«Unsere» Bundesrätin Doris Leuthard tritt per Ende 2018 zurück

Doris Leuthard (CVP) ist seit 2006 Bundesrätin und damit die amtsälteste Magistratin der aktuellen Landesregierung. Es wurde schon länger darüber spekuliert, wann genau sie zurücktritt. Denn die Aargauerin aus Merenschwand hatte schon Ende Juli 2017 ihren Rücktritt aus der Landesregierung auf 2019 angekündigt. 

Den genauen Zeitpunkt hatte sie da aber noch offen gelassen, sagte aber, dass trete spätestens Ende 2019 zurück. Während der aktuellen Herbstsession intensivierten sich die Spekulationen um einen baldigen Rücktritt wieder. Auch der Kampf um ihr Departement ging los. 

Spekuliert wurde auch, ob Johann Schneider-Ammann (FDP) und Doris Leuthard ihren Rücktritt gemeinsam bekannt geben. Schneider-Ammann kam Leuthard allerdings am Dienstag mit seiner Ankündigung zuvor. 

Die populäre Atomausstiegsministerin 
Zuletzt ist Doris Leuthard unter Druck geraten. Doch sie kann auf eine erfolgreiche Zeit als Bundesrätin zurückblicken. Lange hatte sie das Image einer Magistratin, der alles gelingt.

Von den amtierenden Regierungsmitgliedern weist Leuthard die beste Bilanz in Volksabstimmungen aus. Auch aus ihrem letzten grossen Abstimmungskampf im Frühjahr ging sie als Siegerin hervor: Eine deutliche Mehrheit lehnte die No-Billag-Initiative ab.

In den Monaten vor der Abstimmung war die Medienministerin allerdings in die Defensive geraten. Leuthard wurde angefeindet wie selten zuvor. Kritiker warfen ihr vor, eine echte Diskussion über die SRG verweigert zu haben. Anders als früher schien ihr Engagement keine Garantie mehr zu sein für Erfolg. Auch mit dem Entwurf für ein neues Mediengesetz löste sie wenig Begeisterung aus.

Hinzu kam in den vergangenen Monaten die Postauto-Affäre. Leuthard forderte umgehend eine lückenlose Aufklärung. Als der Untersuchungsbericht vorlag, sprach sie von „unentschuldbaren Machenschaften“. Damit vermochte sie jedoch nicht zu verhindern, dass ihre Politik zu den Service-public-Unternehmen grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Kritik erntete sie insbesondere für den Plan zur Teilprivatisierung der Postfinance.

Kein Durchbruch mit der EU 
Als Bundespräsidentin versuchte Leuthard 2017, ihre Karriere mit einem Erfolg im EU-Dossier zu krönen. Der Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker brachte aber keinen Durchbruch. Im Gegenteil: Die Fronten verhärteten sich danach. Juncker drückte beim Rahmenabkommen aufs Tempo, der Bundesrat war gespalten und die EU beschloss, die Gleichwertigkeit der Schweizer Börsenregulierung nur befristet anzuerkennen.
Am Ende ihres zweiten Präsidialjahres sah sich Leuthard veranlasst, die EU scharf zu kritisieren. Bereits ihr erstes Präsidialjahr 2010 war von Turbulenzen geprägt gewesen. Bundesratsmitglieder trugen damals ihre Differenzen um die Libyen-Geiseln und die UBS öffentlich aus.

Energiewende eingeleitet 
Mit etwas Distanz wird in Bilanzen über ihre Amtszeit aber nichts von all dem im Vordergrund stehen. In Erinnerung bleiben dürfte viel mehr, was Leuthard erreicht hat: Der Gotthard-Basistunnel ist eröffnet, die Energiewende eingeleitet.

Eine neue Energiepolitik war nicht erwartet worden, als Leuthard im Herbst 2010 vom Wirtschaftsdepartement ins Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) wechselte. Damals schien es, als hätten die Befürworter der Atomkraft Grund zum Feiern: Die Aargauerin, die der Atomindustrie nahe stand, hatte sich stets für den Bau neuer AKW ausgesprochen. Doch es kam anders.

