
Er begleitete mehrere Aargauer Gemeindefusionen – und sagt, warum nicht alle glückten
Zur Person
Jean-Claude Kleiner leitet das BEEH-Fusionsprojekt. Der 65-Jährige studierte an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaft und schloss mit dem Doktorat ab. Später arbeitete er während 25 Jahren in verschiedenen Funktionen bei der OBT AG. Er baute die Beratung von Unternehmen und Gemeinden auf und entwickelte dabei viele Dienstleistungen.
Im Jahr 2000 übernahmen Kleiner und seine Geschäftsleitungskollegen in einem Management-Buy-out die OBT AG und waren fortan Inhaber dieses Unternehmens. Um jungen Führungskräften wie geplant Platz zu machen, verliess er 2013 die OBT AG und gründete im Einverständnis mit seinen Partnerkollegen ein neues Beratungsunternehmen, die JC Kleiner GmbH. Das FDP-Mitglied gehörte bis im Mai dieses Jahres dem Kantonsrat von Appenzell Ausserrhoden an. Zudem ist er in verschiedenen Unternehmen als Verwaltungsrat engagiert. (cm)
Fünf Minuten vor dem Interviewtermin wartet Jean-Claude Kleiner bereits bei der Eingangstüre zu seinem Beratungsbüro im Stadtzentrum von St. Gallen. Der 65-Jährige ist ein gefragter Mann, der nichts zu verbergen hat. Mit dem Handy am Ohr führt er die Journalistin ins Sitzungszimmer, wo er sein Gespräch über ein politisches Thema im Kanton Graubünden mit den Worten «Ich bin dankbar für diese Impulse» beendet.
Dann erzählt er kurz, um was es ging, nimmt Platz und wechselt gedanklich von der Ostschweiz in den Kanton Aargau. Am 24. November entscheiden die Stimmbürger von Bözen, Effingen, Elfingen und Hornussen (BEEH) an der Urne, ob sie den Fusionsvertrag für die neue Einwohnergemeinde Böztal – nach dem Ja an den Gemeindeversammlungen im Juni – gutheissen wollen. Jean-Claude Kleiner wurde von den BEEH-Gemeinden für die Fusionsabklärungen als externer Berater und Projektleiter engagiert.
Sie haben in der Deutschschweiz und im Kanton Aargau schon einige Fusionsabklärungen begleitet. Was ist typisch am BEEH-Projekt?
Jean-Claude Kleiner: Es geht hier um vier kleinere Gemeinden, die zunehmend unter Druck kommen bezüglich Bestellung der Behörden und Verwaltung sowie der Umsetzung der neuen Gesetzgebung. Sie spüren langsam ihre Grenzen und überlegen sich Alternativen.
Interessant an diesem Projekt ist, dass die Gemeinden Bözen, Elfingen und Hornussen bereits vor Jahren die Verwaltung zusammengelegt haben. Dadurch haben sie gemerkt, dass sie gemeinsam Kompetenzen aufbauen können, die im Alleingang nicht möglich wären. Diese positive Erfahrung war vermutlich ein zusätzlicher Antrieb für das aktuelle Projekt. Ich habe gespürt, dass alle vier beteiligten Gemeinden die feste Absicht hatten, eine Fusion à fond zu prüfen. In der Vergangenheit wurde ja schon einmal eine ähnliche Prüfung vorgenommen, aber zu wenig konsequent durchgeführt. Mit der gemeinsamen Verwaltung war nun der Zeitpunkt reif, das Projekt nochmals anzupacken. Das gab den idealen Zug. In der Projektleitung hatten wir eine sehr gute Gesprächskultur.
Als Vertreter der Gemeinde Hornussen machte nicht der Gemeindeammann, sondern Vizeammann Guy David im Projektausschuss mit. Haben Sie eine solche Konstellation auch schon erlebt?
Nein, das war schon eine aussergewöhnliche Situation. Die Hintergründe kenne ich nicht. Mein Konzept sieht vor, dass alle Gemeindeammänner am gleichen Strick ziehen – und auch in die gleiche Richtung. Es ist mir ausserordentlich wichtig, dass die Ammänner als gleichberechtigte Teammitglieder einer Mannschaft auftreten. Das war ein zentraler Erfolgsfaktor für die Fusion von Rapperswil-Jona, wo auch der Schulpräsident der Oberstufe gleichberechtigt mitwirkte.
War es kein Nachteil, dass der Ammann von Hornussen nicht mitgemacht hat?
