
Mehrwertsteuer erst ab 175 Euro zurück? Aargauer Gewerbler sehen deutsche Idee kritisch
Der Vorgang spielt sich täglich an der deutsch-schweizerischen Grenze ab: Schweizer Konsumenten fahren nach Deutschland, kaufen Lebensmittel und Kosmetikprodukte ein und holen sich die Mehrwertsteuer für ihre Einkäufe zurück. Künftig sollen die Einkaufstouristen mehr ausgeben müssen, wenn sie eine Rückerstattung wollen. Zumindest, wenn es nach dem deutschen Finanzminister Olaf Scholz geht: Er will eine Bagatellgrenze bei der Mehrwertsteuer einführen, wie die bz Basel gestern berichtete. Für die Rückerstattung müssten Waren im Wert von mindestens 175 Euro eingekauft werden.
Scholz will mit dieser Massnahme den administrativen Aufwand in den Zollämtern verringern. Was hält man beim grenznahen Aargauer Gewerbe von der Idee? Lässt sich dadurch Einkaufstourismus eindämmen?
Stefan Haus, Präsident des Gewerbevereins Rheintal-Studenland, ist skeptisch. Der Zurzacher vermutet einen gegenteiligen Effekt: «Es würde die Leute eher dazu motivieren, vieles auf einmal einzukaufen.» Der Konsument denke dann, dass er profitiere, wenn er mehr in den Einkaufswagen lade. «Ein Trugschluss», findet Haus. Ähnlich sieht es Franziska Bircher, Präsidentin von Gewerbe Region Frick-Laufenburg. Die Geschäftsführerin einer Schreinerei in Wittnau sagt: «Am Einkaufsverhalten würde sich nicht viel ändern.» Zu fest sei die Formel «Deutschland gleich günstig» noch in den Köpfen verankert.
Dafür nähmen die Konsumenten auch längere Fahrtwege und Kosten für Benzin auf sich. «Obwohl die Preisunterschiede zwischen Produkten in der Schweiz und in Deutschland längst nicht mehr so ausgeprägt sind», ergänzt Stefan Haus. Für den Wein- und Getränkehändler ist klar: Eine Bagatellgrenze ist nicht das beste Mittel gegen Einkaufstourismus.
Besser wäre, die Rückerstattung ganz abzuschaffen. Ohnehin sei nicht das Einkaufen ennet der Grenze verantwortlich für das «Lädelisterben», betont Bircher. «Der Trend zeigt, dass Einkaufstourismus sogar leicht rückläufig ist.» Die Schuldigen macht sie bei Grossverteilern und im Online-Shopping aus, das in den letzten Jahren enorm zugenommen habe.
Im Zurzibiet würde zwar wieder etwas mehr in den Läden vor Ort eingekauft, sagt Stefan Haus. Dazu trage aber hauptsächlich der starke Franken bei. Ein wenig konsterniert stellt er fest: «Ein nachhaltiges Umdenken hin zum Lokalen ist bei den Konsumenten nicht spürbar.» Hoffnung, dass sich das ändern wird, hat Haus dennoch. Grund dafür ist für ihn vor allem die derzeitige Klimadebatte: «Vielleicht führt das ja dazu, dass die Leute wieder auf regionale Produkte setzen.»