In diesem Dorf haben Frauen die Mehrheit

In zwei Wochen finden die eidgenössischen Wahlen statt. 246 Parlamentarierinnen und Parlamentarier werden nach Bundesbern gewählt. Wer wiedergewählt und wer erstmals berufen wird, ist noch ungewiss. Gewiss hingegen ist, dass nach den Wahlen die Frauenquote thematisiert wird.

Derzeit beträgt der Frauenanteil im Nationalrat 31,7 und im Ständerat 13 Prozent. Gut möglich, dass die Zahlen in die Höhe schnellen. Die «NZZ» prophezeite im August einen «Frauenrutsch». Frauenstreik und «Helvetia ruft» zeigen Wirkung, so die Analyse. Noch nie waren so viele Frauen auf den vorderen Listenplätzen vertreten.

In Sachen Frauenquote müssen sich die Wohlenschwiler nichts vorwerfen lassen. Sie stellen den einzigen Gemeinderat im Bezirk Baden, in dem die Frauen in der Überzahl sind. Mit Gemeindeammann Erika Schibli und Vizeammann Nadia Diserens sind gar die beiden höchsten Ämter in Frauenhand. Zusätzlich leitet Angela Casadei als Gemeindeschreiberin die Kanzlei im 1550-Einwohner-Dorf.

Erika Schibli wurde 1994 als erste Frau in die Wohlenschwiler Exekutive gewählt. «Offenbar waren die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zufrieden mit meiner Arbeit, denn kurz danach wurde eine zweite Frau in unseren Gemeinderat gewählt», sagt die ehemalige FDP-Grossrätin mit einem Lachen. Seit über 20 Jahren sind immer mindestens zwei Frauen im 5er-Gremium. Es gab sogar eine Zeit, rund zehn Jahre ist das her, da waren vier Frauen im Wohlenschwiler Gemeinderat.

«Ich möchte nie die Quotenfrau sein»

Von Frauenquoten hält Schibli indes nichts. «Ich möchte nie die Quotenfrau sein», sagt sie, «ich will im Amt sein, weil man mir das zutraut.» Doch exakt die Hälfte der Gemeinden im Bezirk Baden hat genau eine Frau im Gemeinderat. «Und weil man den Frauen ein ‹Gspür› nachsagt, haben sie dann häufig das Ressort Soziales unter sich», sagt Schibli.

Von Vorurteilen hält sie ebenso wenig wie von Quoten. «Das Alter hat einen grösseren Einfluss auf die Arbeit als das Geschlecht», ist sie überzeugt. Die Jungen etwa bringen sich mit neuen Ideen und anderen Ansätzen im Gremium ein. Was sie hingegen schlecht findet: «Wenn ein Gemeinderat nur aus Männern oder nur aus Frauen besteht.» Negative Erfahrungen als Frau im Amt hat Schibli kaum gemacht, aber bei Verhandlungen sei ihr schon aufgefallen, dass die Leute eher auf Männer hören. «Aber auch eine Frau kann mal auf den Tisch hauen und sich Gehör verschaffen», sagt sie.

Angela Casadei ist seit März Gemeindeschreiberin in Wohlenschwil. Zuvor war sie in einer Gemeinde mit einer reinen Männerrunde tätig. «Die Unterschiede sind nicht sehr gross», sagt sie. «Ich habe in Wohlenschwil noch nie erlebt, dass jemand auf den Tisch hauen muss.» Der Frau Ammann oder den anderen Gemeinderätinnen traue sie dies aber durchaus zu, falls es mal nötig wäre. Grundsätzlich findet sie es gut, dass Frauen auch andere Blickwinkel einbringen. Die Gesprächskultur sei aber eher themen- oder personenabhängig und kaum geschlechtsbedingt.

Seit bald zwei Jahren ist Claude Michel einer von zwei Männern im Wohlenschwiler Gemeinderat. Wichtiger als eine Frauenquote sei die Durchmischung, findet er. «Verschiedene Altersgruppen, Erfahrene und Unerfahrene, verschiedene Denkweisen, verschiedene berufliche Hintergründe und Parteipräferenzen führen ans Ziel. Es macht keinen Sinn, wenn beispielsweise fünf Banker in einem Gemeinderat sitzen.»

Und verhalten sich die Männer anders, wenn sie mit Frauen an einem Tisch sitzen? «Ja, vielleicht sind wir zurückhaltender oder rücksichtsvoller», sagt Michel, aber das sei im Büro oder woanders ja auch die Regel.

Anonymer Flyer unterstützte Männer

Und wie geht die Bevölkerung mit der Frauenmehrheit im Gemeinderat um? «Vielleicht gibt es einige Alteingesessene, die sich daran stören», sagt Vizeammann Nadia Diserens. Sie kann sich daran erinnern, dass bei einer Ersatzwahl einst von einer anonymen Gruppe ein Flyer in Umlauf gebracht wurde. «Wir können auch Männer wählen», lautete der Aufruf an die Wähler.

Von einer Frauenquote hält auch sie nichts: «Wenn das politische System funktioniert, bildet das gewählte Gremium die Gesellschaft ab», sagt sie. «Wähler haben die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Das muss man sich manchmal in Erinnerung rufen.» So auch bei den anstehenden Parlamentswahlen in zwei Wochen.