Ich denke, dass dieser sehr gut vom Vizeammann vertreten wurde. Guy David nahm seine Rolle gut wahr und hat sich optimal ins Projekt eingebracht. Ich glaube nicht, dass es ein Nachteil war, jedenfalls war für mich nichts spürbar.
Warum wurde bei allen acht Arbeitsgruppen genau darauf geachtet, dass Bewohner von allen vier Gemeinden mitmachen?
Es ist sehr wichtig, dass sich in diesem Prozess alle Dörfer gleichwertig einbringen können. Wir schreiben am Schluss nicht einfach einen schönen Bericht. Dieser Bericht beinhaltet wichtige Pfeiler einer zukünftigen Gemeinde und enthält sensible Themen wie Schul- und Verwaltungsstandorte. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Teilnehmer ihre Interessen, Vorbehalte und Ideen deponieren.
Die Fachgruppen hatten einen Ordner mit vorbereiteten Arbeitsblättern von Ihrem Beratungsbüro abzuarbeiten. Könnten diese Blätter nicht einfach vom Projektausschuss und von der Verwaltung ausgefüllt werden?
Unser gemeinsamer Prozess verfolgt verschiedene Zielsetzungen, die für das Gesamtprojekt wichtig sind. Wenn man nur die Classe politique und nicht auch die Bevölkerung ans Werk lässt, fehlt es unter Umständen an Bodenhaftung. Die Einwohnerinnen und Einwohner aus den vier Dörfern haben sich in den Arbeitsgruppen kennen gelernt. Das baut Schwellenängste ab. Man spürt sich als Team und gewinnt Vertrauen.
Ist das Schema nicht immer ähnlich? Die Angebote richten sich nach dem leistungsstärksten Fusionspartner und der Steuerfuss soll von der günstigsten Gemeinde übernommen werden. Alles andere würde zu Opposition führen.
Es ist einerseits sicher so, dass die Gemeinde mit dem tiefsten Steuerfuss erwartet, dass dieser auch in der neuen Gemeinde längerfristig garantiert werden kann. Kommen Zweifel auf, ist eine Fusion gefährdet. Andererseits bestimmt nicht immer die grösste Gemeinde alles. Man schaut, wo die Rahmenbedingen am besten sind, um die Aufgaben zu erfüllen. Da kann es schon vorkommen, dass man Aufgaben über mehrere Dörfer verteilt, um die bestehende Infrastruktur optimal zu nutzen. Bei ungleichgrossen Fusionspartnern kann es aber durchaus vorkommen, dass der Grössere viel bestimmt.
Das ist beispielsweise bei Brugg und Schinznach-Bad der Fall.
Das kann ich nicht beurteilen. Es kann aber sein, dass der grössere Partner so gut aufgestellt ist, dass er weitere Gemeinden integrieren kann. Beim BEEH-Projekt ist das nicht der Fall. Hier haben wir wirklich bei jedem Thema geschaut, wo die besten Rahmenbedingungen gewährleistet sind. Das zeigt schon die Tatsache, dass die Gemeindeverwaltung nicht in Bözen, sondern in Hornussen vorgesehen ist.
Opposition hätte es auch gegeben, wenn man die Ortsbürgergemeinden in BEE abgeschafft hätte. Künftig können ehemalige Hornusser Ortsbürger wieder aufgenommen werden. Sind das nicht alte Zöpfe?
Dieses Beispiel zeigt sehr schön, dass nicht nur die Behörden und Verwaltungen einen Fusionsprozess gestalten sollten, sondern die Bewohner durchaus Spielraum haben. Ich finde es einen wertvollen Ansatz, wenn man mit einer Fusion die Möglichkeit hat, die Ortsbürgergemeinden wieder zu stärken. Diese können auch in Zukunft wichtige Aufgaben übernehmen.
Bei der Suche nach einem Gemeindenamen wurde der Projektausschuss vom Regierungsrat zurückgepfiffen. «Oberes Fricktal» kam plötzlich nicht mehr in Frage. Hätten Sie da als externer Fachberater nicht eingreifen sollen, als diese regionale Bezeichnung als möglicher Gemeindename auftauchte?
Die zuständige Fachgruppe hat sehr viel Aufwand betrieben, um einen neuen Gemeindenamen zu finden. Den Entscheid für die Viererauswahl hat die Projektgruppe mit rund 100 Mitgliedern getroffen, da gab es noch keine Einwände. Auch bei der Vorprüfung durch Bund und Kanton gab es keine Vorbehalte gegen die vier Gemeindenamen, von denen die Bevölkerung in einer Umfrage den Favoriten wählte. Ich als Externer kann nicht beurteilen, ob der Name «Oberes Fricktal» problematisch gewesen wäre. Wichtig ist, dass die Arbeitsgruppe das Feld sofort nochmals geöffnet und zur Namensfindung «Böztal» Hand geboten hat.
