Aargauer Polizei darf alle Überwachungskameras in Echtzeit anzapfen – und selber neue aufstellen

Die Aargauer Regierung hat am Mittwoch eine Sonderverordnung verabschiedet. Sie regelt darin die Frist der Steuererklärung, das politische Leben, den Sozialdienst und Bauverfahren. Den brisantesten Punkt führt sie in der Medienmitteilung nicht aus: die weitgehenden Videoüberwachungsrechte in Echtzeit, die sie der Aargauer Polizei gewährt.

Dank der Sonderverordnung ist es der Polizei neu gestattet, Überwachungskameras in öffentlich zugänglichen Räumen zur Echtzeitüberwachung einzusetzen. Sie darf auch auf bereits installierte Geräte von Dritten zugreifen. Zusätzlich wird sie ermächtigt, weitere Kameras ohne Bewilligung der kantonalen Datenschutzbeauftragten zu installieren.

Polizeikräfte reichen nicht, um Corona-Regeln durchzusetzen

Die Polizeikräfte des Kantons seien für die Durchsetzung und Kontrolle der Corona-Verbote des Bundes verantwortlich, heisst es in den Erläuterungen zur Verordnung. Dabei geht es insbesondere um das Verbot von Ansammlungen über fünf Personen, wie der Regierungsrat ausführt. Als möglicher Deliktsort komme der gesamte öffentliche Raum des Kantons in Frage, namentlich öffentliche Plätze, Spazierwege und Parkanlagen.

Mit den beschränkten polizeilichen Kräften sei eine angemessene Kontrolle nicht umzusetzen, schreibt der Regierungsrat. Die Polizei solle deshalb die Möglichkeit von «virtuellen Patrouillen» erhalten – und dazu alle Überwachunskameras nützen dürfen.

Im bestehenden Gesetz über die Information der Öffentlichkeit, den Datenschutz und das Archivwesen (IDAG) vom 24. Oktober 2006 besteht bereits eine Rechtsgrundlage, welche die präventive Überwachung des öffentlichen Raums unter gewissen Voraussetzungen zulässt. Dafür ist bisher eine Bewilligung der Datenschutzbeauftragen Gunhilt Kersten nötig – mit der Sonderverordnung des Regierungsrats fällt dies während der Coronakrise weg.

Regierungsrat: «Keine verdeckte Überwachung»

Die Polizei soll zudem ohne Bewilligung der Datenschutzbeauftragten neue, zusätzliche Kameras zur Echtzeitüberwachung einsetzen dürfen. Diese müssten allerdings wieder entfernt werden, wenn die Einschränkungen aus der Corona-Verordnung des Bundes wieder aufgehoben werden.

Der Regierungsrat hält fest, bei den neuen Massnahmen gehe es nicht um eine verdeckte Überwachung. Wie bei bestehenden bewilligten Videokameras sei eine offene Überwachung vorgesehen, „die präventive Zwecke erfüllt und der Polizei rasche und zielgerichtete Einsätze erlaubt“. Die Überwachung sei daher „durch geeignete Massnahmen“, beispielsweise Hinweistafeln, erkennbar zu machen.

«Das geht definitiv zu weit»

Gian von Planta, Grossrat bei der GLP und Einwohnerrat in Baden, hält die Massnahme für überzogen. „Dass anonymisierte Handydaten ausgewertet werden sollen, damit kann ich leben. Wenn nun aber neue Kameras aufgestellt und Leute beobachtet werden können per Liveüberwachung, geht das definitiv zu weit.“ Das Grundgefühl der Freiheit dürfe nicht unnötig eingeschränkt werden. Die Zahlen zu den Neuansteckungen liessen derzeit insbesondere im Aargau nicht darauf schliessen, dass die Situation ausser Kontrolle gerate.

Von Planta attestiert Überwachungskameras eine präventive Wirkung: „Wo sie aufgehängt sind, treffen sich wohl tatsächlich weniger Leute.“ Das Grundproblem werde aber nicht bekämpft: Leute, die sich in Gruppen treffen wollten, liessen sich davon nicht abhalten und verabredeten sich anderswo. Das zeige sich in Baden: „In der Stadt gibt es zwar enorm viele Überwachungskameras. Ich zweifle aber daran, dass sie tatsächlich zu einer tieferen Quote an Vergehen führen.“

Kritik kommt auch vom FDP-Grossrat Stefan Huwyler: „Regierungsrat Hofmann und Polizeikommandant Leupold fahren aus dem Krankenbett den Überwachungsstaat im Kanton Aargau hoch. Bei allem Respekt, das geht nun doch zu weit.“