
800 Polizisten mehr im Aargau? Regierungsrat sieht Handlungsbedarf – nicht nur für den Krisenfall
Der Polizeibestand im Aargau beträgt 965 Polizistinnen und Polizisten. Auf 709 Einwohnerinnen und Einwohner kommt also ein Polizist. Damit liegt die Polizeidichte weit unter dem nationalen Durchschnitt von einer Polizistin pro 454 Einwohner, obwohl im Aargau am viertmeisten Menschen wohnen und er als Grenzkanton mit viel Autobahnen attraktiv für mobile Tätergruppen wie Kriminaltouristen ist. Würde die Polizeidichte auf den nationalen Durchschnitt angehoben, bräuchte es im Aargau 837 zusätzliche Einsatzkräfte, rechnet der Regierungsrat in seiner Antwort auf einen Vorstoss von EVP-Grossrat Lutz Fischer-Lamprecht vor.
Fischer-Lamprecht wollte wissen, wie der Regierungsrat die Einsatzfähigkeit der Polizei in Krisensituationen einschätze. Die Antwort ist ernüchternd: Reserven seien keine vorhanden, hält die Regierung fest. Man sei sich der damit verbundenen Sicherheitsrisiken bewusst.
Der Bestand an Polizeikräften sei für die Bewältigung von komplexen und langandauernden Bedrohungslagen schweizweit ungenügend. Aber im Aargau sei dieser «permanente Unterbestand ganz besonders ausgeprägt», so der Regierungsrat. In ausserordentlichen Lagen sei deshalb umso mehr mit Engpässen bei der Erfüllung des flächendeckenden polizeilichen Grundauftrags zu rechnen.
In einer solchen Situation müsste sich die Polizei auf ihre Kernaufgaben fokussieren und rasch auf zahlreiche wichtige Leistungen verzichten. Und selbst wenn die Polizei sich auf die Kernaufgaben fokussiere, so die Regierung, wären die Ressourcen im Aargau «bereits nach wenigen Tagen ausgeschöpft». Eine Übung im letzten Jahr habe zudem gezeigt, dass der Aargau in solchen Situationen nicht einfach auf die Unterstützung des Bundes zählen könne.
Die Ressourcen sind aber auch ohne Bedrohungslagen knapp. Raschen Handlungsbedarf sieht die Regierung bei der Grundversorgung, also bei jenen Polizistinnen und Polizisten, die rund um die Uhr für Sicherheit und Ordnung zuständig sind und Straftaten verhindern. Durch einen deutlichen Ausbau könnte die Durchhaltefähigkeit bei Grossereignissen und Krisensituationen verbessert werden, schreibt der Regierungsrat. Weitere grosse Lücken gibt es bei der Spezialversorgung, vor allem im Kampf gegen Menschenhandel und Cyberkriminalität.
Würden diese beiden Dienste nicht weiter aufgebaut, werde die Polizei mit den rasanten Entwicklungen nicht Schritt halten können. In Bezug auf Cyberkriminalität und Menschenhandel hat die kantonale Politik anerkannt, dass Handlungsbedarf besteht. Der Grosse Rat hat letztes Jahr fünf zusätzliche Stellen zur Bekämpfung von Menschenhandel und sechs zur Bekämpfung von Cyberkriminalität bewilligt. Die SVP hat den Stellenausbau bekämpft. Sie fand ihn nicht nötig, weil es nur sehr wenige Fälle von Menschenhandel gebe. Regierungsrat Urs Hofmann bat hingegen bereits damals darum, «nicht länger wegzuschauen».
«Neues Gesetz nützt nichts, wenn zu wenig Personal vorhanden ist»
Auch der Verband Kantonspolizei Aargau hält in einer Mitteilung fest, dass die Konsequenzen der knappen Ressourcen fatal seien. Für die Bevölkerung, aber auch für die Polizistinnen und Polizisten, die oft Einsätze aus der Freizeit heraus leisten oder kurzfristig ihre Ruhetage verschieben müssten. Für Verbandspräsident und SP-Grossrat Dieter Egli ist klar, dass die Politik jetzt ihre Verantwortung wahrnehmen muss. «Es braucht eine Polizeidichte im Aargau, die näher ans nationale Mittel herankommt.» Dies auch im Hinblick auf das revidierte kantonale Polizeigesetz, das der Grosse Rat morgen Dienstag behandelt. Der Verband steht hinter dem Gesetz. Dieses enthalte viele Verbesserungen etwa zur präventiven Fahndung und Ermittlung. Aber das beste Gesetz nütze nichts, wenn zu wenig Personal vorhanden sei, um die Arbeit richtig zu machen.
Der Regierungsrat wiederum sieht nicht nur bei den personellen Ressourcen Handlungsbedarf. Er will auch die Organisation der Polizei überprüfen. Im Aargau gibt es neben der Kapo auch verschiedene Regionalpolizeien. Die Regierung will nun evaluieren, wo dieses System funktioniert und wo allenfalls Verbesserungsbedarf besteht. Sobald die Resultate vorliegen, wird der Regierungsrat zuhanden des Grossen Rats einen Planungsbericht erarbeiten, der über den Weiterentwicklungsbedarf der Polizei Auskunft geben wird.