Bei den Fusionsabklärungen wurden Sie von der Arbeitsgruppe Finanzen aufgefordert, das Sparpotenzial nachzurechnen. Was ist dabei herausgekommen?
Wir haben im Bereich «Behörden und Verwaltung» mittelfristig einen jährlichen Spareffekt von zirka 490000 Franken ermittelt. Nachdem ich gesagt hatte, dass ich jeden Rappen belegen kann, nahmen mich die Finanzleute beim Wort und wollten den Beweis. Den haben wir dann auf eigene Kosten auch erbracht. Das Resultat: Das Sparpotenzial ist mit zirka 570000 Franken sogar noch deutlich grösser.
Der Spareffekt setzt aber erst ein paar Jahre nach der Fusion ein, falls die Angebote in dieser Zeit nicht ausgebaut werden und die Sparmöglichkeiten auffressen.
Dieses Risiko besteht natürlich. Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang, von einem «Sparpotenzial» zu sprechen. Um dieses Potenzial zu erreichen, haben wir in jedem Bereich einen Weg aufgezeichnet. So haben wir beispielsweise beim Thema Verwaltung mit den Gemeindeschreibern das Vorgehen besprochen. Diese haben sich damit einverstanden erklärt. Es geht also nicht um Einsparungen, die wir von aussen diktiert haben.
Was spricht aus Ihrer Sicht für die Fusion zur Gemeinde Böztal?
Ganz verschiedene Faktoren. Mit über 2500 Einwohnern wäre die neue Gemeinde stabiler und robuster als die bisherigen vier kleineren Kommunen. Ich denke, neben einer gut aufgestellten Verwaltung könnte die Suche nach neuen Behördenmitgliedern einfacher werden. Zudem bekommen die Dörfer die Chance, grössere Themen wie die Raumplanung gemeinsam zu bearbeiten und zusammen eine erfolgreiche Zukunft zu gestalten.
Fusionsabklärungen werden in der Regel ergebnisoffen angegangen. Ist das wirklich so?
Aus meiner Erfahrung wird bei den Abklärungen jeweils eine breite Auslegeordnung mit Chancen und Risiken gemacht. Es braucht einen kritischen Blick auf das Ganze. Lösungsansätze müssen hinterfragt werden. Wir wissen ja nicht im Voraus, wer bei uns mitarbeitet. Fusionsgegner schliessen wir nie aus, sie sind willkommen.
Wo haben Sie schon miterlebt, dass Beteiligte zum Schluss kamen, dass sich eine Fusion nicht lohnt?
Am Mutschellen klappte es nicht. Die drei Gemeinden Berikon, Widen und Rudolfstetten hätten sich zu einer interessanten Wohngemeinde mit einer starken Steuerkraft entwickeln können. Die Behörden von Rudolfstetten waren von der Bevölkerung aufgefordert worden, sich um eine Fusion zu kümmern. Dieser Zwang war während des ganzen Projekts spürbar, was sich nachteilig auf den Prozess auswirkte. Ein anderes Beispiel ist Oberkulm, Unterkulm und Teufenthal, wo das Projekt nach der Grobanalyse aufgrund des Widerstands von Teufenthal begraben und anders organisiert wurde.
Beim Projekt Rheintal+ gab es einen Plan B. Obwohl Mellikon und Fisibach Nein sagten, kommt die Fusion mit acht Gemeinden zu Stande. Warum hat das BEEH-Projekt keinen Plan B, falls die Effinger oder Hornusser dagegen sind?
Bei Rheintal+ war die Bedingung, dass mindestens Bad Zurzach sowie vier weitere Gemeinden Ja zur Fusion sagen. Bad Zurzach verfügt über etwa die Hälfte der Einwohner der Fusionsgemeinde. Angesichts der Projektgrösse mit ursprünglich zehn Gemeinden erachte ich dies als einen sehr intelligenten Ansatz des Kantons. Im Fall Böztal ist die Ausgangslage anders: Bei einem Nein einer Gemeinde müsste man zurück auf Feld eins und alles nochmals durchrechnen und überprüfen. Da die Grundlagen aber bereits erarbeitet sind, wäre man schnell und könnte nach sechs Monaten eine neue Vorlage präsentieren.
