

Sportzentrum vehement bekämpft: Die Bibersteiner wollten kein zweites «Magglingen»
«Ist es wirklich nötig, dieses schöne Wander- und Erholungsgebiet mit Mammutbauten zu verschandeln, nur um ein paar interessierten Sportverbänden ein zweites Magglingen zu ermöglichen? Was uns da oben droht, sprengt jeglichen normalen Rahmen.» – Das schrieb am 12. Dezember 1978 ein Leser unter dem Pseudonym «Echo von der Gislifluh» in der Bibersteiner «Dorfziitig».
Stein des Anstosses: Die Pläne des Kantons, der Stadt Aarau und der Interessengemeinschaft Aargauischer Turnverbände (IATSV), auf der Juraweid oberhalb des Dorfes ein grosses kantonales Sportzentrum zu bauen. Einst ein Gutsbetrieb mit Pferdezucht sowie ein seit 1901 bestehendes Restaurant, hatten Kanton und Stadt 1971 das Areal am Jurasüdhang (rund 41,5 Hektaren) gekauft, um es der Bodenspekulation zu entziehen.
Der Entscheid fiel «im Bestreben, das prachtvolle Erholungsgebiet der Allgemeinheit auf Dauer zu erhalten», schrieben die Aarauer Neujahrsblätter. Die Käufer seien sich «einig, dass das Land der Erfüllung öffentlicher Aufgaben des Kantons und der Stadt zu dienen hat und nicht für Zwecke beansprucht werden darf, die siedlungspolitisch für die Umgebung, insbesondere für die Gemeinde Biberstein, nachteilig wären».
Nach dem Kauf ging auf der Juraweid eine ganze Weile lang alles seinen gewohnten Gang. Restaurant und Bauernbetrieb waren an die Familie Vogt verpachtet und liefen rund. Doch dann, Ende der 1970er-Jahre, braute sich etwas zusammen, das den Bibersteinern gar nicht geheuer war: Die Terrasse am Jurasüdhang war als Standort für ein schon länger angedachtes kantonales Sportzentrum plötzlich in der Poleposition.

Die Juraweid heute.
Es gab noch kein konkretes Projekt, aber ein vom Regierungsrat genehmigtes Raumprogramm. Gebaut werden sollten – in mehreren Etappen – drei Turnhallen, Schwimmhalle, Kantine mit Zentralküche und Esssaal und Cheminéeraum, Verwaltungstrakt mit Büros, Schlaftrakt mit bis zu 120 Betten, Personalwohnungen, Freizeiträume, Kegelbahn, Luftgewehrschiessanlage, Tennisplätze, Fussballplätze, 400-Meter-Laufbahn, Zivilschutzanlage.
Eine Riesenkiste also, finanziert hauptsächlich aus dem gut gefüllten Sporttoto und Lotteriefonds – es war von Kosten von um die 20 Millionen Franken die Rede. Zu diesem Zeitpunkt zählte Biberstein rund 740 Einwohner. «Wir waren – zusammen mit Densbüren – das Armenhaus des Bezirks», so der langjährige Ammann Peter Frei.
Mehr zum Thema:Wegen des Schulhaus-Neubaus in den 60er-Jahren war der Steuerfuss auf über 170 Prozent angehoben worden. Heute liegt er dank grosser Steuerkraft der 1600 Einwohnenden bei 92 Prozent. In den 1970er-Jahren war Biberstein längst kein Bauerndorf mehr. Viele gingen tagsüber in die Fabrik; nach Aarau zu Sprecher + Schuh oder Kern, nach Schönenwerd zu Bally. Abends versorgten sie als Hobbybauern ein paar Tiere. Viel Mittelstand, einzelne Wohlhabende. Und nur wenig erschlossene Wohngebiete. Eine Reihe von Häusern stand bereits an der steilen und engen Juraweidstrasse. Wie das aussah, zeigt diese Aufnahme aus dem Jahr 1979:

Biberstein 1979. Das Dach der Liegenschaft «Juraweid» ist im oberen rechten Quadranten auf der Anhöhe gut zu erkennen.
Angesichts dieser Kontraste – das kleine Biberstein und das gigantische Sportprojekt – ist es nicht überraschend, dass sich rasch Widerstand bildete. Da nützte es nichts, dass Regierungsrat Jörg Ursprung via «Aargauer Tagblatt» beschwichtigte, dass jede Aufregung über das Projekt unnötig sei – es liege ja noch nicht mal konkret vor – und ein Sportzentrum die Gemeinde aufwerte.

