
Exklusive Wahlumfrage: Diese Kandidaten haben im Rennen um den Ständerat die Nase vorn

Im Aargau sind beide Ständeratssitze neu zu vergeben, weil Pascale Bruderer (SP) und Philipp Müller (FDP) nicht mehr antreten. Das macht die Ausgangslage besonders spannend. So haben alle grossen Parteien ihre besten Leute in den Wahlkampf geschickt. Spannend ist etwa, ob der Aargau wieder eine Frau und einen Mann nach Bern schickt, ob neu die Mitte wieder vertreten ist, ob es eine ungeteilte Standesstimme mit zwei Vertretern von rechts oder von links gibt oder ob wie bisher jemand die linke und jemand die rechte Seite vertritt. Jetzt liegt eine online-basierte Exklusiv-Umfrage der Forschungsstelle Sotomo des Politgeografen Michael Hermann vor, an der 2223 Stimmberechtigte teilgenommen haben (siehe Box unten).
Thierry Burkart ist derzeit stimmenmässig in Front
Gemäss der Umfrage liegt Thierry Burkart (FDP), erst seit 2015 im Nationalrat, mit 43 Prozent vorn – sogar hauchdünn über dem absoluten Mehr von 42,5 Prozent, das nötig ist, um es bereits im ersten Wahlgang zu schaffen. Wie die Kandidierenden von SVP, CVP und SP schöpft Burkart das Potenzial in der eigenen Partei mit über 90 Prozent voll aus und holt auch in der SVP-Wählerschaft 52 Prozent. Das heisst, dass in der SVP nebst Knecht (91 Prozent) jeder Zweite zusätzlich Burkart die Stimme gibt. In der CVP-Basis erhält Burkart 4 von 10, von der GLP jede vierte Stimme. Im linken Lager holt er praktisch nichts.
Auf Platz zwei folgt mit 38 Prozent Nationalrat Hansjörg Knecht (SVP). Er tritt zum zweiten Mal an. Auch ihm fehlt nicht viel zum absoluten Mehr. Er holt aber über seine Partei hinaus fast nur bei der FDP zusätzliche Stimmen. Jeder dritte Freisinnige wählt ihn. Knechts grosser Vorteil ist die schiere Grösse seiner Wählerbasis.
Das ist das Problem von Nationalrat Cédric Wermuth (SP, 29 Prozent). Er hat zwar die Basis auch voll hinter sich. Sieben von zehn grünen Wählern unterstützen ihn ebenfalls, dazu jeder dritte Grünliberale. Doch im grossen bürgerlichen Lager von SVP, FDP und CVP holt er keine Stimmen.
An vierter Stelle folgt auf das Männertrio als erste Frau CVP-Grossrätin Marianne Binder, allerdings mit 17 Prozent Wähleranteil schon mit stattlichem Abstand. Als Einzige hat die Mittepolitikerin Sukkurs aus fünf verschiedenen Parteien. Neben 90 Prozent der CVP-Wähler hat sie Stimmen von links (GLP 18, SP 9 Prozent) und von rechts (FDP 23, SVP 8 Prozent).
Hauchdünn hinter Binder liegt mit 16 Prozent die grüne Grossrätin Ruth Müri. Sie holt bei ihren grünen Wählern erst drei von vier Stimmen ab. Gleich ergeht es Beat Flach (Grünliberale), der insgesamt auf 12 Prozent kommt. Auch in seiner Basis glauben offenbar nicht alle an seine Chance. Auf weniger als 10 Prozent kommen Maya Bally (BDP, 9 Prozent) und Roland Frauchiger (EVP, 4 Prozent).
Zweiter Wahlgang: Wer hat die besten Chancen?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt es angesichts der vielen Kandidierenden zu einem zweiten Wahlgang. Die Umfrage-Spezialisten von Sotomo unterbreiteten den Umfrageteilnehmenden deshalb zusätzlich zwei Varianten mit verkleinerten Kandidatenfeldern für den Fall, dass es im ersten Wahlgang niemand schafft. In einem Szenario treten demnach noch Burkart, Knecht, Wermuth und Binder an. Dabei kämen Burkart auf 51, Knecht auf 41, Wermuth auf 32 und Binder auf 31 Prozent. In einer Variante mit nur noch drei Kandidierenden, nämlich Burkart, Knecht und Wermuth, käme Burkart auf 56, Knecht auf 46 und Wermuth auf 36 Prozent. Heisst: Burkart und Knecht bleiben auch bei diesen Varianten laut Umfrage vorne.
