
Der Aargau hat die Härtefallklausel schnell aufgegleist – das Gewerbe aber zweifelt an der Wirkung der Hilfen
Ein Hauch Déjà-vu schwebt in die Luft, wenn wir diese Zeilen schreiben: Denn Eindrücke von leidenden Eventbranchen, stillen Nachtclubs und leeren Restaurants haben wir schon oft geschildert, ihre Befürchtungen ausführlich thematisiert. Wir kommen aber nicht daran herum.
So besuchten wir diese Woche den Schausteller Thomas Peter aus Rothrist, dessen Karusselle, Schiessbuden und Wagen ungenutzt im solothurnischen Däniken auf einem Gelände im Regen stehen. Seit November 2019 hat er kein Geld verdient. Die wenigen Franken, die er an einer improvisierten Chilbi rein kamen, vermochten seine Kosten nicht zu decken.
Und die Prognosen für das nächste Jahr sind denkbar schlecht: Jugendfeste, sonst immer wichtige Termine auf seinem Jahreskalender, werden eine nach dem anderen abgesagt. Rothrist, Oftringen, Suhr, Reinach, Oberkulm… «Wir haben eine tote Branche», fasst der Schausteller zusammen. Er habe sogar versucht, Teile seiner Firma zu verkaufen. Vergebens: Wer kauft schon in dieser Konjunkturlage, in dieser Branche?
Angesichts dieser Krisensituation begrüssen die Gewerbeverbände die rasche Umsetzung der Härtefallklausel des Kantons Aargaus. Seit dem 3. Dezember ist es möglich, ein Gesuch für Härtefallhilfe einzureichen. Im Vergleich dazu ist es im Kanton Zürich erst ab Februar möglich, in Solothurn werden ab dem 1. Januar Gesuche entgegengenommen.
Unterdessen hat das vom Volkswirtschaftsdepartement mandatierte Hightech Zentrum Aargau 125 Gesuche erhalten, 23 davon sind vollständig. Erste Auszahlungen könnten sogar noch im Dezember erfolgen. Dies geschieht, obwohl das Kreditvolumen erst im Januar nachträglich vom Grossen Rat genehmigt werden soll. Diese Woche haben diverse Kommissionen des Grossen Rates den Regierungsrat ermächtigt, vorzeitig die finanziellen Mittel freizugeben: 125 Millionen Franken stehen für Unternehmen bereit.
Die Härtefallklausel soll für die Gastrobranche untauglich sein
Das Departement Volkswirtschaft und Inneres hat also bereits jetzt jede Menge zu tun: Es muss entscheiden, welche Unternehmen überhaupt unterstützt werden sollen, und falls ja, wie: entweder durch A-fonds-perdu-Beiträge oder mit Notfallkrediten. Dabei hält es sich an die Vorgaben des Bundes: Nicht rückzahlbare Beiträge belaufen sich auf höchstens 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes 2018 und 2019 und auf höchstens 500000 Franken, Kredite dürfen höchstens 25 Prozent des Umsatzes ausmachen und höchstens 10 Millionen Franken pro Unternehmen.
Die Gewährung von A-fonds-perdu-Beiträgen oder von Krediten und Bürgschaften erfolgt nach Einhalten verschiedener Kriterien. Allerdings werden unter Aargauer Gewerblern und Unternehmen jetzt schon Stimmen laut, wonach die Hürden viel zu hoch angesetzt seien: «Diese Härtefallklausel ist für die Gastrobranche absolut untauglich», wettert Bruno Lustenberger von Gastro Aargau etwa.
Es wird gemäss seiner Einschätzung sehr schwierig sein, dass Gastrobetriebe überhaupt Unterstützung erhalten. Denn nicht rückzahlbare Beträge werden nur Unternehmen ausgezahlt, die einen über vierzig Prozent hohen Umsatzrückgang verzeichnen. Gleichzeitig muss ein Unternehmen realistische Überlebenschancen haben.
