
Strahlengrenzwert bei Erdbeben: 100× höher oder 100× tiefer?
BEWILLIGUNG DER BEHÖRDEN LIEGT VOR
Anti-AKW-Demo auf KoblenzerRheinbrücke
Bis zu 500 Atomgegner werden am Sonntag zu einer Demonstration auf der Rheinbrücke zwischen Waldshut und Koblenz erwartet. Inzwischen hat das Ordnungsamt Waldshut die Demo bewilligt, wie Stephanie Meyer, Bü- roleiterin des Oberbürgermeisters, mitteilt. Die Verantwortlichen hätten sich Gedanken über eine verhältnismässige Versammlung gemacht, B hält sie fest. Die Demonstration werde zu einem Zeitpunkt durchgeführt, wenn die Rheinbrücke nicht übermässig beansprucht werde. Hinter der Demo stehen Kreisverbände der deutschen Grünen und SPD sowie die Waldshuter Initiative Zukunft ohne Atom und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Starten soll die Aktion etwa ab 14.30 Uhr. (FH)
Wie viel radioaktive Strahlung darf ein Atomkraftwerk freisetzen, wenn es von einem starken Erdbeben erschüttert wird, das im Schnitt nur alle 10000 Jahre auftritt? Dies ist in der Kernenergieverordnung festgelegt, die der Bund nun revidieren will. Am Dienstag ist die Vernehmlassungsfrist zur Verordnungsänderung abgelaufen, doch schon vorher hat sich gezeigt: Die Höhe der sogenannten Dosislimite ist umstritten.
Atomkritische Organisationen wie Greenpeace, die Schweizerische Energiestiftung oder der Trinationale Atomschutzverband sind der Meinung, die Atomaufsichtsbehörde Ensi wende die geltenden Sicherheitsbestimmungen bei Erdbeben im AKW Beznau falsch an. Derzeit ist das Rechtsverfahren, das 2015 begonnen hat, beim Bundesverwaltungsgericht hängig.
Vorwürfe an den Bund
Auf der Website «Beznau-Alarm» halten die Atomgegner fest, wenn das Gericht im Sinne der Beschwerdeführer entscheide, müsse das AKW Beznau nachgerüstet oder stillgelegt werden. Dies, weil das Kraftwerk bei einem starken Erdbeben heute eine Strahlendosis von 78 Millisievert abgeben würde.
Um die Abschaltung abzuwenden, wolle der Bund die Verordnung ändern, kritisieren die Verbände. Der bisherige Grenzwert soll von 1 auf 100 Millisievert erhöht werden. Der Vorwurf der Atomgegner: «Dies ist ein veritabler Kahlschlag bei den Sicherheitsvorschriften und eine unverantwortliche Aufweichung des Bevölkerungsschutzes.»
Der Bund hielt im Januar fest, mit der Revision sollten heute unklar formulierte Bestimmungen unmissverständlich geregelt werden. Die Neuregelung entspreche der bisherigen Praxis der Aufsichtsbehörde bei Störfallanalysen von Kernkraftwerken und sei konform mit den internationalen Vorgaben.
AKW-Betreiberin kontert
Auch die Axpo als Betreiberin des AKW Beznau widerspricht den Umweltverbänden. «Der Vorwurf, mit der Verordnungsanpassung werde der Schutz der Menschen bei einem zehntausendjährlichen Erdbeben massiv schlechter, ist falsch», sagt Sprecher Antonio Sommavilla. Die maximal erlaubte Dosis betrage in der Nähe des Werks schon heute nach geltender Schweizer Regelung maximal 100 Millisievert. Sommavilla sagt, das AKW Beznau würde diesen Wert auch bei einem starken Erdbeben nicht erreichen. Die Dosis würde 300 Meter vom Werk entfernt 32 Millisievert betragen, in einem Abstand von drei Kilometern wären es noch 3 Millisievert. Zum Vergleich: Die ständige Strahlenbelastung aus natürlichen und technischen Quellen kumuliert sich im Laufe des Lebens einer Person in der Schweiz im Durchschnitt auf rund 400 Millisievert, in einem Bergdorf auf bis zu 1600 Millisievert», hält Sommavilla fest. Und der Axpo-Sprecher verweist darauf, dass die Eidgenössische Kommission Nukleare Sicherheit schon vor Jahren eine Revision der KernenergieVerordnung angeregt habe. Tatsächlich erfolgte dieser Anstoss schon 2012, also vor dem Start des Rechtsverfahrens.
Axpo dreht den Spiess um
Während die AKW-Gegner argumentieren, der Bund wolle den Grenzwert um das 100-fache anheben, kontert Sommavilla, die Umweltverbände forderten eine Verschärfung der Dosislimiten um den Faktor 100. «Nachdem die Stilllegung der Kernkraftwerke in der Schweiz auf politischem Weg nicht gelungen ist, wird nun versucht, nicht nur Beznau, sondern alle Kraftwerke auf rechtlichem Weg stillzulegen.»
Der Aargauer Regierungsrat verweist derweil auf die Kompetenz des Bundes bei der Regelung der Kernenergie. Der Kanton selber habe keinen Fachbereich für die Beurteilung der Sicherheit der Anlagen und stütze sich auf die Beurteilungen der Aufsichtsbehörde Ensi.