Und wie interpretieren die Betroffenen die Umfrage? Naturgemäss ist Thierry Burkart (FDP) erfreut: «Die Zustimmung weit über meine Partei hinaus zeigt mir: Es wurde erkannt, dass ich mich in Bern schon viel für den Aargau eingesetzt habe und dass man mir den Ständerat zutraut.» Burkart will aber nicht verfrüht jubeln: «Der Wahlkampf dauert noch drei Wochen.» Er werde weiter mobilisieren, «damit die, die mir Unterstützung signalisieren, dann auch wirklich wählen gehen.»
Er sei Umfragen gegenüber sehr skeptisch, sagt Nationalrat Hansjörg Knecht (SVP). Vor vier Jahren sei sein Wahlresultat nämlich viel besser gewesen als die Umfrage. Dass er diesmal offenbar so gut dastehe, motiviere aber zusätzlich, «wenngleich ich noch Luft nach oben habe. Dies auch, weil viele meiner Wähler die Umfrage nicht fertigmachten, da sie so zeitaufwendig war. Mein Ziel ist, es im ersten Wahlgang zu schaffen.»
Auch SP-Nationalrat Cédric Wermuth (SP) relativiert, eine Umfrage sei eine Umfrage. Die demokratische Wahl sei am 20. Oktober, alles sei offen. «Anfang Jahr sagten alle, ich hätte keine Chance. Jetzt bin ich unter den Top drei. Wir holen massiv auf. Die Konstellation war vor acht Jahren in St. Gallen für Paul Rechsteiner (SP) praktisch so wie jetzt für mich. Ich setze alles daran, dass auch künftig die ganze politische Breite des Aargaus im Ständerat vertreten bleibt.»
Grossrätin Marianne Binder (CVP) sieht die Umfrage-Zahlen als eine Auslegeordnung. Sie gehöre als CVPlerin zur Mitte: «Da bekomme ich zwar einen grossen Anteil, aber die Stimmen teilen sich unter den verschiedenen Kandidierenden auf. Das wären insgesamt 42 Prozent», rechnet sie vor. «Ausschlaggebend, und das hat unsere Parteileitung seit Beginn gesagt, wird der zweite Wahlgang.» Da bestehe die Herausforderung darin, auch über die politischen Lager hinaus Mehrheiten zu schaffen. «Mit meinem politischen Profil und meinen Haltungen traue ich mir das zu», so Binder kämpferisch.
Ruth Müri (Grüne) sagt, das Resultat zeige, dass sie im Rennen sei. «Es motiviert mich, weiter Vollgas zu geben, damit die Stimmen für Klimaschutz und Gleichstellung im Ständerat vertreten bleiben.» Auch sie betont: «Das ist eine Umfrage, das Ergebnis kennen wir erst am 20. Oktober. Bis dahin kämpfe ich.»
Beat Flach (GLP) sagt zu seinen 12 Prozent: «Da habe ich noch viel Luft nach oben. Wir mobilisieren voll weiter. Entscheiden wird es sich im zweiten Wahlgang. Wer mich wählt, setzt der Polarisierung eine dringend nötige Mittestimme entgegen.»
Leicht enttäuscht reagiert Grossrätin Maya Bally (BDP) auf ihre 9 Prozent. Die Umfrage bilde mehr den Parteienanteil ab: «Leider war das wegen der Anzahl Kandidierenden trotz Majorzwahl zu befürchten. Ich kämpfe weiter und hoffe, dass die Parteifarbe im Finish an Bedeutung verliert.»
Grossrat Roland Frauchiger (EVP) meint: «Von der Parteistärke her mussten wir erwarten, dass ich im hinteren Viertel bin.» Er glaubt, dass die Online-Umfrage nicht ganz sein Potenzial widerspiegle: «Viele unserer Wähler sind nicht so onlineaffin. Ich glaube, dass ich mehr Stimmen holen werde.»