Verschwindet die Aargauer Schulpflege? Das müssen Sie zur Abstimmung wissen

Am 27. September ist grosser Urnengang. Neben fünf nationalen Vorlagen stehen für die Aargauerinnen und Aargauer zwei kantonale Volksabstimmungen an. Einerseits jene über das neue Energiegesetz, zweitens jene über die neuen Führungsstrukturen der Aargauer Volksschule. Der Regierungsrat strebt mit der Vorlage eine Neuorganisation an – Hauptpunkt ist, dass die Schulpflege abgeschafft werden soll. Die kantonalen Führungsstrukturen werden unverändert beibehalten. Da sowohl Verfassung als auch Schulgesetz geändert werden sollen, beinhaltet die Abstimmung zwei Fragen. Ursprünglich hätte sie bereits am 17. Mai stattfinden sollen, wegen der Coronakrise wurde sie auf September verschoben.

1. Worüber wird genau abgestimmt?

Das Projekt, die Führungsstrukturen der Aargauer Volksschule zu optimieren, wurde 2018 vom Kanton wieder aufgenommen, nachdem es 2014 sistiert worden war. Dazu gab es vor zwei Jahren eine öffentliche Anhörung. Der Grosse Rat des Kantons Aargau hat schliesslich im Dezember 2019 der Neuorganisation der Führungsstrukturen der Volksschule zugestimmt. Diese umfasst eine Änderung der Kantonsverfassung sowie eine Änderung des Schulgesetzes. Die Verfassungsänderung wurde mit 105 zu 25 Stimmen, die Änderung des Schulgesetzes mit 107 zu 24 Stimmen gutgeheissen. Die Änderung der Verfassung untersteht der obligatorischen Volksabstimmung, gegen die Änderung des Schulgesetzes wurde vom Grossen Rat das Behördenreferendum ergriffen, deshalb findet dazu ebenfalls eine Abstimmung statt.

2. Wie ist die Schule im Aargau heute organisiert?

Grundsätzlich gibt der Kanton den gesetzlichen Rahmen für die Aargauer Volksschule vor. Der Gemeinderat ist verantwortlich für die finanzielle Führung der Schule, die Schulhäuser und die Infrastruktur. Die Schulpflege ist eine dem Gemeinderat rechtlich gleichgestellte Behörde, die vom Volk gewählt wird. Sie stellt die Lehrpersonen und Schulleitungen ein und an sie gelangt, wer eine Beschwerde im Zusammenhang mit der Schule hat. Die Schulleitung führt die Schule operativ, sie ist zusammen mit den Lehrerinnen und Lehrern für die Gestaltung des Unterrichts verantwortlich und auch die erste Ansprechstelle für schulische Fragen.

3. Was ändert sich mit einem Ja am 27. September?

Neu sollen die strategischen und finanziellen Kompetenzen, die bisher auf die Schulpflege und den Gemeinderat aufgeteilt sind, in eine Hand gelegt werden. Der Gemeinderat soll oberstes Führungsgremium auf kommunaler Ebene werden. Er kann dann ein Gemeinderatsmitglied als Ressortverantwortliche für die Schule einsetzen, oder diese Aufgaben auch aufteilen – das obliegt jeder Gemeinde selber. Die Schulleitung hat weiterhin die operative Führung inne und ist dem Gemeinderat unterstellt. Die Schulpflege wird abgeschafft.

4. Was ist dabei der umstrittene Punkt?

Natürlich die Abschaffung der Schulpflege. Die Gegner finden, es brauche sie weiterhin, die Befürworter sagen, sie sei mit der Einführung der «Geleiteten Schule» im Jahr 2006 nach und nach obsolet geworden, da Schulleitungen und Schulverwaltungen viele der früheren Aufgaben der Schulpflege übernommen haben. Führung, Planung und Koordination verschiedener Prozesse liegen im Schulalltag bereits heute weitgehend bei der Schulleitung.

5. Warum wollen die Gegner die Schulpflege beibehalten?

Sie befürchten einen Demokratieabbau, wenn das Stimmvolk die für die Schule verantwortlichen Personen nicht mehr direkt wählen kann und diese Aufgabe stattdessen ein Gemeinderat oder mehrere Gemeinderatsmitglieder übernehmen. Weiter sehen die Gegner mit der Abschaffung der Schulpflege ein Wegfallen einer Lobby für die Schülerinnen und Schüler für ihre Anliegen an die Schule. Und sie befürchten eine Machtkonzentration beim Gemeinderat – dies könne die Schule verpolitisieren.

6. Was sagen die Befürworter der Abschaffung?

Das ursprüngliche Ziel der Einführung von Schulleitungen – einfache, direkte Wege in der Schulführung – werde erst durch die Aufhebung der Schulpflege erreicht, diese sei ein logischer Schritt. Mit dem Wegfallen der Schulpflege entstehe mehr Klarheit über Zuständigkeiten und Kompetenzen, weil die strategische und finanzielle Führung der Schule künftig bei ein und derselben Behörde liege. Gemeinden erhielten ausserdem mehr Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort, der Austausch zwischen Schule und Gemeinde werde direkt. Und via Gemeindeversammlung oder Einwohnerrat könne die Bevölkerung ohne Umwege Anliegen einbringen.

