
Hochzeiten, Geburtstagsfeste, Jassabende – Kantonsärztin Yvonne Hummel benennt Risikosituationen
Am Mittag meldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schweizweit 2823 neue Coronafälle – fast doppelt so viele wie am Dienstag. Im Aargau sind die Zahlen noch stärker gestiegen. Der Kanton meldete 128 Neuansteckungen. Fast dreimal so viele wie am Dienstag. Damals waren es 44 neue Fälle. «Die Lage ist ernst und wir werden überlegen müssen, welche Massnahmen notwendig sind», sagte Kantonsärztin Yvonne Hummel am Mittwochabend im «Talk Täglich» auf Tele M1.
Welche Massnahmen ergriffen werden, ist noch unklar. «Bei der Planung ist es ganz wichtig, gut zu überlegen, wo das Ansteckungsrisiko hoch ist und welche Massnahmen helfen», so Hummel. Masken zum Beispiel hätten überall dort eine gute Wirkung, wo sich viele Menschen über längere Zeit aufhalten. «Das können Grossraumbüros sein oder Kinos und Theater.» An solchen Orten wäre eine Maskenpflicht durchaus berechtigt. «Man muss das aber gut überlegen», stellte die Kantonsärztin klar. Und diese Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen. Yvonne Hummel kündete weitere Informationen auf Anfang nächste Woche an.
«Das macht uns grosse Sorgen»
Neben Grossraumbüros, Kinos und Theater hat Hummel auch private Veranstaltungen im Visier. «Wir beobachten, dass sich viele Menschen an privaten Anlässen wie Hochzeiten, Geburtstagsfeiern oder Jassabenden mit dem Coronavirus anstecken.» Hummel führt dies unter anderem darauf zurück, dass es an privaten Anlässen keine Schutzkonzepte gibt und die Schutzmassnahmen, zum Beispiel der Abstand, nicht eingehalten werden. «Das macht uns grosse Sorgen.»
Auch die Reiserückkehrer würden sich jetzt nach den Herbstferien sicher in den Zahlen niederschlagen, so Hummel. Im Aargau reisten jeden Tag rund 100 bis 200 Personen aus Risikogebieten ein. Diese Leute müssen danach zehn Tage in Quarantäne.
Contact-Tracing so lange wie möglich aufrechterhalten
Die steigenden Fallzahlen gehen auch an den Mitarbeitenden des Contact- Tracing-Centers (Conti) nicht spurlos vorbei. Sie kontaktieren infizierte Personen und stellen enge Kontaktpersonen unter Quarantäne. Heute sei das Team viermal grösser als am Anfang, sagte Hummel. Während andere Kantone beim Contact-Tracing am Anschlag sind, betonte Hummel, wie zentral die Arbeit der Contact-Tracerinnen und Contact-Tracer sei, um einen weiteren Anstieg der Neuinfektionen verhindern zu können.
Auf Nachfrage von Moderatorin Anne-Käthi Kremer, wann das System im Aargau am Anschlag wäre, sagte Hummel: «Ich kann das nicht anhand einer Zahl sagen.» Man versuche, das Contact-Tracing so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Auch wenn man nicht alle engen Kontaktpersonen identifizieren, kontaktieren und unter Quarantäne stellen könne. Es sei schon wirksam, wenn nur ein Teil der Menschen identifiziert wird.
Aargauer Spitäler sehr gut vorbereitet
Auch an der Quarantäne will die Kantonsärztin nicht rütteln, obwohl diese – gerade aus wirtschaftlichen Gründen – immer wieder in Frage gestellt wird. Hummel stellte im «Talk Täglich» die Gegenfrage: «Was ist die Alternative? Wenn die Menschen nicht in Quarantäne gehen, können sie mehr Leute anstecken und die Spitäler füllen sich schneller.» Und zu verhindern, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht, ist das oberste Ziel.
Yvonne Hummel sagt, die Aargauer Spitäler seien sehr gut vorbereitet. Sie verfügten über genug Personal, Material und Testkapazitäten. Moderatorin Kremer zeigt Hummel den emotionalen Video-Appell aus dem Spital Schwyz. Würden die Fallzahlen noch weiter steigen, könne das Spital Schwyz dies nicht mehr stemmen, sagt die Spitaldirektorin im Video. Und weiter: «Wir müssen jetzt reagieren.»
Bisher stiegen Zahlen im Aargau weniger
Die Situation im Kanton Schwyz sei eine andere als jene im Aargau, so Hummel. Trotzdem: «Wenn wir die Situation im Aargau nicht ernst nehmen und uns keine zusätzlichen Massnahmen überlegen, ist das etwas, das auch auf den Kanton Aargau zukommen könnte.»
Aber warum hat der Aargau dann nicht schon längst gehandelt? Andere Kantone sind schon viel früher aktiv geworden. Man warte nicht zu lange ab, stellte Yvonne Hummel klar. Bisher seien die Zahlen im Aargau weniger schnell gestiegen als in anderen Kantonen. «Bei Spitzen muss man manchmal auch abwarten und beobachten.»
Kann der FCA-Match trotz steigender Zahlen stattfinden?
Abwarten müssen auch die Fans des FC Aarau. Am 24. Oktober sollte im Aarauer Brügglifeld das erste Spiel seit Aufhebung der 1000er-Grenze stattfinden. Hummel blieb am Mittwoch im «Talk Täglich» vage, ob das klappt, dies hänge von der aktuellen Lage ab. «Wir gehen davon aus, dass wir das Spiel aktuell bewilligen können und es positiv für den FC Aarau aussieht.» Vor allem, weil die steigenden Fallzahlen nichts mit Grossveranstaltungen zu tun hätten. Aber die Situation ändere sich schnell.
Eindringlicher Apell an die Bevölkerung
Weil die Situation sich so rasch ändern kann, wagte Hummel auch nicht einen Ausblick auf die nächsten Monate. «Das ist schwierig», sagte sie. Aktuell müsse man in Schritten von mehreren Wochen denken. «Es werden Massnahmen eingeführt. Dann muss man schauen, wie wirksam sie sind und ob es weitere Massnahmen braucht.»
Ihr Appell an die Aargauerinnen und Aargauer ist weniger emotional als jener aus dem Spital Schwyz – aber dennoch eindringlich. «Seien Sie vorsichtig im privaten Umfeld. Treffen Sie sich nur in kleinen Gruppen. Bleiben Sie zu Hause, wenn Sie Symptome haben, und lassen Sie sich rasch testen. Und reisen Sie nur dann, wenn es absolut wichtig ist.»