
Dem Nachtzuschlag gehts an den Kragen – und Uber ist daran nicht ganz unschuldig
Bündner Nachtschwärmer kommen bald günstiger vom Ausgang nach Hause. Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember wird der Nachtzuschlag im ganzen Kanton abgeschafft. So würden alle Passagiere gleich behandelt und das Angebot attraktiver, begründete der Kanton den Schritt.
Nicht nur im Bündnerland sind die Tage des Nachtzuschlags gezählt. Auch in Zürich steht die Extra-Gebühr auf dem Prüfstand. Der Zürcher Verkehrsverbund ZVV denkt darüber nach, sein Nachtnetz von Grund auf neu zu konzipieren, berichtete «20 Minuten». Künftig sollen die Züge und Busse an Wochenenden in der Nacht ähnlich regelmässig verkehren wie am späten Abend.
Kantonsrat muss grünes Licht geben
In der Konsequenz müsste auch die Finanzierung des Nachtangebots überdacht werden, bestätigt ZVV-Sprecher Caspar Frey auf Anfrage von watson. «Wenn die Grenzen zwischen dem Tages- und dem Nachtangebot verschwimmen, muss man sich auch über andere Rahmenbedingungen wie beispielsweise den Nachtzuschlag Gedanken machen.»
In seinem Strategiebericht 2020-2023 schlägt der ZVV deshalb vor, «die Finanzierung des Nachtangebots neu zu beurteilen». Nächstes Jahr berät der Kantonsrat über das Papier.
Heute muss das Zürcher Nachtnetz kostendeckend betrieben werden. Sollte der Kantonsrat diese Bestimmung kippen und grünes Licht für eine Abschaffung des Nachtzuschlags geben, dürfte dies eine Kettenreaktion in Gang setzen. Denn die angrenzenden Verkehrsverbünde beobachten die Entwicklung aufmerksam.
So etwa in den Kantonen Aargau und Solothurn: Martin Osuna, der Geschäftsführer des Tarifverbunds A-Welle, bestätigt: «Sollte sich Zürich vom Nachtzuschlag verabschieden, müssten auch wir nochmals über die Bücher.» Man habe bereits einmal vor der Entscheidung gestanden – 2011, als der benachbarte Tarifverbund in Basel den Zuschlag aufhob.
«Damals kamen wir zum Schluss, dass wir nachziehen würden, falls Zürich eines Tages ebenfalls auf die Extra-Gebühr verzichten sollte», so Osuna. Die damaligen Berechnungen hatten ergeben, dass alle Billettpreise um 0,7 Prozent angehoben werden müssten, um den Einnahmeausfall zu kompensieren. «Inzwischen fiele der Aufschlag wohl moderater aus, weil das Tagesnetz im Vergleich mehr Umsatz generiert.»
Konkurrenz durch Fahrdienst Uber
In den meisten Regionen kostet der Nachtzuschlag zwischen 2 und 10 Franken. In den letzten Jahren stagnierten die Einnahmen allerdings – ein weiterer Grund, warum die Tarifverbünde verstärkt über die Zukunft das Finanzierungsmodell nachdenken. So hat die Gesellschaft Nachtzuschlag, in der neben der A-Welle und dem ZVV auch die Tarifverbunde Ostwind, FlexTax, Schwyz, und Zug organisiert sind, unlängst ein Positionspapier zu möglichen Ursachen erarbeitet.
Neben der Vermutung, dass mehr Passagiere schwarzfahren, spielten vor allem gesellschaftliche Entwicklungen eine Rolle, so Osuna. «In Zeiten der 24-Stunden-Gesellschaft nimmt die Bereitschaft, für eine nächtliche Verbindung extra zu zahlen, möglicherweise ab.»
Auch könnten Fahrgemeinschaften oder Fahrdienste wie Uber dem ÖV-Angebot Konkurrenz machen. Dazu kommt, dass die nächtliche ÖV-Nutzung in kaum einem anderen Land extra kostet, was die Akzeptanz des Zuschlags zusätzlich schwächen dürfte.
«Beitrag zur Verkehrssicherheit»
«Ein solcher Zuschlag ist nicht mehr zeitgemäss», ist daher auch SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher überzeugt. Die Mobilität habe sich verändert, um 23 Uhr seien die Züge unter Umständen genauso voll wie mitten in der Nacht oder um 7 Uhr. Graf-Litscher forderte den Bundesrat darum bereits vor einigen Jahren dazu auf, über eine Aufhebung des Nachtzuschlags nachzudenken.
Eine Erhöhung der Ticketpreise sieht die Thurgauerin, die als Gewerkschaftssekretärin des Verkehrspersonals arbeitet, jedoch kritisch. Stattdessen schlägt sie vor, dass der Bund die Einnahmeausfälle deckt. «Dies wäre auch als Beitrag zur Verkehrssicherheit zu verstehen, da ein verbesserter Zugang zum Nachtnetz die Leute davon abhalten kann, nach dem Ausgang alkoholisiert ins Auto zu steigen.»
Der Bundesrat hatte für die Vorschläge der Sozialdemokratin allerdings kein Gehör. In seiner Antwort erinnerte er daran, dass Nachtangebote im Vergleich zu Tagesangeboten kostenintensiver sind. Die Finanzierung des Regionalen Personenverkehrs sei bereits heute nur mit grossen Anstrengungen möglich.