
Villigen Valley: Innovationscampus für über 150 Millionen soll die Besten der Welt in den Aargau locken
Unter unseren Füssen knirscht der Kies, als wir in die Grube runtersteigen. Vor knapp einem Jahr fuhren hier an der Hauptstrasse zwischen Villigen und Böttstein die Bagger auf, hoben innert weniger Wochen dieses gewaltige Loch aus, 130 Meter lang, 85 Meter breit und bis zu 14 Meter tief. 82’000 Kubikmeter Erde verschoben sie und legten damit die Basis für den Park Innovaare, direkt neben dem Paul Scherrer Institut (PSI). Der hier entstehende Campus ist einer von insgesamt fünf Innovationsschwerpunkten der Eidgenossenschaft (Basel, Bern, Lausanne und Zürich).
«In Sachen Innovation ist die Schweiz weltweit führend. Und das soll auch so bleiben», sagt Benno Rechsteiner, CEO der Park Innovaare AG. Die Wahl des Standorts für das Projekt ist alles andere als zufällig. «Es ist unser Ziel, hier kreative Unternehmen mit führenden Wissenschaftlern zusammen- zubringen», erklärt Rechsteiner, «wir wollen hier die Zukunft gestalten.» Man will den Herausforderungen unserer Zeit mit technischen Lösungen begegnen. Rechsteiner spricht von nachhaltigem Energiemanagement, Batterien für Elektroautos, Brennstoffzellen für Wasserstoff-Lastwagen, Elektrolyse und dergleichen.
Dabei wird klar, wo der Fokus zu Beginn liegen soll: auf Energiesystem, zum Beispiel in der Automobilindustrie. Man arbeite intensiv daran, Unternehmen aus diesem Sektor für Villigen zu begeistern – vom Komponentenhersteller bis zum Auto-Produzenten. Zielmärkte sind insbesondere USA, Japan und Südkorea. In diesen Ländern versucht man, Hightech-Unternehmen für den Standort im Aargau zu begeistern. Eines der Hauptargumente bei der Vermarktung ist das PSI, diese Institution mit Weltruf.
Das Prunkstück des Baus: Der Reinraum
Einzig die Kantonsstrasse 442 trennt PSI und Innovationscampus. Während wir das wacklige Treppengerüst in die künftige Tiefgarage hinunterbalancieren, rauschen die Autos hinter dem Bauzaun durch. Bis zu 6000 am Tag. Vor wenigen Minuten haben die Männer, die hier sonst Armierungseisen verlegen oder Decken und Wände stützen, Feierabend gemacht. «Vorsicht, hier wurde frisch betoniert», mahnt Daniel Leber, Gesamtprojektleiter der Erne AG mit Hauptsitz in Laufenburg.
Mit mehr als 1000 Mitarbeitenden ist Erne definitiv ein Schwergewicht in der Baubranche. Trotzdem ist der Park Innovaare das grösste Projekt, welches das Unternehmen je realisiert hat. Um die 50 Personen der Erne AG sind ständig in Villigen. Es ist allerdings nicht nur die schiere Grösse, die dieses Projekt besonders macht. Auch die Ansprüche der Hightech- Industrie und die höchst sensiblen Gerätschaften der benachbarten Wissenschaftler stellen Leber und seine Leute vor spezielle Herausforderungen.
Wir stehen in der künftigen Tiefgarage. Der Lehmboden ist nass vom Regen der vergangenen Tage. Projektleiter Leber zeigt auf das Gebäude vor uns. Es ist das Prunkstück der ersten Bauetappe, der Reinraum. Der Blick schweift nach oben, die Schleierwolken am Himmel wechseln ihre Farbe langsam von Rosa zu Grau. Es dunkelt ein und vor uns steht dieses Betonungetüm. Man hat es direkt auf den Fels gebaut. Jetzt bahnen wir uns einen Weg ins Innere.