«In der Gastrobranche geht es uns schon schlecht, wenn wir 20 Prozent weniger Umsatz haben», sagt Lustenberger. Mit 40 Prozent sei ein Gastrounternehmen kaum rettbar – und somit könnten viele Unternehmen durch die Maschen fallen, weil es ihnen entweder zu gut oder zu schlecht geht, um Geld zu erhalten. Kredite seien auch keine Lösung: «Bei einer Marge von zwei bis drei Prozent machen Restaurants kaum genug Gewinn, um solche Kredite zurückzuzahlen».
Wie viele Unternehmen die Hilfe beanspruchen ist fraglich
Deshalb dürften viele Unternehmen gar nicht erst einen Antrag stellen, und das nicht nur in der Gastrobranche, wie der Schausteller Thomas Peter bestätigt: «Das bringt nichts, ich werde keinen Franken erhalten.» Er sagt, allein der administrative Aufwand sei kaum zu bewältigen; Betreibungsauszüge beschaffen koste Geld, und mittlerweile zähle jeder Rappen.
Darüber hinaus muss ein Unternehmen schuldenfrei sein und nachweisen können, wie überlebensfähig es ist: «Ich kann das nächste Jahr kaum planen, wie soll ich da über mehrere Jahre einen Business-Plan erstellen?» Peter versteckt seine Wut nicht: «Dabei hiess es doch während des ersten Lockdowns, sie würden uns nicht im Stich lassen.»
Trotzdem herrscht unter Vertretern des Gewerbes Vertrauen in die kantonale Unterstützung. Fest steht, dass der Aargau darauf verzichtet hat, die Vorgaben des Bundes strikter einzuordnen, was andere Kantone wie Solothurn gemacht haben. Aber für Bruno Lustenberger und Gastro Aargau sind die vom Bund vorgeschriebenen Mittel die falsche Hilfe.
Deshalb hätten während des ersten Lockdowns viele Unternehmen gar keine Gesuche ausgefüllt, um von den kantonalen Unterstützungsmassnahmen zu profitieren. Der Kanton findet allerdings andere Gründe dafür, dass nur 25 Millionen Franken von 150 verfügbaren ausgezahlt wurden – davon 4,8 Millionen A-fonds-perdu-Beiträge. Dadurch, dass diese Hilfe zusätzlich zu den Bundesunterstützungen liefen und die Aufhebung der Einschränkungen im Juni der Wirtschaft ermöglichte, sich schneller zu erholen, sind aus Sicht der Departements die wesentlichen Gründe für die wenigen Gesuche, von denen die allermeisten genehmigt wurden.
Die Aargauische Industrie- und Handelskammer geht davon aus, dass dieses neue Massnahmenpaket stärker gefragt sein wird, da sich die wirtschaftliche Situation vieler Unternehmen weiter verschärft.
Der Kanton handelt schnell – doch die Lage sei noch dringlicher
Seinerseits sagt auch der Präsident des Gewerbeverbandes Benjamin Giezendanner, dass er die Zusammenarbeit mit und die Hilfsbereitschaft des Kantons begrüsse. Noch letzte Woche widmete er im Mitteilungsblatt des Gewerbeverbands der Verwaltung ein «Kränzchen» für die schnelle Umsetzung der Covid-Härtefallverordnung.
Unterdessen habe sich aber die Lage mit der Schliessung von Restaurants ab 19 Uhr und mit dem Verbot der Sonntagsverkäufe einmal mehr verschärft. So ruft SVP-Nationalrat Giezendanner nach dringlichem Handeln, wie dies eine Interpellation von CVP-Grossrat und Gewerbeverbands-Vizepräsident Andreas Meier will: Meier bemerkt darin die gleichen Mängel in der Härtefallverordnung und will vom Regierungsrat wissen, ob er weitere Massnahmen in Betracht ziehe oder die Hürden für die Zusicherung von Krediten und A-Fonds-perdu-Beiträgen lockern könnte.
Meier wünschte zudem, dass seine Interpellation als dringlich zu betrachten sei, was den Regierungsrat verpflichtet hätte, sie innerhalb von vier Sitzungen zu beantworten. Allerdings scheiterte er damit im Rat, was Giezendanner zusätzlich beunruhigt: «Sofern der Bundesrat am Freitag eine weitere Etappe zündet und Restaurants ganz schliesst respektive auch noch Detaillisten ohne täglichen Bedarf schliesst, müsste dringlich gehandelt werden.»