Gallati und Glarner erneut im Streit über Covid-19-Gesetz: Duell der Parteikollegen geht in die nächste Runde

Der nächste Kantonalparteitag der SVP Aargau findet am 27. Oktober im Gasthof Ochsen in Lupfig statt. Es handle sich dabei um einen «Anlass mit Zertifikatspflicht (falls sie vom Bundesrat bis dann nicht aufgehoben wird)», heisst es in der neuen Ausgabe des Parteimagazins «SVP aktuell».

Ob bis Ende Monat für Veranstaltungen mit mehr als 30 Teilnehmenden in Innenräumen weiterhin ein Zertifikat nötig ist, kann die SVP nicht beeinflussen. Doch am Parteitag wird über die Grundlage für den Coronapass diskutiert: Die Volkspartei fasst die Parole für die Abstimmung vom 28. November über das Covid-19-Gesetz.

In seinem Editorial im neuen SVP aktuell macht Präsident Andreas Glarner klar, dass der Bundesrat die Zertifikatspflicht aus seiner Sicht gar nicht hätte einführen dürfen. Dabei handle es sich um einen «faktischen Impfzwang», und dies dürfe es nicht geben, schreibt Glarner. «Es ist legitim, sich impfen zu lassen – ich habe es auch getan», hält er fest.

Doch der SVP-Aargau-Präsident ergänzt: «Es ist ebenso legitim, dies nicht zu tun.» Dies gelte insbesondere für junge, gesunde Menschen, «von denen weit über 99 Prozent eine allfällige Erkrankung völlig unbeschadet überstehen würden».

Glarner und Gallati erneut im Streitgespräch – trotz parteiinterner Kritik

Der Bundesrat habe sich im Glauben, die meisten Geimpften hinter sich zu haben, «zur Ungeheuerlichkeit verstiegen», die Zertifikatspflicht einzuführen, kritisiert Glarner weiter. Ganz anders sieht dies Jean-Pierre Gallati.

Der SVP-Gesundheitsdirektor bezeichnete das Zertifikat schon kurz nach den Sommerferien in einem AZ-Interview als sinnvolles Instrument. «Sein Zweck ist es, das Leben und Wirtschaften sowie Anlässe zu ermöglichen und Einschränkungen sowie Schliessungen zu vermeiden», sagte Gallati damals.

Mit einem Streitgespräch auf «Blick TV» und Auftritten an einem Anlass in Buchs, die von der SRF-«Rundschau» aufgenommen wurden, erreichte der Streit zwischen Andreas Glarner und Jean-Pierre Gallati in den letzten Wochen nationale Dimensionen.

Die öffentliche Konfrontation der Parteikollegen löste SVP-intern allerdings Kritik aus, so rief Samuel Hasler, der Präsident der SVP Bezirk Aarau, Glarner und Gallati auf Twitter zur Mässigung auf.

Dennoch werden die beiden am Parteitag in Lupfig erneut gegeneinander antreten, sie sind als Pro- und Kontra-Referenten bei der Parolenfassung zum Covid-19-Gesetz angekündigt. Geht die SVP Aargau diese Konfrontation bewusst ein und wäre es nicht möglich gewesen, zwei Nationalratsmitglieder debattieren zu lassen?

«Wer mich kennt, der weiss, dass ich keiner Diskussion aus dem Weg gehe», sagt Andreas Glarner auf Anfrage. Zudem gebe es unter den SVP-Nationalräten aus dem Aargau keine Befürworter des Covid-Gesetzes, ergänzt der Präsident.

Aargauer SVP-Nationalräte lehnten Covid-Gesetz geschlossen ab

Ein Blick auf die Abstimmungsprotokolle zum Covid-19-Gesetz zeigt: Die Vorlage wurde von allen sechs Aargauer SVP-Vertreterinnen und -Vertretern im Nationalrat abgelehnt. So bekämpft zum Beispiel Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Martina Bircher das Covid-Gesetz vehement. Wenn die Schweiz das Zertifikat jemals wieder loswerden wolle, brauche es ein Nein bei der Abstimmung vom 28. November, schreibt sie auf Twitter.

Und auch Thomas Burgherr, der vor Andreas Glarner die SVP Aargau präsidierte und mit diesem zusammen im Nationalrat sitzt, ist ein entschiedener Gegner der Zertifikatspflicht. «Der Bundesrat hat uns die Normalisierungsphase versprochen, sobald alle Impfwilligen geimpft sind. Jetzt macht er das Gegenteil, dem kann man nicht mehr trauen», sagte er im «TalkTäglich» von Tele M1.

Glarner: «Wir wollen die Diskussion im Aargau selber führen»

An der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz am 21. August wurde mit 181 zu 23 Stimmen bei sieben Enthaltungen die Nein-Parole zum Covid-Gesetz gefasst. «Wir hätten einfach diese Parole übernehmen können, aber wir haben uns entschieden, diese wichtige Debatte im Aargau selber zu führen», sagt Glarner.

Inhaltlich ist seine Position klar: Der SVP-Präsident, der mit seinem Vater derzeit auf einer Flussfahrt in Frankreich ist und auf Twitter die Zertifikats- und Maskenpflicht bei der Besichtigung der Brücke von Avignon kundtat, setzt sich für ein Nein zum Covid-19-Gesetz ein.

Glarner geht nicht ohne weiteres davon aus, dass es am Parteitag der SVP Aargau ein ähnlich klares Nein zum Covid-Gesetz geben wird wie an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz. «Jean-Pierre Gallati hat eine hohe Glaubwürdigkeit und er macht ja auch einen sehr guten Job als Gesundheitsdirektor», gibt er zu bedenken.

Gallati: Gesetz bringt Leitplanken für Bundesrat und sichert Wirtschaftshilfe

Gallati wirbt in seinem Beitrag im «SVP aktuell» schon knapp einen Monat vor dem Parteitag für ein Ja zum Covid-Gesetz. Dies sichere «die nötige Hilfe zu Gunsten der betroffenen Wirtschaftszweige und ermöglicht mit dem Zertifikat eine taugliche Alternative zu Schliessungen und anderen radikalen Massnahmen wie einem sogenannten Lockdown».

Das Gesetz beende das Notrecht, es bringe keine Machtausweitung für den Bundesrat, sondern stellte für diesen ganz im Gegenteil klare Leitplanken auf, argumentiert Gallati. Und er betont, die Landesregierung könnte gestützt auf das Epidemiengesetz zwar weitreichende Massnahmen zur Pandemiebekämpfung ergreifen, aber keine Wirtschaftshilfen mehr ausrichten.

Öffentlich äussern sich nur wenige Aargauer SVP-Mitglieder ähnlich wie Gallati – einer davon ist alt Grossrat Thomas Bodmer. Der Gründer des Bundes der Steuerzahler unterstützt den Kurs von Präsident Glarner in vielen Punkten, schreibt aber auf Facebook, die SVP habe sich in der Impffrage verrannt. «Die Impfung ist nötig, um aus der Krise zu kommen. Die Geimpften haben das Recht, vor den Ungeimpften geschützt zu werden», findet Bodmer.