Aargauer Regierung will ÖV-Kasse nicht öffnen für Umbau von barrierefreien Haltestellen

Der Kanton Aargau muss sein Netz an ÖV-Haltestellen barrierefrei umbauen. Laut dem Schweizer Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) hat er dafür bis Ende 2023 Zeit. Der Aargau ist aber, wie andere Kantone auch, im Verzug. Die aktuellsten Zahlen zeigen: Auf Kantonsstrassen sind erst 121 von 1426 Haltekanten angepasst, auf Gemeindestrassen sind es schätzungsweise 100 von 986.

Warum liegt man derart im Rückstand? Für neun Grossräte verschiedener Parteien ist klar: Es liegt zu einem grossen Teil am Geld. Bei Haltestellen auf Gemeindestrassen müssen die einzelnen Gemeinden die Kosten zu 100 Prozent tragen. Die meisten Gemeinden könnten sich den Umbau aber selber kaum leisten, schreiben die Grossräte in einer Motion von Mitte September. In dieser fordern sie den Regierungsrat auf, den Gemeinden deshalb unter die Arme zu greifen. So soll der Umbau der Haltestellen auf Gemeindestrassen aus der Spezialfinanzierung ÖV-Infrastruktur mitfinanziert werden. Der Fonds stellt sicher, dass Grossprojekte im öffentlichen Verkehr finanziell gestemmt werden können.

Der Regierungsrat lehnt den Vorstoss ab. Er erachte die heute geltende Regelung zur Finanzierung des Strassennetzes für zweckmässig, schreibt er. Verpflichtungen aus Bundesgesetzen seien umzusetzen, «ohne dass dadurch die Aufgabenteilung und die Finanzierung infrage gestellt werden». Deswegen sehe man davon ab, eine Ausnahme zu machen.

Weiter schreibt der Regierungsrat, dass es beim Stand der Umbaumassnahmen grosse Unterschiede zwischen den Gemeinden gebe. Einige hätten bereits viele Haltestellen behindertengerecht umgesetzt, andere stünden erst am Anfang der Planung. «Die Spannweite zeigt, dass es den Gemeinden durchaus möglich war, die Umsetzung des BehiG an die Hand zu nehmen.» Dass der «Umsetzungsstau» in den Gemeinden auf die fehlende Finanzierung zurückzuführen sei, streitet die Regierung deshalb ab. Vielmehr seien andere Gründe verantwortlich: etwa lange Ungewissheit über die bauliche Umsetzung, fehlende Planungskapazitäten oder Verzögerungen durch Rechtsunsicherheiten. Das heisst auch: In diesem Punkt ist der Regierungsrat deutlich anderer Meinung als die Motionäre.

Sprecher David Burgherr (SP) ist mit der Antwort des Regierungsrats nicht einverstanden. Er stört sich besonders an der Aussage, dass es nur um fehlende Planung gehe, und nicht auch um fehlendes Geld. «Die Gemeinden wehren sich ja nicht in der Sache dagegen, die Bushaltestellen behindertengerecht umzubauen. Am fehlenden Willen liegt es nicht», sagt Burgherr. Die Gemeinden hätten aber Mühe, das Geld für die baulichen Massnahmen aufzubringen.

«In der Kasse hat es genug Geld»

Er begrüsse, dass sich der Regierungsrat für mehr Planungs- und Rechtssicherheit ausspreche, sagt Burgherr. Bei der Umsetzung des BehiG auf Gemeindestrassen vermisse er aber die Solidarität. «Man darf die Gemeinden nicht derart alleine lassen und alles auf sie abwälzen», findet er. «In der ÖV-Kasse hat es genug Geld. Es widerspricht dem gesetzlichen Auftrag, wenn man den motorisierten Individualverkehr gegenüber den Anliegen gehbehinderter Menschen bevorzugt.» Dabei hätten eigentlich alle ein gemeinsames Mobilitätsinteresse, sagt Burgherr. Man könne die Verkehrsteilnehmer nicht derart strikt trennen. Burgherr macht ein Beispiel: «Sobald ich aus dem Auto steige, bin ich Fussgänger. In beiden Fällen habe ich spezifische Verkehrsbedürfnisse.»

Der SP-Grossrat und die anderen Motionäre wollen an der Finanzierungsfrage dranbleiben und weitere Vorschläge ausarbeiten. Er könne sich vorstellen, dass künftig die Zweckbindung der Strassenkasse überprüft und dadurch finanzielle Mittel für den Umbau der Haltestellen frei werden. Auch, dass sich die Gemeinden für kurzfristige Lösungen entscheiden und auf günstigere Provisorien setzen, sei möglich.

Der Kanton selbst will den Gemeinden weiterhin beratend zur Seite stehen, wie es in der Antwort des Regierungsrats heisst. In diesem Bereich sehe man grosses Potenzial, um die barrierefreie Umsetzung zu beschleunigen.