«Damals wie heute bin ich fasziniert von der Luftrettung»: Aargauerin konzipiert den Erste-Hilfe-Rucksack der Rega neu

Bis vor kurzem studierte sie noch an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) Industrial Design (zu Deutsch: Industrielles Design), nun möchte sie mit ihrem Rucksack durchstarten. Die 25-jährige Silvana Nater konzipierte für ihre Bachelorarbeit den Erste-Hilfe-Rucksack, das Grundmodul, für die Schweizerische Rettungsflugwacht Rega neu.

Schon immer sei Nater fasziniert von der Technik gewesen, wollte aber stets mit Menschen zusammenarbeiten. Denn sie sei eine Praktikerin. Nater sagt:

«Das Studium Industrial Design kombiniert das gut.»

Auch die Gestaltung macht es für Nater aus: «Ziel ist nicht, etwas Hübsches oder Neues zu kreieren.» Sondern? «Bereits bestehende Produkte sollen neu konzipiert und so den Nutzenden einen Mehrwert bieten», sagt Nater.

Der Carbon-Rucksack besteht aus Kohlenstofffasern.

Der Carbon-Rucksack besteht aus Kohlenstofffasern.

Sandra Ardizzone

Sie ist fasziniert von der Luftrettung

Industrial Design ist laut Nater ein sehr vielfältiger Studiengang. Die 25-Jährige sagt:

«Wir arbeiten eng mit Benutzenden zusammen, achten auf ihre Bedürfnisse und machen alle Funktionen verständlich. Dabei ist es eine Kunst, alles zu berücksichtigen.»

Ein konkretes Beispiel? «Backöfen», sagt Nater. «Diese haben viele Knöpfe und Funktionen. Dabei sind diese meist unverständlich und Bedienende nutzen die Standardfunktionen. Mit einer Ingenieurin oder einem Ingenieur suche ich die beste Lösung.»

Schon als Kind ging Silvana Nater gerne in die Berge und sah dabei häufig einen Rega-Helikopter. Sie sagt:

«Damals wie heute bin ich fasziniert von der Luftrettung. Mit der Medizintechnik kann ein grosser Nutzen erreicht werden. Für mich war klar, etwas in diese Richtung zu machen.»

Und so entschied sie sich im Dezember 2020 für die Neukonzeption des Grundmoduls der Rega, das bei allen Einsätzen der Helikopter-Crew vom medizinischen Personal verwendet wird. Den Rucksack gibt es in einer ähnlichen Art in vielen zivilen Flugzeugen oder in Flughäfen. Dort wird er von Piloten oder dem Bodenpersonal verwendet. Nater sagt:

«Der alte Stoffrucksack der Rega hat einige Verbesserungsmöglichkeiten: So ist dieser etwa zu schwer und schwierig zu reinigen.»

Und fügt an: «Auch das Medikationsset – das unter anderem Schmerzmittel beinhaltet und deshalb bei 80 Prozent der Einsätze gebraucht wird – hat keinen direkten Zugang.

 

Hygiene und gute Bedienbarkeit waren ihr wichtig

Die Rega-Basis in Mollis gab Silvana Nater die Plattform, ihre Arbeit durchzuführen. Dabei ging sie nach dem nutzerorientierten Designprozess vor. Heisst: «Ich beobachtete und stellte kritische Fragen, so kann ich Problemstellungen des Produkts erkennen», sagt Nater.

Während des Prozesses arbeitete Nater mit Rettungssanitätern und Notärzten der Rega-Basis zusammen, interviewte diese und führte Workshops durch.

Sie dachte sich neue Konzepte aus, fand neue Ideen und fertigte Prototypen aus Karton. Nater sagt:

«Diese wurde von den Nutzenden getestet und Schwachstellen nach und nach korrigiert. Anschliessend konstruierte ich in einem Computerprogramm ein 3D-Modell und beschäftigte mich mit dem zu verwendenden Material.»