Die Urnenabstimmung ist eine Hürde. Zu grösseren Problemen kann es auch erst bei der Umsetzung des Fusionsvertrags kommen, wie der Adressen-Streit auf dem Bözberg gezeigt hat. Da waren Sie auch Projektbegleiter. Erinnern Sie sich noch, warum der Punkt mit der einheitlichen Postleitzahl und Ortsbezeichnung in den Fusionsvertrag aufgenommen wurde?
In Bözberg sagte man sich, wir sind eine Gemeinde und wollen eine Postleitzahl. Ich erklärte den Verantwortlichen, dass es in einer Gemeinde nicht mehrere Strassen mit dem gleichen Namen geben darf. Das hat mit den Blaulichtorganisationen wie der Polizei, Feuerwehr und Sanität zu tun, die so im Notfall allenfalls die Adresse nicht auf Anhieb finden. Ich wies zwar auf diese Problematik hin, aber die Fusionseuphorie war schon zu gross.
Wer war denn so euphorisch?
Die Gemeindeammänner haben meinen Hinweis überhört. Die Konsequenzen von einer Postleitzahl wollten sie nicht wahrhaben. Die Lösung wäre so einfach gewesen: Die Postleitzahlen belassen, dann hätte man auch die Strassennamen gar nicht ändern müssen. Wie die Wogen hochgehen können, wenn man den Strassennamen ändert, wusste ich von einem Nachbardorf im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Vom Fall Bözberg haben aber viele für weitere Fusionen profitiert.
Sie sagen, dass Sie bei jedem Fusionsprozess etwas lernen. Was haben Sie vom Projekt Lupfig und Scherz mitgenommen?
Dieses Beispiel zeigt, wie eine finanzstarke Gemeinde – Lupfig – mit wenig Baulandreserven und eine ländliche Gemeinde – Scherz – zu einer Win- win-Situation kommen. Scherz hat durch die Fusion nicht nur einen deutlich tieferen Steuerfuss erhalten, sondern auch an Attraktivität gewonnen. Das Bözberg-Projekt machte bewusst, wie die Kleinstgemeinden Linn und Gallenkirch ein intaktes Dorfleben weiterpflegen können. Das ist ein Anstoss, dass man bei einer Fusion nicht einfach mit Neuerungen einfahren soll, sondern sensibel mit den Besonderheiten eines Ortes umgehen muss. Bei einer Fusion geht es nicht nur um Zahlen, sondern auch um Emotionen. Beim Projekt Klingnau und Döttingen waren es dann aber doch wieder die Finanzen, die das Projekt zum Scheitern brachten. Unser Finanzplan, wonach der Steuerfuss in Döttingen auch ohne Fusion stark steigen wird, hat sich bewahrheitet.
Sie haben im Kanton Glarus auch die geschichtsträchtige Reduktion auf drei Gemeinden begleitet. Sind Sie ein Fusionsturbo?
Nein, das bin ich nicht. Ich bin im Herzen ein Föderalist, ein Appenzeller. Man muss Fusionsprojekten immer genügend Zeit geben, es kann aber auch zu viel sein. Es macht wenig Sinn, Fusionsprojekte über mehrere Jahre hinzuziehen. Da verliert man die Lust. Ich versuche immer, innerhalb eines Jahres alle Fakten zu erheben und eine saubere Ausgangslage zu schaffen. Der politische Prozess sollte anschliessend auch nicht länger als ein Jahr dauern. Beim Glarus-Projekt haben wir innert dreier Jahre den ganzen Kanton umgebaut und die neuen Gemeinden ausgestaltet, aber noch nicht umgesetzt.
Welches ist die ideale Gemeindegrösse? Wie viele Gemeinden sollte der Kanton Aargau, der aktuell noch 211 Gemeinden zählt, haben?
Lange hiess es, die ideale Grösse für eine Gemeinde sei mit 4000 Einwohnern erreicht. Dann könne man eine Primarschule und Oberstufe führen. Wenn man sich nun die demografische Entwicklung anschaut, erkennen wir, dass wir leider immer weniger Kinder haben. Deshalb hiess es dann, man müsste 6000 Einwohner haben, um ein ideales Angebot anzubieten. Ich denke aber, dass man von solchen Grössen Abstand nehmen sollte. Wenn nun vier Gemeinden, wie im Fall Böztal, zusammenwachsen, können diese auch mit 2500 Einwohnern eine interessante Kraft auslösen. Wichtig ist, dass man zusammenpasst und sich mit dem neuen Gebilde identifizieren kann. Emotional sollte es stimmen. In Böztal könnte das klappen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppen mussten sich immer wieder bewerten und haben dabei stets eine vorzügliche Gesprächskultur sowie eine grosse Motivation festgestellt.