
Politisch trennen sie Welten – aber Cédric Wermuth und Thierry Burkart mögen sich
Drei der sieben grössten Schweizer Parteien werden von Aargauern geführt: Lilian Studer leitet seit zwei Monaten die EVP, Cédric Wermuth ist zusammen mit Mattea Meyer seit bald einem Jahr an der Spitze der SP. Und Thierry Burkart wird aller Voraussicht nach Anfang Oktober zum Präsidenten der FDP gewählt.
Wie kommt es, dass sich der Aargau zum Kraftort der Schweizer Politik entwickelt? Und was halten die zwei prominenten Exponenten voneinander, die politisch selten einer Meinung sind?
Thierry Burkart meint, es sei möglicherweise kein Zufall, dass zunehmend Aargauer eine wichtige Rolle spielten in der Schweizer Politik. Der Kanton teile sich in Regionen mit unterschiedlichen Sensibilitäten auf; einige dieser Gebiete ständen unter dem Einfluss grösserer Städte wie Zürich, Basel und Luzern, die nicht im Kanton lägen. «Man lernt hier, dass niemand abgehängt werden darf», sagt Burkart. Die Vielfalt zu vereinen, darauf komme es an in der Aargauer Politik – und das zähle letztlich auch auf nationaler Ebene. Vielleicht kämen Politiker aus dem Aargau darum voran im Bundesparlament.
Sie attackieren sich, dann fahren sie zusammen nach Hause
Cédric Wermuth hat eine andere Erklärung: Der Aargau sei zwar der viertgrösste Kanton im Land, habe aber keine grosse Stadt, sondern setze sich aus Agglomerationen zusammen. Er sei damit ein Abbild der Schweiz – denn die Mehrheit der Bevölkerung lebe weder in der Stadt noch auf dem Land, sondern in Agglomerationen. Für die Lebensrealität der Landesbewohner sei der Kanton darum repräsentativ.
Ausserdem werde man in diesem konservativ geprägten Kanton als junger Politiker schneller abgehärtet als anderswo. «Als ich in den Nationalrat kam, hiess es in der SP-Fraktion, dass die Parlamentarier der SVP schlimm seien», erzählt Wermuth. Da habe er gesagt: «Schlimm sind sie? Wartet mal, bis Andreas Glarner dazustösst.» Vier Jahre später sass der Provokateur aus dem Freiamt tatsächlich in der grossen Kammer.
Politisch trennen sie Welten, aber sie vertrauen sich gegenseitig
Burkart und Wermuth wohnten beide lange in Baden, und sie traten im Ständeratswahlkampf 2019 gegeneinander an. Zwar sagen sie, dass sie nicht befreundet seien. Aber sie sprechen so wohlwollend übereinander, dass man den Eindruck bekommt: Zu einer Freundschaft fehlt nicht viel.
Burkart sagt, der Mut und das Selbstbewusstsein Wermuths hätten ihn schon früh beeindruckt. «Er war für die Bürgerlichen im Aargau die absolute Antifigur und wurde angefeindet, ja manchmal verteufelt. Wermuth schien davon unbeeindruckt; damit hat er meinen Respekt gewonnen.»
Der Co-Präsident der SP habe ein Talent für die Inszenierung; er trete er im Nationalratssaal ans Mikrofon und spreche, als ob ihm das ganze Parlament an den Lippen hänge. Dabei sei es halbleer, und die Anwesenden tippten auf ihren Laptops herum.
Burkart schätzt an Wermuth ausserdem dessen Verlässlichkeit – an Absprachen halte er sich immer. «Und er ist intelligent. Er versucht nicht, mich von seinen Standpunkten zu überzeugen. Er sucht nach der politischen Schnittmenge, so dass wir vielleicht einen Kompromiss finden.» Sie setzten sich zusammen erfolgreich dafür ein, dass das Bahnangebot im Kanton Aargau ausgebaut wird. Wermuth gibt das Kompliment zurück: «Man kann mit Burkart einen Deal abschliessen. Er ist vertrauenswürdig.» Und er lasse sich nicht wie andere Parlamentarier von Lobbygruppen kaufen.
Wermuth bezeichnet Burkart als «sauberen Ideologen». Er vertrete seine gesellschaftlichen Vorstellungen glaubwürdig. Burkart lebe unkonventioneller als die konservativen Kreise, die er anspreche. Auf den Podien im Wahlkampf sei er als Kontrahent rhetorisch stark gewesen; er kenne jeden Kniff. «Danach fuhr er mich in seinem Auto nach Hause. In einem solch teuren Wagen werde ich wohl nie mehr sitzen.»
Es gibt Leute, die behaupten, dass Burkart lieber mit Wermuth in die kleine Kammer gezogen wäre als mit dem eher spröden Hansjörg Knecht von der SVP. Burkart ringt sich ein Dementi ab: «Die bürgerliche Zusammenarbeit funktioniert sehr gut, aber mit Wermuth hätte ich bei Fragen für den Aargau sicher auch prima zusammengearbeitet.»
Der eine sieht sich im anderen gespiegelt
Jemand, der beide kennt, meint: Die gegenseitige Gunst hänge damit zusammen, dass der eine sich im anderen gespiegelt sehe. Beide jung, argumentativ stark, beide steigen schnell auf, beide sind mediengewandt und räumen Konkurrenten aus dem Weg, auch in der eigenen Partei. «Sie denken, der andere sei cool – und meinen sich selber mit.»
Bei allem Einklang sollte man auch über Schwächen reden. Wo liegen sie? Burkart sagt über Wermuth: «Man merkt manchmal, dass er ausserhalb der Politik wenig Lebenserfahrung gesammelt hat. Mir scheint das für seine Glaubwürdigkeit als Politiker nicht optimal. Dasselbe gilt für die extremen Positionen, die Wermuth früher einnahm. Sie erschweren es ihm heute, seine Kompromissfähigkeit in der Öffentlichkeit zu verkaufen.» Wermuth sagt über Burkart: «Er ist manchmal überempfindlich. Als Parteipräsident muss er lernen, Kritik gelassen auszuhalten. Mich überrascht, dass er das Amt übernimmt. Denn mir scheint, dass das Projekt Burkart für ihn bisher wichtiger war als das Projekt FDP.»
Solche Bosheiten tauschen die beiden bald in Elefantenrunden am Fernsehen aus. Eine Partei, die einen Präsidenten braucht, sollte im Aargau suchen. Für politische Talente ist das ein guter Boden.