Heiratsstrafe: Aargauer Regierung lässt CVP abblitzen – die zieht jetzt vor das Bundesgericht

Mit 50,8 Prozent Neinstimmen ist die CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe am 28. Februar 2016 knapp am Volksmehr gescheitert. Der Aargau stimmte ihr mit 52,79 Prozent zu. Die Initiative wollte die Diskriminierung verheirateter und eingetragener Paare gegenüber Konkubinatspaaren bei Steuern und Sozialversicherungen beseitigen. Die Gegner der Initiative argumentierten im Abstimmungskampf gerne mit einer Zahl des Bundes. Dass es «nur noch» 80 000 benachteiligte Paare gebe, zeige, dass die Heiratsstrafe weitgehend beseitigt sei.

Vor gut zwei Wochen informierte der Bundesrat, dass der Eidgenössischen Steuerverwaltung ein Rechenfehler unterlaufen war. Anstatt 80 000 Ehepaare sind 454 000 Ehepaare von der Heiratsstrafe betroffen. In acht Kantonen – auch im Aargau – reichte die CVP daraufhin eine Abstimmungsbeschwerde ein und verlangte, die Abstimmung zu wiederholen.

Regierungsrat ist nicht zuständig
Die Aargauer Regierung hat entschieden, nicht auf die Beschwerde von Grossrätin und CVP-Parteipräsidentin Marianne Binder einzutreten. «Die Abstimmungsbeschwerde fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Regierungsrats», sagt Regierungssprecher Peter Buri. Der Regierungsrat dürfe «mangels Aufsichtsfunktion nicht auf Rügen zu Unregelmässigkeiten eintreten, die nicht auf das Gebiet des Kantons Aargau beschränkt sind». Damit folgt der Regierungsrat der Solothurner, Berner, Walliser und Basellandschaftlichen Regierung.

Binder überrascht die Antwort des Regierungsrates nicht: «Es war zu erwarten, weil die Abstimmung eine kantonsübergreifende war», sagt sie. Der Rechtsweg führe aber über die Kantone. Sie werde nun beim Bundesgericht Beschwerde einreichen. Dort rechnet Binder mit guten Chancen, dass die Abstimmung wiederholt werden muss. «Der Rechenfehler war gravierend. Ein skandalöser Fall von Falschinformation.» Für eine Wiederholung der Abstimmung spreche ausserdem das äusserst knappe Resultat. «Wäre von Anfang an mit den richtigen Zahlen argumentiert worden, hätte es anstatt des knappen Neins ein Ja gegeben.» Rechne man die AHV-Bezüger dazu, seien es nicht nur 454 000 Paare betroffen, sondern über 700 000, also etwa 1,4 Millionen Personen, sagt Binder.

Da wäre noch die Standesinitiative
Zwar räumt sie ein, dass eine Wiederholung der Abstimmung mit einem grossen Aufwand verbunden ist. Sollte auch das Bundesgericht die Beschwerde abweisen, sieht Binder die in Bern hängige Standesinitiative aus dem Kanton Aargau als mögliche Lösung. Der Grosse Rat hatte diese Ende Juni 2016 überwiesen. Die Standesinitiative will in der Bundesverfassung festhalten, dass «die Ehe und eingetragene Partnerschaften in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft von zwei Menschen bilden. Sie dürfen gegenüber anderen Lebensformen nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen.» Anders als der Initiativtext umschreibt die Formulierung der Standesinitiative die Ehe nicht mehr als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau.

Die kleine Kammer hat die Standesinitiative Ende Februar 2018 behandelt. 17 Ständerätinnen und Ständeräte unterstützten den Vorstoss aus dem Aargau, 25 lehnten ihn ab. Binder hält aber fest, dass die Zahlen auch im Ständerat ein Argument gewesen seien. Dass die richtigen – fünfmal höheren – Zahlen nun bekannt seien, könne der Forderung aus dem Kanton Aargau im zweitbehandelnden Nationalrat «Schub verleihen und die Paare kämen endlich – nach über 30 Jahren – zu ihrem Recht», sagt Binder.