«Wir haben hier entkoppelte Betonfundamente eingebaut», erklärt Leber, als wir unter dem Reinraum stehen. Dank dieser Massnahmen, dem Bau direkt auf dem Fels und den Hunderte Tonnen schweren Fundamenten, soll der Raum über uns dereinst praktisch erschütterungsfrei sein. Noch ist es hier unten – abgesehen von den riesigen Pfützen, den meterhohen Teleskopstützen und den vereinzelten Scheinwerfern – gespenstisch leer. In Zukunft soll hier die Technik des Innovationsparks untergebracht werden.
Wenn jeder Wackler zu viel des Guten ist
Als wir nach oben gehen, in den Reinraum, erklärt Christian Rüegg, warum es diesen gewaltigen Aufwand braucht. Rüegg ist Quantenphysiker und seit diesem Jahr Direktor des Paul Scherrer Instituts. «Dank all diesen Massnahmen können wir Erschütterungen im Innern auf ein absolutes Minimum reduzieren», erläutert er.
Zudem wird der Raum nur über eine Schleuse erreichbar sein. Im Innern muss die Luft extrem rein sein, von konstanter Temperatur. «Hier drin wird mit optischer Lithografie gearbeitet, wie bei der Chip-Herstellung in der Halbleiterindustrie. Schon ein einziges Staubkorn kann das komplette Setting zerstören», so Rüegg. Präzision im Nanometer-Bereich erfordert besondere Bedingungen, und die will man hier bieten.
Für Rüegg ist klar: Was hier entsteht – der Reinraum, die beiden angrenzenden, sechsstöckigen Bürogebäude und die vorgelagerte Präzisionswerkstätte – ist eine riesige Chance für das PSI und die Schweiz. «Wir wollen aber nicht nur internationale Firmen in die Schweiz holen, es geht auch darum, dass wir die hervorragenden Ideen, die am PSI entstehen, hier in der Umgebung halten können», sagt er. Die Nähe zur Wissenschaft ist gegeben. Die Unterführung vom Innovationscampus zum PSI und den direkt gegenüber liegenden Teilchenbeschleunigern ist längst fertiggestellt. Bis 2023 soll die erste Bauetappe beendet sein, mehr als 23’000 Quadratmeter Geschäftsfläche entstehen.
Bauplan ist auf die PSI- Experimente abgestimmt
Zu 65 Prozent wird sich das PSI selbst einmieten. Auch einzelne Start-ups wie die Medtech-Firma LeadXPro oder das Technologietransferzentrum Anaxam stehen als Mieter schon fest. Darüber hinaus dürften weitere der insgesamt 17 in den letzten Jahren beim PSI angesiedelten Start-ups hier eine neue Heimat finden. Schliesslich hat man sie mitunter mit dem Versprechen halten können, dass man bald einen Innovationscampus habe.
Sollte es durch das Coronavirus nicht zu unerwarteten Verzögerungen kommen, ist Daniel Leber zuversichtlich, dass die erste Etappe bis 2023 fertig ist. An die besonderen Ansprüche der benachbarten Wissenschaftler hat sich der Gesamtprojektleiter längst gewöhnt. «Wir haben den Bauplan abgestimmt auf die Experimente, die auf der anderen Strassenseite gemacht werden», sagt er. Gewisse Experimente machen es unmöglich, dass man mit Walzen oder Presslufthämmern hantiert. Ansonsten geht ein Alarm auf Lebers Handy los. Was praktisch nie passiert – ausser jeden Donnerstag um 11.45 Uhr. Leber erklärt: «Dann macht die Holcim am Rotberg wenige Kilometer von hier ihre Sprengungen. Auch daran haben wir uns gewöhnt – genauso wie das PSI.»
Wir gehen zurück, am Fuss des 80 Meter hohen Hauptkrans mit seinem 75 Meter Ausleger entlang, die labile Gerüsttreppe hoch und raus aus der Grube. Es ist dunkel geworden über Villigen und an diesem Ort, der schon bald wie ein Leuchtturm strahlen soll. Bis weit über die Landesgrenzen hinaus. Und wer weiss, vielleicht spricht man dereinst in einem Atemzug von Silicon und Villigen Valley.
