«Wird kritiklos in Kauf genommen»: Aargauer FDP und SVP irritiert über Sonderweg bei den Schulschliessungen

Ab kommendem Montag sind im Aargau die Schulen der Sekundarstufe II – Berufsschulen und Gymnasien – für einen Monat im Fernunterricht. Andere Kantone haben sich bisher nicht zu diesem Schritt entschieden, der Bundesrat hat keine Weisung erlassen und die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) sprach sich vor wenigen Tagen gegen Fernunterricht aus – und zwar auf allen Stufen. Erst letzte Woche sagte Bildungsdirektor Alex Hürzeler zudem, Schulschliessungen gebe es nur in Absprache mit anderen Kantonen, der Aargau strebe mindestens eine überregionale Lösung an.

FDP befürchtet mehr Unsicherheiten

Diese ist ausgeblieben. «Ich bin erstaunt darüber, dass der Regierungsrat seine Meinung schon wieder wechselt. Erst vor Wochenfrist kündigte er an, es gebe keinen Aargauer Alleingang mehr, nun ist das bereits wieder obsolet», sagt die Fraktionspräsidentin der FDP im Grossen Rat Sabina Freiermuth. Damit riskiere man, dass Aargauer Schülerinnen und Schüler schliesslich länger im Fernunterricht bleiben müssen als Schüler in anderen Kantonen. «Wenn der Bundesrat oder die Kantone doch noch eine Schliessung verordnen und diese über den 26. Februar hinausreicht, sind die Aargauer entweder im Nachteil oder erneut allein auf weiter Flur. Aber offenbar wird das heutzutage kritiklos in Kauf genommen.» Dass jetzt, angesichts der sinkenden Ansteckungszahlen, diese Massnahme «ohne Not, sozusagen auf Vorrat» beschlossen wurde, schaffe letztlich noch mehr Unsicherheiten. «Man fragt sich, was der Regierungsrat nächste Woche beschliesst», so Freiermuth.

Partei des Bildungsdirektors irritiert über erneuten Sonderweg

Über den Aargauer Alleingang ist auch die SVP, die Partei des Bildungsdirektors, nicht erfreut. Der Regierungsrat vollziehe eine «ziemliche Pirouette» und schiesse über das Ziel hinaus, stellt Fraktionschefin Désirée Stutz fest. Warum ausgerechnet bei den umstrittenen Schulschliessungen der Aargau vorangehen müsse, erschliesse sich der SVP nicht – zumal der Kanton bereits im Dezember, mit den Ladenschliessungen, einen Sonderweg gewählt habe, dessen Wirksamkeit aufgrund der neusten Zahlen in Frage gestellt werden müsse.

SP: Entscheid war überfällig

Anders als die Bürgerlichen begrüssen die Linken die Schliessung der Schulen der Sek II. Die Ausnahmeregeln gewährten die Chancengleichheit, schrieb Grünen-Grossrätin Ruth Müri auf Twitter, und: «Ein sinnvoller Entscheid des Regierungsrats!» Dass der Aargau den Weg allein gehe, sei zwar unschön, anders als bei der Schliessung der Geschäfte führe dies aber nicht zu Ausweichbewegungen in andere Kantone, sagt SP-Präsidentin Gabriela Suter. Der Entscheid der Regierung sei gar überfällig. «Bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II handelt es sich um Jugendliche und junge Erwachsene. Diese müssen die Abstandsregeln einhalten, was in vielen Schulen aufgrund der engen Raumverhältnisse sehr schwierig ist.» Der Fernunterricht sei auf dieser Stufe hingegen zumutbar, sagt Gabriela Suter, selber ehemalige Mittelschullehrerin.

Das sagt auch Marianne Binder, Präsidentin Die Mitte Aargau, ehemals CVP. «In diese Zeit fallen ja auch die Sportferien, somit ist der Fernunterricht auf drei Wochen begrenzt.»

Umfrage zeigte, dass Schüler und Lehrer die Schliessung befürworten

Doch wie sehen das die Lehrerinnen und Lehrer? «Wenn mit der Schliessung der Sekundarstufe II die Anzahl der Ansteckungen gesenkt werden kann, leisten wir diesen Beitrag», sagt Manfred Dubach, Geschäftsführer des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Die Schliessung sei vertretbar, denn «wenn es noch einmal Fernunterricht geben soll, dann ist jetzt sowieso der richtige Zeitpunkt». Das Semester ist fast zu Ende, die Noten bereits gemacht, in zehn Tagen haben die Schülerinnen und Schüler zwei Wochen Ferien.

Eine Umfrage der Abteilung Mittelschulen des Bildungsdepartements habe zudem ergeben, dass eine Mehrheit der Schüler und Lehrer die Schliessung befürworten. «Wenn es diese jetzt braucht, damit bald wieder Normalität einkehren kann, ist sie sinnvoll», so der ALV-Geschäftsführer. Gymi- und Berufsschüler seien gut auf den Fernunterricht vorbereitet, alle hätten die nötigen Geräte und brächten die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown mit.

 

Ausnahmen auf Wunsch des Lehrerverbands

«Für uns war wichtig, dass die Prüfungen absolviert werden können und dass jenen, die einen brauchen, ein Arbeitsplatz in der Schule zur Verfügung gestellt wird», so Dubach. Die beschlossenen Ausnahmen für die Schulschliessungen gingen auch auf den Wunsch des Lehrerverbands zurück. «Es ist ein Unterschied zu einer Komplett-Schliessung, wenn die schwächeren Schüler in der Schule arbeiten können.» Auch wenn Fernunterricht für ältere Schüler deutlich weniger problematisch sei als für die jüngeren, so gebe es doch auch unter ihnen einige, die mit dem Lernen ohne soziale Kontakte grosse Mühe haben. «Das hat der Lockdown im Frühling gezeigt», sagt Manfred Dubach, darauf hätten die Lehrerinnen und Lehrer reagiert.

Weiter wünschte der ALV ein fixes Enddatum der Schliessung. Auch dem ist der Regierungsrat nachgekommen, ab Montag, 1. März, sind auch die Gymi- und Berufsschüler wieder in den Klassenzimmern – sofern sich bis dann die Situation nicht wieder ändert.