Sie entschied sich für Karbon, also Kohlenstofffasern. Mit einem neuen Verfahren – einer gewissen Hybrid-Bauweise – wurde der Rucksack um 20 Prozent leichter und abrieb-, stich- und stossfest.

Bei der Neukonzeption seien der Umikerin Hygiene, gute Bedienbarkeit und die Reparatur wichtig gewesen. Die 25-Jährige sagt:

«Ich konstruierte den Rucksack so, dass jedes Teil auseinandergenommen und geputzt werden kann.»

Auch das Medikationsset ist zugänglich, ohne dass der ganze Rucksack geöffnet werden muss.

Silvana Nater zeigt: Das Medikationsset kann gut herausgenommen werden.

Silvana Nater zeigt: Das Medikationsset kann gut herausgenommen werden.

Sandra Ardizzone

Innen sieht der stabile Rucksack dem ursprünglichen Modell ähnlich: Jedes Utensil hat seinen eigenen Platz. So ist etwa vorgegeben, wo die Sauerstoffflasche, Beatmungsmaske oder die Saugkompressen zu finden sind. Auch ein Deckel in der Unterschale – der mit einem Scharnier umgeklappt wird – kann als Arbeitsfläche benutzt werden. Die Verschlüsse des «Grundmoduls 2.0» sind nicht mehr wie beim alten Reissverschlüsse, sondern zwei Knöpfe, die gleichzeitig gedrückt werden müssen, dies aus Sicherheitsgründen.

 

Noch ist ihr Rucksack ein schwarzer Klotz – dieser soll für die Rega rot werden. Doch achtete Nater auch auf das Erscheinungsbild? Die Umikerin sagt:

«Die Formsprache – also das Aussehen – ist wichtig, doch nicht das Einzige. Denn schliesslich machen Industrial-Designende nicht nur die Hülle: Der Schwerpunkt liegt auf der Funktion.»
Das «Grundmodul 2.0» von innen: Die Halterung für die Sauerstoffflasche in der Mitte des Rucksacks ist gut zu erkennen.

Das «Grundmodul 2.0» von innen: Die Halterung für die Sauerstoffflasche in der Mitte des Rucksacks ist gut zu erkennen.

Sandra Ardizzone

Der Rucksack könnte bald verwendet werden

Ihre Neukonzeption wurde bereits bei mehreren Fallbeispielen der Rega-Crew Mollis getestet. Der Prototyp der Bruggerin kam bei den Mitarbeitenden gut an: «Die Idee dahinter wurde positiv aufgenommen. Die Rettungssanitäter könnten sich vorstellen, mit einem fertigen Rucksack zu arbeiten», sagt die Industrial-Designerin.

Auch die Experten an der Zürcher Hochschule der Künste sahen das ähnlich und gaben der Abschlussarbeit von Silvana Nater eine glatte Sechs. Doch Nater sagt:

«Die Note ist nebensächlich. Ich konnte in das Projekt viel Herzblut stecken und 200 Prozent geben. Die Rega-Mitarbeitenden brachten mir viel Freude und Herzlichkeit entgegen – eine grosse Motivation.»

Der Prototyp, den Silvana Nater für ihre Bachelorarbeit angefertigt hat, wird überarbeitet. «Ein Nächster wird folgen», sagt sie. «Ich will diese Arbeit weiterführen und bin schon im Gespräch mit einigen Firmen, die Interesse an der Produktion hätten.»

Ihr Rucksack mit medizinischer Innenausstattung wurde von der Rega bei Fallbeispielen getestet.

Ihr Rucksack mit medizinischer Innenausstattung wurde von der Rega bei Fallbeispielen getestet.

zvg / Silvana Nater

Vielleicht wird bald das «Grundmodul 2.0» in der Luftrettung der Rega verwendet werden. Denn die Umikerin würde es möglich machen. Doch sie will sehen, was die Zukunft bringt. Und welche Türen sich noch öffnen werden.