7. Welche Konsequenzen hätte die Abschaffung finanziell?

Das ist nicht ganz klar. Die Abschaffung führe zu jährlichen Mehrkosten für die Gemeinden, weil sie Schulkommissionen, Erhöhungen der Schulleiterpensen und mehr Verwaltungsaufwand ohne Unterstützung durch den Kanton finanzieren müssten, sagen die Gegner. Durch die Abschaffung würden Gelder, die bis anhin für die Schulpflege aufgewendet werden, frei, argumentieren hingegen die Befürworter. Nach einer Schätzung des Bildungsdepartements belaufen sich die Aufwendungen für die Schulpflege auf zirka 6,5 Millionen Franken pro Jahr. Dieses Geld könne wiederum für die Schule eingesetzt werden, argumentiert der Kanton.

8. Welche Haltungen vertreten die Parteien?

Gräben entlang der Parteilinien sind für einmal bei einer Vorlage nicht auszumachen. Eine deutliche Mehrheit des Grossen Rats hat in beiden Lesungen den neuen Führungsstrukturen zugestimmt, die Gegner waren klar in der Minderheit. Aber die Fraktionen waren gespalten respektive uneins. Auf beiden Seiten argumentieren Politikerinnen und Politiker von den Grünen über CVP und FDP bis hin zur SVP für oder gegen die neuen Führungsstrukturen an der Aargauer Volksschule.

9. Wer ist im Komitee gegen die Abschaffung?

Das Nein-Komitee ist, wie auch das Gegenkomitee und entsprechend der Debatte im Grossen Rat, überparteilich und breit abgestützt. Im Präsidium sind die Grossrätinnen Maya Bally (CVP) und Colette Basler (SP) wortführend, sowie die Grossräte Roland Agustoni (GLP), Martin Lerch (EDU), Christoph Hagenbuch (SVP) und Harry Lütolf (CVP). Zudem ist Franco Corsiglia, FDP-Mitglied und Präsident des Verbands Aargauischer Schulpflegepräsidentinnen und -präsidenten (VASP), mit von der Partie. Rückhalt hat das Komitee unter anderem von Mitgliedern verschiedener Schulpflegen, Lehrerinnen und Lehrer, sowie Politikerinnen und Politiker aller Parteien.

10. Wie ist das Ja-Komitee aufgestellt?

Der Vorstand wird von den Jungfreisinnigen Ximena Florez und Anna Staub geleitet. Weitere Mitglieder sind die Grossrätinnen Simona Brizzi (SP), Sabina Freiermuth (FDP), Kathrin Hasler (SVP), Michaela Huser (SVP) und Ruth Müri (Grüne), die Grossräte Jürg Baur (CVP), Alfons Kaufmann (CVP),Thomas Leitch (SP) und Dominik Peter (GLP) sowie Michael Fux (JF). Unterstützt werden sie von Renate Gautschy, der Präsidentin der Gemeindeammännervereinigung und Kathrin Scholl, der Präsidentin des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Auch Verena Buol, frühere Präsidentin der Schulpflegepräsidenten-Vereinigung und Roger Lussi, Schulpflegepräsident in Strengelbach, sprechen sich für die Abschaffung der Schulpflege aus. Bildungsdirektor Alex Hürzeler (SVP) verteidigt die regierungsrätliche Vorlage ebenfalls.

11. Wie geht es nach der Abstimmung weiter?

Bei einem Ja am 27. September sollen die neuen Führungsstrukturen für die Schule per 1. Januar 2022 in Kraft treten und kantonsweit umgesetzt werden. Ein Nein solle hingegen nicht bedeuten, dass alles so bleiben muss wie bis anhin, betonen die Abschaffungsgegner während des Abstimmungskampfs. Die Schulpflege solle viel mehr weiter entwickelt werden. Die Schulpflegepräsidenten-Vereinigung (VASP) fordere seit Jahren vom Kanton eine klare, gesetzlich geregelte Kompetenzordnung zwischen Schulleitungen und Schulpflege, ein Antragsrecht an Gemeinde- oder Einwohnerratsversammlungen sowie Globalbudgets für die Schulen.

Das Nein-Komitee unter anderem mit Maya Bally (2.v.r.). (Bild: Chris Iseli)
Das Nein-Komitee unter anderem mit Maya Bally (2.v.r.). (Bild: Chris Iseli)
Das Befürworter-Komitee (v.l.): Anna Staub, JFDP, Simona Brizzi, Grossrätin SP, Sabina Freiermuth, Grossrätin FDP, Michaela Huser, Grossrätin SVP, Dominik Peter, Grossrat GLP, Alfons Kaufmann, Grossrat CVP, Ruth Müri, Grossrätin Grüne und Thomas Leitch, Grossrat SP. Nicht auf dem Bild: Ximena Florez, JFDP. (Bild: Alex Spichale)
Das Befürworter-Komitee (v.l.): Anna Staub, JFDP, Simona Brizzi, Grossrätin SP, Sabina Freiermuth, Grossrätin FDP, Michaela Huser, Grossrätin SVP, Dominik Peter, Grossrat GLP, Alfons Kaufmann, Grossrat CVP, Ruth Müri, Grossrätin Grüne und Thomas Leitch, Grossrat SP. Nicht auf dem Bild: Ximena Florez, JFDP. (Bild: Alex Spichale)