«Mir kommen die Tränen, nach der langen Absenz wieder beim Nepomuk zu stehen»

„Mir kommen die Tränen, nach der langen Absenz wieder beim Nepomuk zu stehen“, sagt ein sichtlich gerührter Hannes Burger. Nepomuk, das ist die Figur mitten auf der Laufenbrücke in Laufenburg. Seit Mitte März war die Brücke nicht mehr begehbar; Metallgitter an beiden Brückenköpfen verhinderten den Zugang. „Laufenburg war noch nie so geteilt“, sagt Janka Gefferth.

 

Auch die Zahnärztin aus badisch Laufenburg ist auf die Brücke gekommen, um die neue alte Freiheit zu feiern. Ihr Partner, der bekannte Aargauer Schriftsteller Christian Haller, ist wenige Minuten zuvor in sein Haus auf der Schweizer Seite zurückgekehrt – zum ersten Mal seit zwei Monaten. Denn Haller war Mitte März, kurz vor der Grenzschliessung, ins Badische zu seiner Partnerin gegangen. Da er wusste, dass er nicht mehr nach Deutschland einreisen kann, wenn er in die Schweiz zurückkehrt, blieb er seither dort, was seine Arbeit – er lektoriert gerade sein jüngstes Buch – nicht vereinfacht hat, wie er dieser Zeitung erzählte.

Hannes Burger, der als Präsident des grenzüberschreitenden Museumsvereins Schiff die Geschichte des Städtchen wie kaum ein zweiter kennt, weiss: „Eine derart kontakt- und kommunikationslose Trennung gab es nicht einmal im Zweiten Weltkrieg.“ Hier war die Brücke zwar auch mit Stacheldraht verriegelt, dieser stand aber in der Mitte der Brücke. „Jeden Tag kamen Menschen auf die Brücke, redeten miteinander und reichten sich durch den Zaun Lebensmittel.“

Für Laufenburg waren die Grenzzäune noch etwas schlimmer als für andere Gemeinden, denn Laufenburg gehörte einst zusammen und versteht sich bis heute als „zwei Länder, eine Stadt“, wie der offizielle Slogan der Stadt lautet. Das grenzüberschreitende Moment gehört „zur DNA von Laufenburg“, sagt Hannes Burger. „Jeden Tag habe ich von meiner Wohnung aus die Brücke und die Grenzzäune gesehen“, so Gefferth. Der Gang auf und über die Brücke habe sie je länger je mehr vermisst. „Die Trennung, die wir im Herzen längst überwunden haben, war von einem Tag auf den anderen wieder da.“

Es sei eine verrückte Zeit gewesen, sagt Burger, da sei ein Virus gekommen und habe auseinander gerissen, was zusammengehört. Beide, Burger wie Gefferth, finden es richtig, dass Massnahmen gegen das Coronavirus ergriffen wurden und stellen auch die temporäre Grenzschliessung nicht per se infrage. „Ich hätte mir einfach gewünscht, dass auch bei uns, wie an anderen Grenzen, die Gitter mitten auf der Brücke aufgestellt worden wären, damit Begegnungen dennoch möglich geblieben wären“, so Burger.

Der ehemalige Stadtrat von Laufenburg atmet tief ein, schaut nach links, schaut nach rechts. „Es ist einfach ein wunderbares, befreiendes Gefühl“, sagt Burger dann. „Ich hoffe inständig, dass es nie mehr zu einer solchen Trennung kommt.“

Vorerst bleibt die Trennung trotz der offenen Grenzen – am Samstag wurden sämtliche Grenzzäune im Kanton Aargau wieder entfernt und alle Übergänge geöffnet – aber noch bestehen. Denn ins andere Land reisen darf bis Mitte Juni trotzdem nur, wer einen triftigen Grund hat. Immerhin wurde der Katalog der triftigen Gründe auf das Wochenende hin stark erweitert. Seit Samstag dürfen sich auch Liebespaare ohne Trauschein wieder sehen. Darauf haben sich die Schweiz, Deutschland und Österreich am Freitag geeinigt. „Das Gleiche gilt für Personen, die Verwandte besuchen oder an wichtigen Familienanlässen teilnehmen wollen“, schreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf seiner Homepage. Einreisen dürfen auch Personen, die im Nachbarland eine Liegenschaft unterhalten, Landwirtschafts- Forst- oder Jagdfläche nutzen oder Tiere versorgen müssen. Dies unter einer Bedingung: Wer über die Grenze will, muss beim Grenzübertritt eine Selbstdeklaration vorweisen.

Für Burger, Gefferth und die meisten Laufenburger ist also der Gang über die Grenze erst in einem Monat wieder möglich. Immerhin, sagt Burger, sei nun ein Gang an die Grenze wieder möglich und ein Schwatz über die Grenze hinweg. So stehen Burger und Gefferth an diesem „historischen Nachmittag“, wie es Burger umschreibt, zwar zusammen, doch gleichzeitig liegt eine imaginäre Grenze zwischen ihnen. „Ich freue mich sehr auf den Moment, an dem ich auch wieder ganz normal über die Brücke gehen darf“, sagt Gefferth. Denn in Laufenburg lebt man miteinander; das gilt für Vereine ebenso wie für den abendlichen Stammtisch oder den Einkauf.

Für Burger bleibt denn an diesem Samstag auch „ein Wermutstropfen“ zurück. Gefferth lacht. „Die Freude überwiegt aber, dass die Brücke nun wieder uns gehört.“

Im Landesinnern, auf Schweizer wie auf Deutscher Seite, haben nicht alle verstanden, weshalb die auf Zeit abgeriegelten Grenzen den Menschen an der Grenze derart Bauchweh bereitet haben. Burger kann das teilweise nachvollziehen. „Wer nicht selber an der Grenze lebt, kennt die besondere Dynamik nicht.“ Burger überlegt kurz, schaut dem Pärchen nach, das über die Grenze flaniert und am Schweizer Brückenkopf von zwei Grenzwächtern kontrolliert wird, sagt dann: „Es wäre so, als wenn man ein Dorf in der Schweiz einfach zweiteilt und mit Gittern abgrenzt.“

Burger schüttelt den Kopf. „Das ist zum Glück Geschichte“, sagt er, nimmt das Smartphone hervor, blättert in den Fotos und zeigt auf eines, das er am Samstagmorgen um 6.15 Uhr aufgenommen hat. Es zeigt den Heiligen Nepomuk mitten auf der Laufenbrücke, wie er zufrieden auf seine Brücke schaut. Im Hintergrund taucht die Sonne die Gebäude auf deutscher Seite in warme Rottöne. Zwei Länder, vereint in einer Stadt.  

So sah der Grenzübergang in Laufenburg am Freitag noch aus. © Alex Spichale
So sah der Grenzübergang in Laufenburg am Freitag noch aus. © Alex Spichale