Chance genutzt 
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Frühjahr 2011 liess Leuthard umgehend die Rahmenbewilligungsverfahren sistieren. Wenige Wochen später verkündete die Energieministerin, der Bundesrat wolle auf neue Atomkraftwerke verzichten.

Der Entscheid war pragmatisch: Nach Fukushima wäre eine Abstimmung über neue AKW wohl schwer zu gewinnen gewesen. Dass das Signal so rasch erfolgte, war aber Leuthards Verdienst. Sie wusste die Chance zu nutzen, welche die Situation auch für sie persönlich bot. Mit Begeisterung schlüpfte sie in die Rolle der anpackenden Magistratin und vermochte so ihre bereits grosse Popularität noch zu steigern.

Das Machbare im Blick 
Aus Sicht der Kritiker blieb Leuthard dann allerdings auf halbem Weg stehen: Ein fixes Abschaltdatum für die bestehenden AKW lehnte sie ebenso ab wie einschneidende Massnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs. Leuthard richtete die Strategie von Beginn weg auf das politisch Machbare aus, für das sie stets ein gutes Gespür hatte – und brachte das umfangreiche Gesetzespaket so durch das Parlament und die Volksabstimmung.

In der Umwelt- und Verkehrspolitik war Leuthard ebenfalls darum bemüht, niemanden vor den Kopf zu stossen. Strasse und Schiene dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, betonte sie stets. Versprechen an die Strassenverbände ermöglichten den Ausbau des Bahnnetzes und einen neuen Bahnfonds. Später folgte der Strassenfonds.

Nein zur Vignette 
Leuthard vermochte zu überzeugen, sowohl im Parlament als auch vor der Kamera. Das Stimmvolk folgte ihr auch beim zweiten Gotthard-Strassentunnel und beim Raumplanungsgesetz. Zu ihren Niederlagen gehört das Nein zu einer teureren Autobahnvignette, das Ja zur Zweitwohnungsinitiative sowie der ungelöste Fluglärmstreit mit Deutschland.

Schon als Wirtschaftsministerin hatte sie schwierige Phasen durchlebt. Gegen den von ihr propagierten Agrarfreihandel mit der EU regte sich in der eigenen Partei Widerstand. Mit dem Wechsel ins UVEK konnte sie diesem Problem entfliehen und gleichzeitig einen Wunsch der CVP erfüllen.

Steile Karriere 
Die Karriere von Doris Leuthard verlief nahezu reibungslos – und in rasantem Tempo. 1997 wurde die Juristin in den Aargauer Grossen Rat gewählt, bereits zwei Jahre später in den Nationalrat. Nach der Abwahl von Ruth Metzler 2003 übernahm sie die Parteileitung.

Die charmante Aargauerin wurde rasch zum Gesicht der Partei und verlieh dieser ein neues Image. Als Joseph Deiss aus dem Bundesrat zurücktrat, war Leuthard die Kronfavoritin. Die Wahl am 14. Juni 2006 war praktisch Formsache. Innerhalb von nur neun Jahren war sie so von der unbekannten Grossrätin zur Bundesrätin avanciert.

Das Gesicht von „Mitte-Links“ 
In der Landesregierung sass Leuthard, die im Frühjahr 55 Jahre alt wurde, über zwölf Jahre lang. Sie war in den letzten Jahren die Amtsälteste und spielte eine wichtige Rolle – oft jene des Züngleins an der Waage.

Als neben Leuthard auch Didier Burkhalter (FDP) und Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) dem Bundesrat angehörten, obsiegte zuweilen Mitte-links. Inzwischen haben sich die Machtverhältnisse nach rechts verschoben. Folgt auf Leuthard eine Vertreterin oder ein Vertreter des konservativen CVP-Flügels, könnten sie sich weiter verändern. Fest steht: Die Schweizer Politik muss künftig ohne das gewinnende Auftreten und das kommunikative Talent von Doris Leuthard auskommen.