setze voraus, dass jeder von sich aus mitdenke: «Wir können den Menschen nicht die ganze Verantwortung abnehmen.» Ausserdem: Ob man jetzt die Steuerveranlagung von vor zwei oder von vor drei Jahren als Berechnungsgrundlage nehmen würde: Melden müsse eine Person, deren Einkommen sich verändert, sich so oder so.

Kanton Zürich hat seit diesem Jahr ein anderes System

Der Kanton Zürich wendet seit diesem Jahr ein anderes System an. In diesem sind die aktuellen Steuerfaktoren entscheidend. In einem ersten Schritt wird der provisorische Anspruch anhand der vorhanden Steuerdaten ermittelt. 80 Prozent der provisorischen Prämienverbilligung wird daraufhin ausbezahlt. Die restlichen 20 Prozent dann, sobald die definitiven Steuerfaktoren fürs jeweilige Jahr vorliegen. Ausserdem kann man in Zürich via Online-Rechner selbst berechnen, ob man Anspruch auf Prämienverbilligungen hat oder nicht.

Diese Lösung sei zumindest schon einmal interessant, sagt Severin Lüscher, Gesundheitspolitiker der Grünen. Sollte sie sich bewähren und könnte sie mit vertretbarem Aufwand im Aargau eingeführt werden, dann kann er sich durchaus vorstellen, sie zu übernehmen. Aktuell sieht aber auch er keinen Handlungsdruck: «Das Fehlerrisiko wird nie null sein. In die Vermeidung von seltenen Fehlern zu investieren, lohnt sich nicht.» Entscheidend sei, wie mit diesen Fehlern umgegangen werde.