
Klare Regeln oder Bestrafung von Armut? Der Abstimmungskampf zur Verschärfung bei Einbürgerungen ist lanciert
Die Aargauerinnen und Aargauer stimmen am 9. Februar über das neue Kantons- und Gemeindebürgerrecht (KBüG) ab. Und damit unter anderem darüber, wie lange Ausländerinnen und Ausländer unabhängig von der Sozialhilfe sein müssen, bis sie sich einbürgern lassen können. Nach Bundesgesetz und bisherigem kantonalem Recht gelten drei Jahre, das neue KBüG aber sieht eine deutliche Erhöhung dieser Frist auf zehn Jahre vor.
So hat es der Grosse Rat am 7. Mai 2019 beschlossen. Die Gegner haben in der gleichen Sitzung erfolgreich das Behördenreferendum beantragt. Deshalb hat das Volk das letzte Wort. Befürworter und Gegner haben inzwischen ihre Komitees gebildet, jetzt beginnt der Abstimmungskampf.
«Die Einbürgerung ist der Abschluss einer erfolgreichen Integration, nicht umgekehrt», nennt SVP-Grossrat Christoph Riner das Hauptargument für die Verschärfung. Riner ist einer der Köpfe des überparteilichen Befürworterkomitees. Wer den Schweizer Pass wolle, müsse sich darum bemühen, sagt er. Das heisse auch, möglichst wirtschaftlich unabhängig zu sein. Das Argument, wonach Menschen in finanziellen Nöten diskriminiert würden, lässt Riner nicht gelten. Das Bundesgesetz beinhalte Ausnahmen für Härtefälle. So sollen beispielsweise für Menschen, die zwar arbeiten, aber mit ihrem Lohn nicht über die Runden kommen (Erwerbsarmut), oder solche, die wegen Betreuungspflichten nicht genug Einkommen generieren können, von der Frist ausgenommen werden können. «Daran können und werden wir nicht rütteln», stellt Christoph Riner klar.
Wichtig sei aber, dass für jene, die selbstverschuldet oder mutwillig in der Sozialhilfe landen, die Regeln verschärft würden. Heute könne jemand einige Jahre lang Sozialhilfe beziehen, dann drei Jahre lang arbeiten, sich einbürgern lassen und dann wieder abhängig werden. Das gelte es, mit der längeren Frist zu unterbinden.
Gemeinderäte unter den Befürwortern
Die Fronten im Abstimmungskampf sind bei den Parteien die gleichen, wie bei der Debatte im Grossen Rat. Die Befürworter sind SVP, CVP, FDP und EDU. Laut Christoph Riner sind zusätzlich zu National- und Grossräten einige Gemeinderätinnen und Gemeinderäte im Komitee. Dies deshalb, weil sowohl die Einbürgerungen als auch die Sozialhilfe die Gemeinden betreffen. Das Gegenkomitee «10 Jahre sind zu viel» besteht aus SP, GLP, EVP, Grünen und JUSO, sowie dem Verein Netzwerk Asyl und den Arbeitnehmerorganisationen.
Gesetz ist unwürdig, sagen die Gegner
SP-Grossrätin Lelia Hunziker ist eine der Co-Präsidentinnen. Die Schweiz habe, da rund 25 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner politisch nicht partizipieren dürfen, bereits ein Demokratieproblem, sagt sie, «und nun verschärft der Kanton Aargau nach dem Bund nochmals die Einbürgerungskriterien». Schon heute sei die wirtschaftliche Selbstständigkeit ein wichtiges Element der Einbürgerung. Mit der nun vorliegenden Revision werde eine «Verwaltungskrake erschaffen» und Armut bestraft. Dass das Gesetz vor Willkür schützen würde, glaubt Hunziker keineswegs. Die nun vorliegenden zehn Jahre würden weit über das Ziel hinausschiessen. «Sie sind ein Produkt des Narrativs, dass, wer Sozialhilfe bezieht, erstens selber schuld und zweitens faul ist. Das ist unwürdig», stellt sie klar. Wer im Niedriglohnbereich tätig sei und jemals auf Sozialhilfe angewiesen war, sei es nur zur Überbrückung einer schwierigen Situation, habe kaum Chancen auf den Schweizer Pass.
Ausser dass der Aargau bei Annahme des Gesetzes eines der strengsten Einbürgerungsreglemente der Schweiz haben würde, sieht die SP-Grossrätin auch Mehraufwand auf die Gemeinden zukommen: Es müssten eigene administrative Abläufe für die Überprüfung dieser zehn Jahre entwickelt werden. Da eine Einbürgerung eine Residenzpflicht von fünf Jahren im Kanton und drei Jahren in der Gemeinde voraussetzt, müssten regelmässig Nachforschungen in mehreren Kantonen und Gemeinden gemacht werden.
Auch Regeln für Test werden verschärft
Zusätzlich zur längeren Frist nach Sozialhilfebezug soll für Einbürgerungswillige mit dem neuen KBüG noch eine weitere Verschärfung entstehen: Sie müssen dreiviertel der Fragen des Einbürgerungstests richtig beantworten. Bisher gilt der Test lediglich als Empfehlung. Für Christoph Riner ist auch dieser Entscheid logisch: «Klare Regeln sehe ich als Vorteil, für die entscheidenden Gemeinden wie auch für die Einbürgerungswilligen», sagt er. Der Test sei zudem mit ein bisschen Aufwand, den man verlangen könne, zu bewältigen. Für das entscheidende Einbürgerungsgespräch würde es auch mit der Verschärfung nur einen nichtbindenden Leitfaden geben, sagt hingegen Lelia Hunziker. Deshalb biete das vorliegende Gesetz auch bei den Einbürgerungstests keine Verbesserung.