«Zustimmung der Stimmbürger ist in höchstem Masse fraglich»
Die Bibersteiner hätten letztlich an der Gmeind über eine Umzonung befinden müssen. Aber wehret den Anfängen: Innert kürzester Zeit brachten 14 Initianten eine Petition zusammen, die gut 55 Prozent der Stimmberechtigten unterschrieben. Sie wollten «zeigen, dass sich die Bibersteiner Bevölkerung gegen jede unnötige Zerstörung ihrer Landschaft und gegen die Einzonung der Juraweid ins Baugebiet wehren wird», hiess es in der Dorfzeitung. Weitere Investitionen in die Planung seien sinnlos, denn:
«Eine Zustimmung der Stimmbürger ist in höchstem Masse fraglich.»
Die Initianten des Sportzentrums erklärten sich zwar bereit, den Bibersteinern entgegenzukommen: Der Bauernhof und das Restaurant sollten erhalten bleiben, die Aussenanlagen des Sportzentrums für alle zugänglich sein. Man wolle Rücksicht nehmen auf den Landschaftsschutz. Und um den Verkehr nicht via Dorf leiten zu müssen, war gar eine Erschliessungsstrasse von der Staffelegg her (Gemeindegebiet Küttigen) geplant. Doch alle Beschwichtigungen halfen nicht; im Gegenteil, gerade die geplante Zufahrt erhitzte die Gemüter zusätzlich.

Der westliche Bereich des Dorfs anno 1979. Die Juraweid mit dem Hof ist oben rechts gut erkennbar.
Indes: Das Vorhaben hatte im Dorf nicht nur Gegner. Der einheimische Grossrat Daniel Noser zum Beispiel fragte in der «Dorfziitig»: «Was haben die Bibersteiner gegen den Sport?», und sprach sich gegen «Politik à la Sankt Florian» aus:
«Wenn Biberstein seinen Beitrag an die Allgemeinheit mit einer Sportanlage, die der Juralandschaft angepasst wird, leisten kann, ist das fürwahr eine vornehme und erst noch angenehme Aufgabe.»
Und ein anderer schrieb: «Wer Ja sagt zum Sport, wer den Sinn und die Bedeutung der körperlichen Ertüchtigung in unserer Zeit anerkennt, kann doch nicht zum vornherein Nein sagen zu einem Projekt, das erst in groben Umrissen besteht. Für das Image von Biberstein, das heute ‹dank› der Aarfähre mit der fragwürdigen Tierhaltung nicht überall das beste ist, würde das Sportzentrum Juraweid eine wünschenswerte Aufwertung bringen.»
Kanton schwenkte auf Option Wohlen um
In Aarau machte der dezidierte Widerstand von ennet der Aare offenbar Eindruck. 1981 verkündete die «Dorfziitig», «das Sportzentrum auf der Juraebni» sei «so gut wie gestorben». Der Kanton gab bekannt, Biberstein würde vorerst nicht weiterverfolgt.

Die Juraweid auf einer Aufnahme vom Mai 2015 .
Stattdessen sollte nun in den Wohler Niedermatten ein neues Sportzentrum gebaut werden. Dort sagten die Stimmbürger Ja. Aber der Kanton merkte vor der Realisierung, dass gar kein Bedarf für ein zentrales polysportives Zentrum mehr gegeben war – stattdessen entstanden regionale Angebote.
1991 verkaufte die Stadt Aarau ihren Anteil an der Juraweid an den Kanton. Dieser behielt sie, bis 2015 nach 59 Jahren der Pachtvertrag mit der Familie Vogt auslief, dann veräusserte er die Juraweid. Heute haben der Biobauernbetrieb und das Restaurant separate Pächter. Die Gäste von Peter und Carmen Bernhard geniessen beim Essen ein überwältigendes Panorama – ganz ohne Sportanlage.
