«Verantwortungslos und beängstigend!» Wermuth attackiert Regierungsrat wegen Forderung nach Ladenöffnung

Bereits Christian Levrat, Präsident der SP Schweiz, kritisierte die Aargauer Regierung, die am Dienstag als erste Kantonsregierung in einem offenen Brief die vollständige Öffnung aller Läden am 27. April forderte. Das sei «leichtfertig», eine zweite Welle der Epidemie würde immensen wirtschaftlichen Schaden verursachen, sagte Levrat.

Levrats möglicher Nachfolger im SP-Präsidium, Cédric Wermuth, fährt nun noch schärferes Geschütz auf gegen seine Kantonsregierung. «Der Aargauer Regierungsrat handelt verantwortungslos und offenbar in Unkenntnis der Lage. Das ist beängstigend», schreibt Wermuth am Mittwochmittag auf Facebook.

Die parallele Öffnung von grossen Lebensmittelläden und kleinen Detailhändlern, wie sie der Aargauer Regierungsrat fordert, befremdet Wermuth gleich mehrfach.

Erstens stösst sich der SP-Nationalrat an der Form der Forderung: Offene Briefe schreibe man als Kantonsregierung nur, wenn «man Stimmung machen will». Wermuth wirft den fünf Regierungsräten indirekt vor, Wahlkampf für ihre Wiederwahl im Herbst zu betreiben.

Zudem ärgert sich der SP-Mann, dass der Regierungsrat «copy paste» die Forderung des Gewerbeverbandes weitergeschickt habe. Die Regierung sei aber nicht die Pressestelle des Gewerbeverbandes, giftelt er.

Auch in der Sache lässt Wermuth kein gutes Haar an der Forderung, alle Läden gleichzeitig wieder zu öffnen. Es gehe darum, möglichst wenig Menschen im öffentlichen Raum zu haben, gerade in engen Gassen in den Aargauer Innenstädten. Offensichtlich habe der Regierungsrat dieses Konzept nicht verstanden. Wermuth nennt das «beängstigend».

Miete regeln statt Laden öffnen

Wie der Regierungsrat findet auch Wermuth zwar, dass man kleine Läden nicht diskriminieren dürfe. Aber: «Denen ist auch nicht geholfen, wenn wir im Herbst eine zweite Welle haben.» Statt die Öffnung dieser Läden zu fordern, soll der Regierungsrat die Einkommen der Betroffenen sichern und Lösungen für die Mieten finden. Das habe der Aargau im Gegensatz zu anderen Kantonen nicht getan.

Weiter gehe es gar nicht darum, dass die Grossverteiler wieder alles verkaufen dürften, sondern nur um eine leichte Ausdehnung des Sortiments. Wie es der Regierungsrat dargestellt habe, sei schlicht falsch.

«Wieder mal eine WC-Bürste kaufen»

Allerdings gehen die Meinung zum Thema Ladenöffnung und die Interpretation davon auch in der SP Aargau selber auseinander. Wie Landammann Markus Dieth (CVP) spricht auch Gabriela Suter, SP-Präsidentin Aargau, von «Wettbewerbsverzerrung». Sie findet zwar wie Wermuth, dass die Experten entscheiden müssten, wann Läden wieder geöffnet würden. Es könne aber nicht sein, dass Grossverteiler ab 27. April «wieder ihr ganzes Sortiment verkaufen dürfen, die Kleiderlädeliinhaberin hingegen erst am 11. Mai». Für diese Position erntete Suter auf Facebook von prominenten Aarauer Parteikolleginnen geharnischte Kritik. Zum Beispiel von Silvia d’Aquila, die für Gabriela Suter in den Grossen Rat nachgerückt ist nach deren Wahl in den Nationalrat. Die Frequenz in den Städten müsse tief gehalten werden. Das Argument für kleine Lädeli sei romantisierend. Die Leute hätten andere Bedürfnisse, zum Beispiel wieder mal eine «WC-Bürste oder einen Teller kaufen». Darum sei es richtig, dass zuerst die Grossverteiler wieder mehr Waren verkaufen dürften und erst später kleinere Läden.

Bersets Korrektur: Gleich kurze Spiesse für alle Bundesrat

Alain Berset setzt dem Streit um «Wettbewerbsverzerrung» nun vorerst ein Ende. Der Gesundheitsminister machte an Medienkonferenz am Mittwochnachmittag klar, dass Migros, Coop & Co. entgegen der Ankündigung von letzter Woche nun doch noch nicht ihr ganzes Sortiment verkaufen darf.

Hat der Regierungsrat also das Gegenteil erreicht, von dem, was er mit seinem Brief anstrebte? «Nein», sagt Regierungssprecher Peter Buri auf Anfrage. «Die Sorge des Regierungsrates war, dass die Detailhändler einen doppelten Schaden erfahren, wenn Grossverteiler vorzeitig ihr erweitertes Sortiment wieder verkaufen könnten, da von einem grossen Nachholbedarf der Konsumenten ausgegangen werden kann.» Der Bundesrat habe mit seiner Korrektur «diesem wichtigen Anliegen des Regierungsrates Genüge getan».