Die Jungen wollen heute direkt in den Grossen Rat oder noch weiter

Nachgefragt

bei Oliver Dlabac, Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA)

Auch das ZDA hat Studien zum Thema durchgeführt. Was sind die Resultate?
Oliver Dlabac: Wir sehen die Lage im Kanton ähnlich wie die HTW Chur. Die unter 40-Jährigen sind deutlich untervertreten, wir sind vom Rekrutierungsproblem stark betroffen. Die Jungen bleiben meist auch nur eine oder zwei Legislaturen im Amt, wenn sie eines annehmen.

Woran liegt das?
Es ist schwierig, ein Amt mit der Ausbildung oder der Karriere zu vereinbaren. Auch ist der Aufwand schlecht abzuschätzen und die Entschädigung im Aargau tief. Wir haben auch schon Studien durchgeführt und Jugendliche zu ihrem politischen Engagement befragt. Obwohl viele Jugendliche politisch interessiert sind, wollen sie nicht aktiv am politischen Leben teilnehmen. Oft liegt das an der Familie oder dem Umfeld. Es ist schwierig, von Jungen zu erwarten, an einer Gemeindeversammlung zu erscheinen, wenn das die Eltern nicht tun. Viele Jugendliche sagen auch, dass sie sich gerne politisch engagieren würden, wenn sie ihre eigenen Ideen direkt bei Gemeindepolitikern einbringen könnten.

Welche weiteren Lösungen gibt es, um Junge zu motivieren?
Ein gutes Beispiel stammt aus dem Kanton Luzern – das Modell Verwaltungsrat mit CEO. Für den Gemeinderat gibt es Teilämter, etwa fünf 20- Prozent-Pensen verteilt auf die einzelnen Gemeinderäte. Der Zeitaufwand ist so klar definiert. Auch die Entschädigung steht in einem besseren Verhältnis zum Aufwand und die Gremien werden von operativen Aufgaben entlastet, indem die Verwaltung aufgestockt und durch ein Verwaltungskader als CEO geführt wird. Das Modell lässt sich mit der Ausbildung besser kombinieren. In Luzern bleiben unter 40-Jährige länger im Amt als andernorts. 

Jede dritte Schweizer Gemeinde hat Mühe, ihre Exekutive zu besetzen. Besonders die jungen Leute fehlen: Über 70 Prozent aller Gemeinden haben bei der Rekrutierung von unter 35-Jährigen Probleme – nur 5,6 Prozent aller Gemeindepolitiker sind unter 35. Dies geht aus einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur hervor. Die Problematik liegt laut den Studienverfassern aber nicht beim politischen Interesse. Viel eher scheitere es an der Rekrutierung. Um junge Erwachsene im Milizsystem zu fördern, wurde daher ein Massnahmenkatalog mit 80 Ideen erstellt. Auch ein Online-Tool wurde eingerichtet: Es soll Gemeinden helfen, junge Menschen für die Politik zu interessieren und sie für die Exekutive zu gewinnen.

An der Studie war auch der Kanton Aargau mit seiner Gemeindeabteilung beteiligt. Denn der Blick auf die Listen der Aargauer Gemeinderäte zeigt: Die Jungen sind nur spärlich vertreten, die Problematik scheint auch im Kanton bekannt zu sein. Woran liegt das und wie lässt es sich ändern?

Baby-Boomer verschwinden
«Wir müssen aktiv werden», sagt Renate Gautschy (FDP), Präsidentin der Gemeindeammännervereinigung Aargau. Es würden sich viele Politiker aus den Baby-Boomer-Jahren zurückziehen. Daher habe man ein sehr grosses Interesse daran, junge Politiker für kommunale Ämter zu gewinnen und «eine gute Mischung aus Neuem und Erfahrung» am Tisch zu haben. «Das ist aber nicht ganz einfach», so die Gontenschwilerin. Dies einerseits, weil die Arbeits- oder Studienplätze sich oft nicht am gleichen Ort befinden wie der Wohnort. Gemeinderatssitzungen digital durchzuführen, fände Gautschy im Ausnahmefall in Ordnung. «Das sollte aber nicht zur Regel werden.» Es sei wichtig, dass man sich an Sitzungen in die Augen schauen und am selben Ort gemeinsam diskutieren könne.

Weiter sieht Renate Gautschy eine Tendenz, dass Junge nicht für Gemeindeämter kandidieren wollen, sondern direkt in den Grossen Rat, den National- oder Ständerat wollen. Sie erklärt sich diese Entwicklung damit, dass ein Amt in einer Gemeinde viel Zeit im Ehrenamt in Anspruch nimmt. Gautschy sieht in der «klassischen» Entwicklung «von einer Kommission über den Gemeinderat zum Gemeindeammann» aber Vorteile: beispielsweise, dass so das Führen eines Teams erlernt werde und die Umsetzung der Gesetze Einblick in politisches Denken gibt.

Mehr Vor- als Nachteile
Adrian Schoop (FDP) ist Gemeindeammann von Turgi und mit nur 33 Jahren der jüngste Ammann im Kanton. «An Treffen mit anderen Gemeindepolitikern ist der Abstand zum nächstjüngsten jeweils ziemlich gross», sagt Schoop und lacht. Als Grund nennt er die Verpflichtung, die man mit einem Amt eingeht, und den Druck: «Wenn man sich entscheidet, Gemeinderat zu werden, ist das nicht eine Sache für ein halbes Jahr», so Schoop.

«Heute ist alles sehr schnelllebig und viele Junge möchten international tätig sein oder reisen», nennt Schoop einen weiteren Grund. Als Gemeinderat könne man das nicht so einfach. Wenn der Arbeitsort nicht in der Nähe des Wohnortes ist, sei es schwieriger, ein Amt zu führen. Trotz all der möglichen Nachteile, die er nennt, hat er an seinem Amt als Gemeindeammann «echt viel Freude». Den grössten Vorteil, den er sieht, wenn er auf seine knapp sieben Jahre in der Gemeindepolitik zurückblickt: «Ich habe extrem viel gelernt.» Sei dies das Diskutieren und Lösungen suchen, der Umgang mit Kritik oder das Zuhören. «Ich konnte auch Strukturen für die Gesprächsführung lernen, die ich nun im Beruf anwenden kann», erzählt der Ammann.

Gemeinde geht vergessen
Wie es ist, der Jüngste im Amt zu sein, weiss auch Sandro Wächter. Der 24-Jährige ist SVP-Gemeinderat in Schinznach-Bad – «Wegen der bevorstehenden Fusion nur noch bis Ende 2019.» Seiner Meinung nach sollten mehr 20- bis 30-Jährige rekrutiert werden, denn diese würden andere Vorgehensweisen und Ansichten mitbringen. Auch er kennt wenige junge Gemeinderäte.

Wächter sieht ebenfalls ein Problem darin, dass die Lokalpolitik oft vergessen geht: «Viele junge Menschen möchten sich von Beginn an gleich an vorderster Front präsentieren.» Weiter bringe ein Amt in der Gemeinde viel Verantwortung und schwierige Aufgaben mit sich, man brauche eine dicke Haut und auch Mut. Und: «Kleinere Gemeinden schliessen sich immer mehr zusammen oder lösen sich in einer grösseren Gemeinde auf. So wird es schwieriger, gewählt zu werden. Ein junger Mensch, der neu in der Politik ist, wird kaum in einer Stadt zum Stadtrat gewählt.»